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Leichtfüßig und kunstvoll konstruiert

Als Gewinnerin des Berliner Open-Mike-Wettlesens, des neben dem Bachmannpreis wichtigsten Bewerbs für deutschsprachige Neuentdeckungen, und Absolventin des renommierten Leipziger Literaturinstituts hat sich Sandra Gugic schon vor Erscheinen ihres ersten Romans einen Namen gemacht. Mit „Astronauten“ legt die 38-jährige Wienerin nun ein anspruchsvolles und vielbeachtetes Debüt vor.

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Das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig schmückt sich gern mit seinen erfolgreichen Absolventen, darunter etwa Ricarda Junge und Julie Zeh. Bald schon könnte auch Gugic als eines ihrer Aushängeschilder dienen. Die Reaktionen auf ihr Romandebüt „Astronauten“ fallen durchwegs euphorisch aus: „Unbedingt lesenswert“ urteilte etwa die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, von „großer Kunstfertigkeit“ sprach die „Zeit“.

Dass die 1976 in Wien geborene Schriftstellerin ihr Fach beherrscht, davon kann man jedenfalls ausgehen. Schließlich belegte sie an der Universität für Angewandte Kunst Wien außerdem noch den Studiengang Sprachkunst. Bisher veröffentlichte die zwischen Wien und Berlin pendelnde Autorin vor allem Lyrik und Theatertexte. In ihrem ersten langen Prosatext widmet sie sich auf kunstvoll verstrickte Weise dem Leben in der Großstadt.

Schwerelosigkeit in der Großstadt

„Astronauten“ ist aber weder ein Wien- noch ein Berlin-Roman. Gugic hat die Stadt bewusst nicht verortet, ihre Figuren sind ohnehin verloren: Da wären etwa die Schulfreunde Zeno und Darko, der heimlich schreibende Taxifahrer Alen und ein Junkie aus gutbürgerlichem Hause. Sie alle haben die Verbindungen zu ihrem bisherigen Leben gekappt und müssen sich nun in der Schwerelosigkeit neu orientieren - wie Astronauten, die vom Raumschiff getrennt wurden.

Die Großstadt wird für sie zum Sehnsuchtsort, zum Ort der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten und gleichzeitig zum Auffangbecken enttäuschter Erwartungen. Rastlosigkeit und Unruhe auf der einen Seite, Stillstand und Langeweile auf der anderen: Der Autorin gelingt es, diese beiden Pole sprachlich geschickt zu vereinen.

Autorin Sandra Gugic

picturedesk.com/Marko Lipus

Sandra Gugic

Erzählt wird teilweise in überbordenden Bewusstseinsströmen, und obwohl über lange Strecken so gut wie gar nichts passiert, prasseln unzählige Eindrücke auf den Leser nieder. In fast schwindlig machenden Windungen und Wendungen werden Dinge wahrgenommen, mit denen zunächst weder der Leser noch die Figuren etwas anzufangen wissen. Geräusche und Gedanken verschränken sich ineinander, die Zeit scheint sich dabei aufzulösen.

Figuren im Sommerloch

„Der Sommer ist ein Arschloch“, beschwert sich Zeno wütend über seinen schalen Alltag, „ein endlos durchgeschwitzter Nachmittag.“ Die Hitze liegt wie Sirup über der Stadt und lähmt die Figuren beim Versuch, eine Zeit einzuholen, die gar nie da war. Den Zeitraum der episodisch angelegten Erzählung beschränkt Gugic auf wenige Wochen im August. Die Zeitungen wissen nichts zu berichten, auch die Figuren scheinen ins Sommerloch gefallen zu sein.

Doch immer stärker zeichnet sich ab, dass ein Knalleffekt noch bevorsteht, dass sie sich bloß in jenem unheimlich stillen Moment befinden, „bevor alles in die Luft fliegt“. Die Geschichte hat dennoch keinen richtigen Anfang und kein richtiges Ende, permanent verschieben sich die Punkte, an denen man sich gerade noch festgehalten hat, suchen einen neuen Mittelpunkt, um dann wieder zu verpuffen und neue Verbindungen zu ziehen.

Cover des Buchs "Astronauten" von Sandra Gugic

C.H.Beck

Buchhinweis

Sandra Gugic: Astronauten. C. H. Beck, 199 Seiten, 19,50 Euro.

Leichtfüßig wechselt Gugic dabei zwischen den Tonlagen: von Zenos zornigen Tiraden über Darkos sich langsam ausbreitende Melancholie bis zu Alens vollkommener Resignation. Im Verlauf der Handlung verweben sich die einzelnen Geschichten ineinander und mehr noch: Sogar einzelne Sätze legt die Autorin zuerst der einen und dann der anderen Figur in den Mund, so dass man irgendwann nicht mehr weiß, von wem sie stammen.

Faszinierendes Faltbild

Drei Jahre hat Gugic am Buch gearbeitet, den Text wieder und wieder zerlegt, analog und digital bearbeitet, Teile verworfen und umstrukturiert, assoziativ Fragmente und Fotografien gesammelt. Das bemerkenswerte Ergebnis ist durchaus fordernd, aber nicht überkonstruiert. Es erinnert ein wenig an ein faszinierendes Gemälde, das von Gugic, die übrigens auch ausgebildete Grafikdesignerin ist, im Roman beschrieben wird: ein Polyptychon mit der unwirklichen Atmosphäre einer Mondlandschaft, ein mehrfach geteiltes Bild, dessen einzelne Flügel sich nach und nach entfalten.

Claudia Gschweitl, ORF.at

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