Milliardenschwere Prestigeprojekte
Die am Wochenende zu Ende gegangene Handballweltmeisterschaft war nicht das letzte sportliche Großevent, mit dem der Wüstenstaat Katar den Ruhm und das Ansehen des pro Kopf reichsten Landes der Welt zu mehren versucht. Sport wird zum Feigenblatt, das der Welt ein positives Image des Landes vermitteln soll, auch wenn sich dahinter Abgründe auftun.
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Im Sport sei die „katarische Ära“ angebrochen, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ (Montag-Ausgabe) nach Abschluss der Handball-WM in Doha. Ähnlich beschrieb es die „Frankfurter Allgemeine“: „Katar definiert die Supermoderne des Sports neu.“
Die Handball-WM stellte alles in den Schatten, was die Sportart bisher gesehen hatte. Auf über 200 Millionen Euro belief sich das Budget, drei neue Sporthallen wurden aus dem Boden gestampft. Mit knapp 100 Millionen Euro kaufte sich al-Jazeera die Fernsehrechte. Die arabische TV-Station hat ihren Firmensitz in Doha, gegründet wurde der Sender vom Vater des heutigen Staatsoberhaupts von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani. Die Familie gilt seit Jahrzehnten als sportbegeistert.
Katar flächenmäßig so groß wie Tirol
Als Ausrichter internationaler Sportgroßveranstaltungen hat sich der kleine Wüstenstaat, der flächenmäßig so groß ist wie Tirol und mit 2,15 Millionen gerade einmal um knapp 300.000 Einwohner mehr als Wien hat, im Konzert der Großen etabliert. Nicht weniger als sieben Weltmeisterschaften fanden seit 2004 in dem kleinen Emirat statt.

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Scheich Tamim bin Hamad Al Thani ist seit dem Sommer 2013 Katars Machthaber
Bis zum größten Prestigeobjekt, der Fußball-WM 2022, folgen noch weitere Weltmeisterschaften: Boxen, Paralympische Leichtathletik (jeweils Oktober 2015), Straßenradsport (September 2016), Turnen (2018) und Leichtathletik (2019). Auch ein Formel-1-Rennen ist geplant. Und schließlich bewirbt man sich auch noch um die Olympischen Sommerspiele 2024. „Wir sind für alles bereit, für jedes große Event“, sagte Dschoaan bin Hamad bin Chalifa Al Thani, Mitglied der Herrscherfamilie und Präsident des Sportorganisationskomitees auf der Abschlusspressekonferenz der Handball-WM.
Der Trend bei der Vergabe von Sportgroßereignissen der letzten Jahre ist eindeutig. Immer häufiger kommen autoritär regierte Staaten mit mehr oder weniger problematischer Menschenrechtslage in den Genuss der prestigeträchtigen Events. Die Sommerspielen 2008 in Peking sind genauso zu nennen wie die Winterspiele im russischen Sotschi 2014. Auch in Bahrain, wo es permanente Verstößen gegen Menschenrechte gibt, wird mittlerweile jährlich ein Formel-1-Rennen ausgetragen. Katar setzt mit Großevents am laufenden Band nun einen neuen Maßstab.
Die Macht des Öls
„Neureiche Staaten, die ihre Größe und Macht durch Öl erreicht haben, versuchen, sich über den Sport nochmal über ihre eigentliche Größe zu erheben“, kritisierte Regina Spöttl, Katar-Expertin von Amnesty International, im Vorfeld der Handball-WM in der „Welt“.
Die zuständigen Sportverbände rechtfertigten die Vergaben in der Vergangenheit stets mit dem erheblichen Wachstumspotenzial der einzelnen Länder. Dass diese jedoch nur begrenzt demokratische Strukturen aufweisen, spielte keine Rolle. „Der Sport ist längst nur noch ein Vehikel und ein schöner Vorwand, um die Multi-Milliarden-Vermarktungsindustrie dahinter zu rechtfertigen“, klagte Wenzel Michalski, Deutschland-Chef von Human Rights Watch (HRW) im Vorfeld der Handball-WM in Katar.
Problematische Länder ausschließen?
Ein Katalog menschenrechtlicher Standards wäre für ihn ein erster Schritt, um autoritäre Regime über sportliche Großereignisse positiv zu beeinflussen. „So könnte eine Balance zwischen den wirtschaftlichen Interessen der Sportverbände und den humanitären Ansprüchen gefunden werden.“ Sollte das nicht gelingen, müsste man sich laut Michalski ernsthaft überlegen, Diktaturen oder repressive Gesellschaften grundsätzlich bei der Vergabe sportlicher Großereignisse auszuschließen.
Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit
Katar steht spätestens seit 2013 wegen der unmenschlichen Behandlung von Arbeitsmigranten im Fokus internationaler Kritik. Hunderte Gastarbeiter, vor allem aus Nepal und Indien, kamen dort bereits ums Leben. Die Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit ist ein weiterer Punkt, der von HRW kritisiert wird.
