Identifizierung durch DNA-Abgleich
Bei den Bergungsarbeiten am Absturzort der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen sind offenbar Leichenteile des Kopiloten gefunden worden. Die Identifizierung sei durch einen DNA-Abgleich erfolgt, meldete die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf französische Ermittler.
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Die Zeitung berichtete auch über das Gespräch im Cockpit, das auf dem sichergestellten Stimmrekorder aufgezeichnet worden sei. Der Pilot habe unter anderem gesagt, dass er es in Barcelona nicht geschafft habe, auf die Toilette zu gehen. Der 27-jährige Kopilot habe ihm daraufhin angeboten, er könne jederzeit übernehmen. Einige Minuten später habe der Flugkapitän dann gesagt. „Du kannst übernehmen.“ Daraufhin verließ er offenbar die Kabine.
Als sich die Maschine später im Sinkflug befand, ertönte im Cockpit ein automatisches Alarmsignal. Der Pilot habe dann offenbar versucht, die Tür zum Cockpit mit Gewalt zu öffnen. „Mach die verdammte Tür auf“, habe er gerufen. Auch Schreie der Passagiere seien zu hören gewesen, bevor das Flugzeug dann an einem Bergmassiv zerschellte.
Angehörige der Opfer bitten um Zurückhaltung
Angehörige und Freunde der verunglückten Germanwings-Passagiere baten unterdessen darum, ungestört und in Ruhe trauern zu können. Unabhängig voneinander hätten sich viele Betroffene an die Lufthansa und Germanwings gewandt und um Zurückhaltung der Medien gebeten, sagte eine Lufthansa-Sprecherin am Samstag in Frankfurt. Das habe die Airlines dazu bewogen, in einer Mitteilung darum zu bitten, von einer aktiven Kontaktaufnahme mit trauernden Angehörigen abzusehen. Da das große Interesse der Öffentlichkeit nachvollziehbar sei, seien Lufthansa und Germanwings für Medienanfragen aber rund um die Uhr erreichbar.
Zuvor hatten bereits die Angehörigen der spanischen Opfer die Medien im In- und Ausland um Respekt gebeten. Die Medien sollten vor allem davon Abstand nehmen, Fotos der Opfer aus den Sozialen Netzwerken zu veröffentlichen, hieß es in einem am Freitag in Barcelona veröffentlichten Aufruf des Betreuungszentrums für Angehörige (CAF) in Castelldefels bei Barcelona.
Enders: Spekulationen „oft hanebüchener Unsinn“
Der Vorstandsvorsitzende des Luftfahrtunternehmens Airbus, Tom Enders, übte scharfe Kritik an den Fernsehgesprächsrunden über den Absturz des Germanwings-Flugzeugs. „Was wir kritisch hinterfragen sollten, ist das Unwesen, das manche ,Experten‘ vor allem in TV-Talkshows treiben“, sagte Enders der „Bild am Sonntag“. „Teilweise wurde dort ohne Fakten spekuliert, fantasiert und gelogen“, sagte er. „Oft hanebüchener Unsinn. Das ist eine Verhöhnung der Opfer.“
Der Germanwings-Airbus mit 150 Menschen an Bord war am Dienstag in den französischen Alpen an einer Felswand zerschellt. Nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler wurde der Absturz vom Kopiloten bewusst herbeigeführt. „Piloten verdienen auch weiter unser Vertrauen“, sagte Enders. „Ein schwarzes Schaf macht noch keine Herde.“ Piloten seien in der Regel „sehr zuverlässig“ und „erstklassig ausgebildet“.

APA/EPA/Guillaume Horcajuelo
In Le Vernet wurden Blumen für die Opfer niedergelegt
Technisches Gebrechen nicht ausgeschlossen
Auch wenn vieles darauf hindeutet, dass der Kopilot am Dienstag das Flugzeug auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf mutwillig in ein Bergmassiv nordöstlich von Marseille gesteuert hat, könne „die Hypothese eines technischen Fehlers nicht ausgeschlossen werden“, sagte der Chef der in Düsseldorf eingesetzten französischen Ermittler, Jean-Pierre Michel, am Samstag dem französischen Sender BFMTV. Die Ermittlungen gingen Michel zufolge voran, es fehlten aber noch „technische Details“. Unter anderem wird noch immer nach dem zweiten Flugdatenschreiber gesucht.
Die „Persönlichkeit“ des Kopiloten wurde von Michel zwar als „ernsthafte“, aber nicht einzige Spur bezeichnet. Gegenüber AFP gab der Ermittler unter anderem zu bedenken, dass noch kein „spezielles Element“ im Leben des 27-Jährigen - wie Liebeskummer oder berufliche Probleme - identifiziert worden sei, das dessen mögliches Verhalten erklären könne.
„Schlussfolgerungen verfrüht“
Vor verfrühten Schlussfolgerungen warnte unterdessen auch die deutsche Pilotenvereinigung Cockpit, wobei sie betonte, dass es hierbei nicht um Solidarität unter Kollegen gehe. Cockpit verwies vielmehr darauf, dass man es bisher lediglich mit einer „Schnelluntersuchung“ des Stimmrekorders zu tun habe.
