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Auswertung könnte dauern

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat am Donnerstag Durchsuchungen im unmittelbaren Umfeld des 27-jährigen Kopiloten der am Dienstag abgestürzten Germanwings-Maschine vorgenommen. Seine Wohnung in Düsseldorf als auch das Elternhaus wurden vor allem auf persönliche Unterlagen und Hinweise untersucht.

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„Sowohl die Wohnung des Kopiloten in Düsseldorf als auch die Wohnung in Montabaur sind durchsucht worden“, sagte Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück der Nachrichtenagentur AFP. Wie die Behörde mitteilte, dienen die Durchsuchungen insbesondere dem Auffinden persönlicher Unterlagen des Mannes, „um Anhaltspunkte für einen denkbaren Tathintergrund zu gewinnen“.

Polizist und Ermittler am Hauseingang des Kopiloten

Reuters/Ralph Orlowski

Die Ermittler vor dem Haus in Montabaur

Vier Stunden durchsuchten die Beamten die Wohnung in Düsseldorf, dann verließen sie das Haus mit Umzugkartons. Die Auswertung möglicher Beweismittel werde „einige Zeit in Anspruch nehmen“, so Herrenbrück. Zu Gerüchten, dass ein Abschiedsbrief gefunden wurde, sagte Herrenbrück am Donnerstagabend: „Das kann ich nicht bestätigen. Darüber hinaus gibt es heute nichts. Die Durchsuchungen laufen noch.“

Sinkflug „bewusst“ eingeleitet

Am Donnerstag war bekanntgeworden, dass der Kopilot Andreas Lubitz den Germanwings-Airbus am Dienstag offenbar vorsätzlich in die Katastrophe gesteuert hatte. Lubitz, zu dem Zeitpunkt allein im Cockpit, habe die Maschine allen Anschein nach „zerstören“ wollen und daher den Sinkflug „bewusst“ eingeleitet, sagte der Staatsanwalt von Marseille, Brice Robin. Der Airbus A320 mit 150 Menschen an Bord war auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf in den französischen Alpen zerschellt. Unter den Toten befinden sich nach jüngsten Angaben des deutschen Außenministeriums 75 Deutsche.

Bericht über mögliche Depression

Einem Medienbericht zufolge soll Lubitz während seiner Ausbildungszeit psychische Probleme gehabt haben. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Onlineausgabe) zitierte am Donnerstag die Mutter einer Klassenkameradin, der sich der 27-Jährige vor ein paar Jahren anvertraut haben soll. „Offenbar hatte er ein Burn-out, eine Depression“, zitierte Faz.net die namentlich nicht genannte Frau. Den Angaben zufolge hat Lubitz wegen dieser psychischen Probleme vor sechs Jahren seine Ausbildung zum Piloten unterbrochen.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte am Donnerstag von einer längeren Ausbildungsunterbrechung berichtet, ohne die Gründe dafür zu benennen. Auch der Nachrichtenagentur AFP wurde aus dem Umfeld des Kopiloten in Montabaur bestätigt, dass dieser „Probleme“ gehabt haben soll. Das habe vor fünf, sechs Jahren im Raum gestanden.

Warnung vor vorschnellem Urteil

Die deutsche Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) warnte unterdessen davor, den Absturz der Germanwings-Maschine bereits als Suizid des Kopiloten einzustufen. Bei den neuen Erkenntnissen der Ermittler handle es sich um „einen ersten Zwischenbericht“, sagte VC-Sprecher Jörg Handwerg dem „Handelsblatt“ (Onlineausgabe) am Donnerstag. „Viele Fragen sind noch offen.“ Es brauche nun eine Auswertung des Flugdatenschreibers, der bisher allerdings noch nicht gefunden wurde.

