Wirtschaft wartet auf Impulse aus Peking
Schrumpfende Industrie, fallende Häuserpreise und Deflationssorgen: In China geht nach langen Jahren des Booms die Furcht vor einer harten Landung der Wirtschaft um. Das steht auch auf der Agenda des Volkskongresses in Peking, wenngleich alle Augen auf die Pläne des Präsidenten Xi Jinping gerichtet sind. Im Hintergrund tobt der Kampf gegen Korruption.
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Ein entsprechendes Klima schafft Xi bereits seit zwei Jahren. Über die Staatsmedien werden die Mitglieder des gigantischen Parteikaders der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) regelmäßig gewarnt - niemand sei vor der Antikorruptionskampagne sicher. Der Präsident wird dabei zur obersten Instanz der „Tigerjäger“ inszeniert. Jedes erfolgreiche Vorgehen gegen einen „Tiger“, also einen Parteibonzen, feiern die Staatsmedien als Erfolg ab. Doch auch „Fliegen“, Mitglieder der mittleren und unteren Ebene, stehen unter Beobachtung.
Rekordzahl an Korruptionsverdachtsfällen
Bereits im Vorfeld des Volkskongresses sollte gezeigt werden, wie ernst es Xi mit seinem zentralen Machtvehikel meint: Erst am Mittwoch erklärte eine Sprecherin des Volkskongresses, dass sich derzeit eine Rekordzahl von Abgeordneten im Visier der Antikorruptionsermittler befinde. Die Strategie Xis ist einfach: dem Volk zeigen, dass alle Macht und Verfügungsgewalt beim Präsidenten liegt. Seine Mittel dazu: Strafen und straffe Zentralisierung.

Reuters/Jason Lee
Der Volkskongress besteht aus rund 3.000 Mitgliedern und ist damit das größte Parlament der Welt - getagt wird jedes Jahr im März
Allerdings kritisierten viele Experten, dass eine Kampagne gegen Korruption nur mit grundlegenden Änderungen im politischen System erfolgreich sein kann - geplant sind solche jedoch nicht. Noch immer steht die Partei über dem Gesetz, und bei Vergehen von Funktionären ermittelt die parteiinterne Disziplinarkommission. „Das Eis gefriert nicht über Nacht“, definierte Parlamentssprecherin Fu Ying einen Zeithorizont - der Kampf gegen Korruption werde weitergehen.
Kampagne strahlt auf die Wirtschaft aus
Doch die Kampagne strahlt mittlerweile auch auf die Wirtschaft aus - und hier schließt sich der Kreis, was schwelende Probleme betrifft. Der stets um die Zementierung der Macht bemühte Li steht unter großem Druck: Im vergangenen Jahr war die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt so langsam wie seit 24 Jahren nicht mehr gewachsen. Mit 7,4 Prozent Wachstum wurde zum ersten Mal seit 1998 die Vorgabe der Regierung verfehlt, die eigentlich 7,5 Prozent angestrebt hatte.
Die Ankurbelung des Inlandskonsums steht auf der Agenda weit oben, die Kaufkraft der Chinesen soll weiter erhöht werden. Das Land will weg von einem Wachstumsmodell, das primär auf Export und Investitionen setzt und hin zu einer Wirtschaft, die stärker vom Binnenkonsum angetrieben wird und die Umwelt weniger stark belastet. Im Vorfeld präsentierte Xi seine diesbezügliche Vorstellung unter dem Titel der sogenannten „vier umfassenden Handlungen“ - auch Wirtschaftsreformen sind ein zentraler Punkt.
„Bescheidener Wohlstand“
Ferner soll eine Gesellschaft mit - so heißt es wörtlich - „bescheidenem Wohlstand“ entstehen. Besonders im Fokus der KPCh: die wachsende Mittelschicht, die genug Geld für laufende Investitionen hat. Schrittweise will sich der Staat aus der Regulierung weiter zurückziehen und den Firmen freiere Hand lassen - die Rechtssicherheit soll steigen. In den Augen der Mächtigen ist das auch eine Voraussetzung für erneuten Schwung. Viele Unternehmer klagen jedoch, dass Entscheidungen über größere Investition verzögert werden.
Hier kommt wiederum der Kampf gegen die Korruption (auch eine der „vier umfassenden Handlungen“) ins Spiel: Funktionäre seien von der Korruptionskampagne so verunsichert, dass sie lieber ein Projekt nicht genehmigten, als später in das Visier von Ermittlern zu geraten. Dieser Hemmschuh ist auch in den höchsten Kreisen angekommen: Premier Li Keqiang hatte bereits gedroht, dass auch ein Verschleppen von Aufgaben ähnlich wie Korruption geahndet werden könne.
