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Serbien und Kroatien nicht schuldig

Weder Serbien noch Kroatien hat nach einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag im Jugoslawien-Krieg in den 1990er Jahren Völkermord im jeweils anderen Gebiet begangen. Das höchste UNO-Gericht sprach beide Länder von gegenseitigen Völkermordklagen frei. Das Urteil gab der Vorsitzende Richter des IGH, Peter Tomka, am Dienstag bekannt.

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Zwar hätten serbische und kroatische Truppen in dem Krieg von 1991 bis 1995 viele Verbrechen verübt, sagte Tomka. Doch habe Kroatien nicht nachgewiesen, dass Serbien die Absicht gehabt habe, die kroatische Bevölkerung in den besetzten Gebieten in Teilen oder insgesamt zu vernichten.

Verfahren nach 16 Jahren beendet

Die 17 höchsten Richter im Den Haager Friedenspalast wiesen zuerst eine Klage Kroatiens gegen Serbien ab. Anschließend wurde auch Kroatien vom Vorwurf des Völkermordes freigesprochen und die Gegenklage Serbiens abgewiesen. Auch Kroatien habe in dem Krieg keinen Völkermord begangen. Mit dem Urteil ging das fast 16 Jahre dauernde Völkermordverfahren vor dem IGH zu Ende.

IGH verkündet Entscheidung zu Serbien

APA/EPA/Robin van Lonkhuijen

Der Internationale Gerichtshof im Den Haager Friedenspalast

Tomka rief in seinem Schlusswort die beiden Länder auf, sich friedlich zu einigen: „Das Gericht ermutigt die Parteien zu weiterer Zusammenarbeit im Blick auf angemessene Entschädigung, was Frieden und Stabilität in der Region fördern kann.“ Das Urteil war sowohl in Kroatien als auch in Serbien mit Spannung erwartet worden. Beide Staaten hatten Entschädigungsansprüche erhoben.

Klage Kroatiens folgte Gegenklage Serbiens

Kroatien hatte 1999 Serbien des Völkermordes angeklagt, Serbien folgte elf Jahre später mit einer Gegenklage. In der 2.700 Seiten langen kroatischen Klage wurde Serbien für 12.500 Kriegstote und das Leiden von 7.700 Kriegsgefangenen verantwortlich gemacht. Zudem wies die Klage auf die Zerstörung von 1.500 Sakralobjekten hin. Kroatien verlangte von Serbien Angaben über 865 vermisste Kroaten sowie die Rückerstattung von etwa 25.000 Kunstwerken aus 45 kroatischen Museen, Bibliotheken und Privatsammlungen. Daneben wurde auch die Bezahlung des Kriegsschadens verlangt.

Serbien, das ursprünglich die IGH-Zuständigkeit zurückgewiesen hatte, beschuldigte in seiner Gegenklage auf 500 Seiten den Nachbarstaat des Völkermordes während der kroatischen Militäroperation „Oluja“ (Sturm) vom August 1995 zur Rückeroberung der Krajina. Damals wurden 1.719 kroatische Serben ermordet und etwa 250.000 vertrieben, hieß es in der Klage. Die serbische Volksgruppe in Kroatien sei von zwölf Prozent im Jahr 1991 auf vier Prozent nach Kriegsende geschrumpft.

Kroatien enttäuscht - Serbien zufrieden

Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic zeigte sich enttäuscht: „Wir sind nicht zufrieden, aber akzeptieren das Urteil. Von unseren Forderungen an Serbien, dass es den Verbleib der Vermissten aufklärt und (die geraubten) staatlichen Güter zurückgibt, werden wir aber nicht abrücken.“ Djuro Glogoski, einer der Sprecher der seit drei Monaten in Zagreb protestierenden kroatischen Veteranen, sagte: „Hier wurde eine Politik der Gleichsetzung von Opfern und Aggressoren verfolgt“.

„Wir sind zufrieden“, sagte dagegen Serbiens Justizminister Nikola Selakovic, „das Gericht hat unsere Erwartungen erfüllt.“ Der serbische Außenminister Ivica Dacic hatte im Vorfeld des Gerichtsentscheids davon gesprochen, er hoffe auf ein „gerechtes Urteil“.

Auch Bosniens Völkermordklage abgewiesen

Der IGH hat bisher nur ein Urteil zur Genozid-Konvention gesprochen. Das serbische Massaker im ostbosnischen Srebrenica vom Juli 1995 war Völkermord, stellten die Richter 2007 fest. Damals hatten serbische Einheiten rund 8.000 muslimische Buben und Männer ermordet. Das gilt als das schlimmste Verbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. In seinem damaligen Urteil stellte das Gericht zwar fest, dass Serbien, als Rechtsnachfolger von Jugoslawien, den Völkermord nicht verhindert habe, machte es allerdings nicht dafür verantwortlich.

Auch das UNO-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag, das nicht mit dem IGH zu verwechseln ist, hat nur den Massenmord von Srebrenica 1995 in Bosnien als Völkermord anerkannt. Dafür müssen sich noch der ehemalige Serbenführer Radovan Karadzic und der serbische Ex-General Ratko Mladic verantworten. Karadzic soll sein Urteil im Oktober hören, Mladics Prozess 2017. Der ehemalige jugoslawische Staatspräsident Slobodan Milosevic starb noch während seines Prozesses 2006 an einem Herzinfarkt in seiner Zelle. Zu Verbrechen im Balkan-Krieg laufen derzeit noch insgesamt acht Prozesse vor dem Tribunal.

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