Die Gewerkschaft des Kabinenpersonals UFO e.V. erklärte hingegen, sie habe „keine Erkenntnisse, die der Darstellung der Staatsanwaltschaft in Frankreich entgegenstehen“. In einer Mitteilung der Flugbegleitergewerkschaft hieß es: „Es muss also davon ausgegangen werden, dass tatsächlich dieses Einzelschicksal, über dessen Hintergründe noch nichts bekannt ist, zu dieser Tragödie geführt hat.“

Ausbildung des Kopiloten wurde unterbrochen

Germanwings-Vorstandschef Spohr betonte Donnerstagnachmittag bei einer Pressekonferenz, Lufthansa und Germanwings wählten ihr Personal sehr sorgfältig aus. Es werde auch viel Raum für die Überprüfung der psychischen Eignung der Kandidaten eingeräumt. Spohr wies darauf hin, dass es bei der Ausbildung des Kopiloten vor sechs Jahren eine längere Unterbrechung gegeben habe. Nach der Unterbrechung hätten die Eignungstests aber grünes Licht für die Fortsetzung der Ausbildung gegeben.

Details über die Gründe für die Unterbrechung nannte Spohr unter Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht nicht. Der 27-Jährige sei zu 100 Prozent flugtauglich gewesen, ohne Einschränkungen und Auflagen, sagte Spohr. Die deutsche Luftaufsicht gab bekannt, dass bei den routinemäßigen Sicherheitsüberprüfungen keine Auffälligkeiten festgestellt wurden. Auch bei den vorherigen zwei Überprüfungen gab es keine belastende Erkenntnis.

Germanwings-Chef Thomas Winkelmann und Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr

Reuters/Wolfgang Rattay

Die Germanwings-Führungsriege zeigte sich am Donnerstag tief erschüttert

„Schlimmstes Ereignis in Geschichte der Lufthansa“

Der psychologische Eignungstest werde gemeinsam mit dem Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin durchgeführt, der weltweit als das führende Verfahren zur Auswahl von Cockpitpersonal gelte. Spohr betonte mehrfach, er habe weiter volles Vertrauen in die Piloten des Unternehmens und das Ausbildungsverfahren.

Spohr sprach vom „schlimmsten Ereignis in der Geschichte der Lufthansa“. Dass der Kopilot offenbar absichtlich die Katastrophe einleitete, mache den Konzern fassungslos. „Wir hätten uns nicht vorstellen können, dass sich das (Gefühl der Betroffenheit, Anm.) nochmals verstärkt.“ Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich über den offenbar absichtlich herbeigeführten Absturz der Germanwings-Maschine bestürzt. In einer Pressekonferenz sagte sie, das gehe „über jedes Vorstellungsvermögen hinaus“.

Strenge Eignungstests nur zu Berufsbeginn

Verkehrspiloten werden nach Einschätzung des deutschen Luftverkehrsexperten Gerold Wissel nur zu Beginn ihres Berufslebens intensiv auf ihre psychische Eignung und Stabilität getestet. Später folgten regelmäßige medizinische Checks, in denen auch Gespräche über die allgemeine Lebenssituation der Piloten geführt würden, sagte Wissel am Donnerstag. Regelmäßige Persönlichkeitstests gebe es nicht.

Meldung von auffälligem Verhalten

Es gebe bei der Lufthansa wie auch bei anderen Fluggesellschaften klare Vorgaben an die Crews, auffälliges Verhalten bei Kollegen zu melden, was auch anonym geschehen könne, berichtete der Experte. Die Beschäftigten seien angehalten, schon bei kleinsten Anzeichen etwa von Alkoholismus, Depressionen oder psychischer Instabilität Alarm zu schlagen.

„Das geschieht auch. Selbst beim Briefing vor dem Start kann der Kapitän noch jedes Besatzungsmitglied vom Flug ausschließen, wenn es sich auffällig verhält.“ Auch habe der Kopilot das Recht, den Kapitän abzulehnen. Nach seiner Kenntnis gebe es bei Lufthansa in dieser Beziehung sehr hohe Sicherheitsstandards, sagte Wissel. Das Unternehmen müsse aber nachweisen, dass das in gleicher Weise auch für die Tochtergesellschaften gelte.

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