Katar schweigt zu diesen Vorwürfen. Deren Sportfunktionäre sprechen in arabischen Medien viel lieber darüber, dass die Förderung des Spitzensports in erster Linie zum Zweck habe, die eher ungesund lebende Bevölkerung zu mehr Bewegung zu animieren. Aber das bezeichnen viele internationale Sportfunktionäre angesichts des riesigen Investitionsvolumens als bloßen Vorwand.
Konkurrenzkampf zwischen den Golf-Staaten
Vielmehr wird vermutet, dass der Ehrgeiz der Scheichs aus dem Konkurrenzkampf mit den anderen reichen Golf-Staaten Kuwait, Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate rührt. „Katar nutzt Sportereignisse zur Propaganda nach außen und nach innen. Das Land will zeigen, was es in der Lage ist, innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden zu stampfen“, sagte der deutsche Sportphilosoph Gunter Gebauer im Vorfeld der Handball-WM gegenüber der „Welt“.
Für die Fußball-WM 2022 ist der Bauwahnsinn für die zwölf Stadien längst im Gange. Dazu wird ein riesiges U-Bahn-Netz mit vier Linien und ein landesweites Schienennetz für Züge über insgesamt 325 Kilometer angelegt. Insgesamt will Katar für die WM laut „Handelsblatt“ 119 Milliarden Euro investieren.

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Das Nationalstadion Katars ist Teil des größten Sportareals der Welt
Ambitionierte Pläne
Doch die Entscheidungsträger denken schon weiter. Unter dem Konzept „Pillars of Qatar“ („Die Säulen Katars“) soll sich das Land bis 2030 - trotz der ohnehin schon riesigen Ölreserven - in allen bedeutsamen Bereichen verbessern und idealerweise weltweit führend sein: ökonomisch, ökologisch, gesellschaftlich.
Der Spitzensport spielt dabei eine wesentliche Rolle. „Bei der Entwicklung einer gesunden und starken Gesellschaft ist die Ausrichtung von Weltklasse-Sportereignissen ein kraftvolles Instrument“, erklärte erst kürzlich Saud bin Abdulrahman Al Thani, Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees (NOK)in einem Interview mit der „Welt“.
Korruptions- und Bestechungsvorwürfe
In europäischen Medien wird diese Entwicklung eher kritisch betrachtet. „Die internationalen Verbände sollten darauf achten, dass das Geld nicht zum Alleinherrscher über den Sport wird“, mahnte die spanische „El Mundo“ nach der Handball-WM.
„Die Handball-WM hat deutlich gemacht, dass das Geld die sportliche Logik über den Haufen werfen kann. Der Sport in Katar wurde künstlich aufgebaut und hat keine Nachhaltigkeit“, ergänzte „El Mundo“. Nur etwa zehn Prozent der Einwohner Katars seien tatsächlich im Land geboren.
Darin sieht auch der deutsche Sportwissenschaftler Helmut Digel das Hauptproblem. „Die Bevölkerung Katars hat ein sehr distanziertes Verhältnis zum Sport. Es gibt keine lebendige, aktive Sportkultur“, sagte er gegenüber der dpa.
Schwache Verankerung des Sports in der Bevölkerung
Die schwache Verankerung des Sports in der einheimischen Bevölkerung spiegelt sich auch bei den Aktiven wider. Katar verfügt kaum über international bedeutende Athleten. Wenn es Erfolge unter katarischer Flagge gibt, dann meist dank Einbürgerungen. Aktuelles Beispiel war die Handball-WM, wo im Nationalkader zwölf von 16 Spielern Legionäre waren.
Das soll sich in den nächsten Jahren ändern, denn Katar will mehr Profisportler aus dem eigenen Land. 2004 wurde deshalb die 290.000 Quadratmeter große Aspire Academy for Sports Excellence eröffnet, eines der weltgrößten Trainingszentren. Umgerechnet 645 Millionen Euro kostete das Juwel.
„Das Einzige, was Katar hat, ist Geld“
Dass Katar mit Hilfe des nötigen Kleingelds sportliche Großereignisse an Land gezogen hat, sorgt auch für Korruptionsvorwürfe. Erst jüngst beschwerte sich der geschlagene Mitbewerber im Rennen um die Leichtathletik-WM 2019, Barcelona, über die aggressive Vorgehensweise Katars, weil dem Weltverband laut spanischen Medien der Zuschlag mit einem 30-Millionen-Euro-Paket versüßt worden war. „Das Einzige, was Katar hat, ist Geld“, schimpfte der Chef des spanischen Leichtathletikverbands, Jose Maria Odriozola. Wegen der Vergabe der Fußball-WM 2022 wittern Experten seit Monaten einen Bestechungsskandal beim Fußballweltverband (FIFA).
Doch sämtliche Kritikpunkte zeigten im Emirat bisher kaum Wirkung. Dort sieht man sich bereits als neue Sportweltmacht. „Wir wollen Katar zum weltweiten Sport-Mekka machen und die Messlatte für andere Länder bei der Organisation künftiger Sportevents höher legen“, sagte Saud bin Abdulrahman Al Thani.
Franz Hollauf, ORF.at
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