Li: „Tief sitzende Probleme“ in der Wirtschaft
Mit höheren Staatsausgaben und Reformen stemmt sich China gegen die Abschwächung seiner Konjunktur. Trotz des geringeren Wachstumsziels von nur noch „etwa sieben Prozent“ sollen die Ausgaben der zentralen und lokalen Haushalte stärker als bisher um 10,6 Prozent zulegen. „Der Abwärtsdruck auf Chinas Wirtschaft nimmt noch zu“, warnte Li am Donnerstag zum Auftakt des Volkskongresses. Das Haushaltsdefizit steigt von 2,1 auf 2,3 Prozent der Wirtschaftsleistung.
„Wir müssen die richtige Balance zwischen der Bewältigung der Schulden und der Wahrung beständigen Wachstums finden“, sagte der Premier in seinem Rechenschaftsbericht vor den knapp 3.000 Delegierten in der Großen Halle des Volkes. Der Erholung der Weltwirtschaft fehle der Schwung. Es gebe mehr Ungewissheiten. Während der Druck auf China zunehme, „treten tief sitzende Probleme in der wirtschaftlichen Entwicklung zutage“, sagte Li. „In diesem Jahr stehen wir möglicherweise vor noch größeren Schwierigkeiten als im Vorjahr.“
Defizit auf 7,5 Prozent geschätzt
Im Haushaltsentwurf wird der Zuwachs des offiziellen Defizits als „angemessen“ beschrieben. Es steigt um 270 Milliarden Yuan (heute 38 Mrd. Euro) auf 1,62 Billionen Yuan (233 Mrd. Euro). Ein Defizit von 2,3 Prozent ist im internationalen Vergleich nicht hoch - doch schätzen westliche Ökonomen die tatsächliche Belastung wegen der hohen Schulden der Kommunen, die nicht in den Büchern auftauchen, auf bis zu 7,5 Prozent.
Auch um die Wirtschaft anzukurbeln, steigert die Zentralregierung die Investitionen in die Infrastruktur um 20 Milliarden auf 477 Milliarden Yuan (68 Mrd. Euro). Kurzfristigen Maßnahmen erteilte Li hierbei aber weiterhin eine Absage: „Wir verfolgen eine vorsichtige und ausgewogene Geldpolitik.“
Gefährliche Immobilienblase?
Generell wandelte sich der einst ungetrübte Boom zu einer durchwachseneren Lage. Erst am Wochenende drehte die Notenbank zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten mit einer Zinssenkung die Geldhähne auf. Das Kalkül: Geschäftsbanken sollen billiges Geld an die Unternehmen weitergeben, sodass diese leichter Kredite für neue Investitionen aufnehmen können. In China hängt die weitere Konjunkturentwicklung aber auch stark von den Maßnahmen ab.
Im Auge muss die Regierung auch den Immobilienmarkt haben: Dieser heizte sich zuletzt gefährlich auf. Lokale Regierungen haben sich zum Ausbau der Infrastruktur in den vergangenen Jahren zudem enorm viel Geld geliehen. Skeptiker befürchten nun das Platzen einer Schuldenblase - mit einem drohenden erheblichen Dämpfer für die Weltwirtschaft.
Urbanisierung mittels „Experiments“
Unterdessen treibt Peking die Bemühungen voran, noch mehr Menschen in urbanen Gebieten anzusiedeln. So plant China den Verkauf von Land in ländlichen Gebieten, das bisher dem Staatsmonopol unterlag. Die Reform ist zunächst als „Experiment“ gedacht, wie ein ranghoher Funktionär am Mittwoch mitteilte. Peking hatte sich Ende 2013 dazu bereiterklärt, Bauern den Verkauf ihrer „Landrechte“ zu gestatten. Millionen Bauern sollte so ermöglicht werden, sich in den Städten anzusiedeln.
Die chinesische Führung sieht in der Urbanisierung eine wichtige Bedingung für Wirtschaftswachstum. Das Versuchsprogramm solle es ermöglichen, zu kommerziellen Zwecken bestimmtes Land in bäuerlichen Gebieten auf dem freien Markt zu tauschen, heißt es auf der Website des Parlaments. Bisher durfte das Land ausschließlich an die Regierung veräußert werden. Die Bauern verfügen lediglich über das Nutzungsrecht des Landes, das in letzter Instanz dem Staat gehört.
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