Laut Cockpit-Sprecher Jörg Handwerg müsse nun aber noch genau geschaut werden, „dass alle Puzzleteile ineinander passen, und wir haben bislang sehr wenige“. Ausständig sei etwa noch eine „gründliche Auswertung“ des Stimmrekorders - notwendig sei aber nicht zuletzt auch die Auswertung der nach wie vor verschollenen zweiten Blackbox, wie Handwerg gegenüber der ZIB2 sagte.
Verweis auf lange Ermittlungsarbeit
Auch der frühere deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer warnte davor, den Absturz des Germanwings-Airbus für aufgeklärt zu halten. Gegenüber dem ZDF sagte der CSU-Politiker am Donnerstagabend, auch wenn die französische Staatsanwaltschaft behaupte, der Kopilot habe die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht, heiße das „noch lange nicht, dass es wirklich definitiv so ist“. Viele Staatsanwaltschaften hätten „schon viel in die Welt gesetzt“, viele Urteile hätten aber am Ende ganz anders ausgesehen, so Ramsauer weiter.
„Die Welt“ verwies unterdessen auf die „meist Jahre“ dauernde Ermittlungsarbeit bei der Untersuchung anderer Flugzeugunglücke, allein bis zur Bekanntgabe erster Ermittlungsergebnisse würden meist Monate verstreichen. Beim Germanwings-Absturz habe ganz im Gegensatz dazu bereits „nach 48 Stunden alles klar“ erschienen.
Zerrissene Krankschreibungen
Der Kopilot hatte nach Erkenntnissen der Ermittler vor seinem Arbeitgeber Germanwings eine Erkrankung verheimlicht. Die Fahnder entdeckten in der Wohnung des 27-Jährigen „zerrissene, aktuelle und auch den Tattag umfassende Krankschreibungen“, wie die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am Freitag mitteilte. Über die Art der Erkrankung wurde nichts mitgeteilt, die Zeitung „New York Times“ berichtete jedoch unter Berufung auf Ermittlerkreisen, der Mann sei wegen Sehproblemen in Behandlung gewesen.
Von der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft wurde bestätigt, dass bei der Durchsuchung „Dokumente medizinischen Inhalts“ sichergestellt worden seien, die auf eine bestehende Erkrankung und entsprechende ärztliche Behandlungen hinwiesen. Das unterstütze „nach vorläufiger Bewertung“ die Annahme, dass der Verstorbene „seine Erkrankung gegenüber dem Arbeitgeber und dem beruflichen Umfeld verheimlicht hat“. Die Düsseldorfer Universitätsklinik bestätigte, dass der Mann in den vergangenen zwei Monaten in Behandlung gewesen sei, zuletzt am 10. März. Details wurden nicht genannt, Berichte, wonach er wegen Depressionen behandelt wurde, wurden jedoch verneint.
„Eines Tages werde ich etwas tun“
Nährstoff für Spekulationen lieferten am Samstag die Aussagen einer ehemaligen Freundin des Kopiloten. Gegenüber der „Bild“-Zeitung erzählte die Stewardess, er habe im Vorjahr zu der Frau gesagt: „Eines Tages werde ich etwas tun, was das ganze System verändern wird, und alle werden dann meinen Namen kennen und in Erinnerung behalten.“ Zudem spekulierte das Magazin „Der Spiegel“ über eine aktuelle „Beziehungskrise“.
Bekannt wurde am Samstag zudem, dass der Kopilot die Unglücksregion als Jugendlicher mehrfach besucht hatte. Seine Eltern seien dort mit ihrem Flugverein hingereist, sagte Francis Kefer vom Flugplatz in Sisteron dem französische Sender iTele. Sisteron liegt rund 40 Kilometer westlich der Absturzstelle in den südostfranzösischen Alpen.
Trauerfeiern an mehreren Orten
Unterdessen geht die schwierige Bergung der Opfer weiter. Am Samstag musste sie mehrmals unterbrochen werden, weil die Hubschrauberpiloten bei ihrer Arbeit durch die Sonne zu stark geblendet wurden. In der Kathedrale von Digne-les-Bains in der Nähe des Unglücksortes wurde am Samstag ein Trauergottesdienst abgehalten. Vor dem Altar waren 150 Kerzen aufgestellt, für jedes Todesopfer eine. Auch in Deutschland fanden an mehreren Orten Trauerfeiern statt.
Soforthilfe für die Opfer
Eine Lufthansa-Sprecherin bestätigte indes einen „Tagesspiegel“-Bericht, wonach der Konzern den Angehörigen der Opfer eine Soforthilfe zahlen will. „Lufthansa zahlt bis zu 50.000 Euro pro Passagier zur Deckung unmittelbarer Ausgaben“, zitierte die Zeitung einen Germanwings-Sprecher. In der Nähe der Absturzstelle eröffnete Germanwings am Samstag ein Betreuungszentrum für Angehörige. In großen deutschen Tageszeitungen bekundeten die Lufthansa und ihre Tochter Germanwings den Hinterbliebenen der Absturzopfer ihre Anteilnahme mit ganzseitigen Anzeigen.
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