Prägende Stereotype
Während in vielen Ländern der Geschlechterunterschied der Schüler in Mathematik kleiner geworden ist, ist er in Österreich gewachsen, heißt es in einem am Donnerstag präsentierten OECD-Bericht.
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2003 zeigte sich im PISA-Test noch kein signifikanter Unterschied in den Mathematikleistungen zwischen Buben und Mädchen. 2012 betrug der Unterschied dann 22 Punkte zugunsten der Buben. Die OECD nimmt in diesem Zusammenhang nicht nur die Politiker und Lehrer, sondern explizit auch die Eltern in die Pflicht: „Wir dürfen nicht aufhören, unsere Kinder dazu zu motivieren, ihr ganzes Potenzial auszuschöpfen“, so OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher.
Dabei seien Eltern und Schulen, aber auch die Arbeitgeber gefragt. Er verwies auf ein anderes Ergebnis der OECD-Studie, wonach sich im Schnitt 40 Prozent der Eltern eine Karriere ihrer Söhne im Ingenieurbereich vorstellen können, aber nur 15 Prozent für ihre Töchter.
Bewusste und unbewusste Beeinflussung
Gerade die Eltern trügen oft bewusst oder unbewusst dazu bei, dass das Interesse für Mathematik und Naturwissenschaften bei den Geschlechtern so unterschiedlich ausgeprägt ist: So könnten sich in Chile, Ungarn und Portugal etwa 50 Prozent der Eltern vorstellen, dass ihr Sohn später einen MINT-Beruf (Fächer Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie Technik) ergreifen wird, für ihre genauso leistungsstarken Töchter können das nur 20 Prozent. In Korea gebe es hingegen kaum geschlechterspezifische Unterschiede bei den Berufserwartungen der Eltern.
Für Burschen schlägt sich das Geschlechtergefälle nach der OECD-Studie dahingehend nieder, dass ihnen mit größerer Wahrscheinlichkeit als Mädchen in allen PISA-Bereichen grundlegende Kompetenzen fehlen: Von der Gesamtheit der besonders leistungsschwachen Schüler in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften sind 60 Prozent männlich - mit höherem Risiko, die Schule abzubrechen. Laut OECD ist es besonders wichtig, die Lesefähigkeiten der Buben zu verbessern.
„Nicht angeboren“
Insgesamt zeigen sich im ersten OECD-„ABC of Gender Equality in Education“ teilweise deutliche Geschlechterunterschiede: So schneiden in vielen Ländern Buben bei mathematischen Aufgaben besser ab, während Mädchen beim Lesen wiederum in allen Ländern die Nase vorne haben. In vielen besonders leistungsstarken Volkswirtschaften - meist sind das asiatische Länder - liegen Mädchen bei den Mathematikergebnissen jedoch gleichauf und erbringen dort auch bessere Resultate als ihre männlichen Altersgenossen in den meisten anderen Ländern.
Umgekehrt ist dort auch das Leseverständnis der Buben höher als das der Mädchen in schwächeren Ländern. Das zeige, dass diese Unterschiede „nicht durch angeborenes (Un)Vermögen, sondern vielmehr durch eine erworbene Haltung gegenüber der Materie, der Schule, beziehungsweise dem Lernen ganz allgemein“ verursacht werden, heißt es in einer Aussendung der OECD.
Schere geht auf
In Österreich dürfte sich hier in den vergangenen Jahren aber etwas zuungunsten der Mädchen verschoben haben: Denn während sich etwa in Finnland, Griechenland, in der chinesischen Sonderverwaltungszone Macao, Russland, den USA, der Türkei und Schweden der Unterschied in den Mathematikleistungen deutlich verringerte, wuchs er in Österreich, Luxemburg und Spanien, heißt es in dem Bericht. Der Unterschied von 22 Punkten (PISA-Test von 2012) in Österreich ist nur in Luxemburg und Chile größer. Zum Vergleich: Der OECD-Schnitt liegt bei elf (2003: ebenfalls elf) Punkten. Insgesamt erzielten Buben und Mädchen zusammen 494 Punkte.
Auch in den Naturwissenschaften weist die Statistik für Österreich relativ große Differenzen zwischen den Geschlechtern aus. Hier liegen lediglich Luxemburg, Großbritannien, Japan und Dänemark vor Österreich (neun Punkte Unterschied zugunsten der Buben). Geht es in Aufgaben darum, „wie ein Wissenschafter zu denken“ und etwa verbale Problemstellungen in mathematische Ausdrücke zu übersetzen, ist nur in Luxemburg (33 Punkte) der Unterschied zugunsten der Buben größer als in Österreich (32 Punkte). Im OECD-Schnitt beträgt die Differenz hier 16 Punkte.
Immer mehr Frauen mit höheren Abschlüssen
Weitere Gender-Differenzen: Ein genereller Trend sei, dass immer mehr Frauen höhere Bildungsabschlüsse erzielen. Besonders klar zeige sich das in Österreich, Tschechien, Italien, Polen, der Slowakei und Slowenien, wo mittlerweile drei Fünftel der Abschlüsse der Sekundarstufe II auf Frauen entfallen, wie in dem Bericht hervorgehoben wird.
Mädchen investieren mehr in Hausaufgaben
Ein interessantes Detail am Rande ist der Befund, dass Mädchen in fast allen Ländern mehr Zeit für Hausübungen aufwenden. In Österreich sitzen Mädchen wöchentlich durchschnittlich 72 Minuten länger bei der Aufgabe. Insgesamt kommen heimische Schüler hier auf rund viereinhalb Stunden und liegen damit knapp unter dem OECD-Schnitt.
Über alle Länder hinweg zeigte sich, dass Buben stärker gefährdet sind, grundlegende Bildungskompetenzen nicht zu erwerben. 60 Prozent der besonders leistungsschwachen Schülern sind männlich. „Ihr Risiko, die Schule abzubrechen, ist dementsprechend höher als das von Mädchen“, heißt es in der Aussendung.
Heinisch-Hosek baut auf Zentralmatura
Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) betonte in Reaktion auf den OECD-Bericht, es gebe zahlreiche Maßnahmen zur Verringerung von Geschlechterunterschieden. Zentrale Testungen wie die Neue Reifeprüfung tragen ihrer Ansicht nach dazu bei, „Gender Gaps“ abzubauen.
„Der OECD-Bericht zeigt, dass Mädchen und Buben von Geburt an geschlechtsspezifischen Zuschreibungen ausgesetzt sind, die sich massiv auf ihren weiteren Bildungs- und damit auch Lebensweg auswirken. Unser Engagement muss einer Bildung und Erziehung gelten, die Kinder individuell nach ihrem Potenzial fördert“, so die Ministerin in einer Aussendung. Mittelfristig würde die standardisierte zentrale Reifeprüfung zu einer Verringerung von Geschlechtsunterschieden beitragen, da alle Schüler die gleichen Aufgaben erhalten und die Subjektivität der Beurteilung minimiert würde.
Der Bericht zeige auch, dass vor allem in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern die Art der Präsentation der Inhalte Geschlechterunterschiede hervorrufen könne. In der Aus- und Weiterbildung der Lehrer soll weiter verstärkt dafür sensibilisiert werden, das eigene Verhalten im Unterricht zu hinterfragen und der Übertragung von Geschlechterstereotypen gezielt entgegenzuwirken, heißt es.
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