Wie De Sade gesehen wird
Die Rezeptionsgeschichte des Werkes des französischen Enfant terrible der Literatur, des „schwarzen Grafen“ Marquis Donatien Alphonse Francois de Sade, ist von der vorherrschenden Moral oder eben der Negation davon abhängig. Gerade im Laufe des letzten Jahrhunderts wurde De Sade von allen möglichen Gruppierungen in Anspruch genommen.
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Bis weit ins 20. Jahrhundert wurde von Moralhütern allerdings immer wieder vor der schädlichen Wirkung seiner Bücher auf Leser gewarnt. Das Buch „Sade - Stationen einer Rezeption“, herausgegeben von Ursula Pia Jauch, versammelt zahlreiche Texte aus zwei Jahrhunderten von Schriftstellern und Philosophen, die sich mit De Sade und seinem Einfluss beschäftigen bzw. über De Sade nachgedacht haben.

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De Sade, wie ihn Man Ray sah
Eine erste Hochblüte in der Rezeption erreichte De Sade ab er zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Symbolisten in Frankreich. Diese hatten großen Einfluss auf die Surrealisten rund um Andre Breton. Die philosophische und geistige Freizügigkeit und Unkonventionalität des Werkes und der Person De Sades faszinierten.
Bataille in großen Fußstapfen
Der vor allem durch seine Fotografien bekannt gewordene Künstler Man Ray war von De Sades Schriften fasziniert und malte ein (fiktives) Porträt des Schriftstellers als fetten Mann, der aus Ziegelsteinen zusammengesetzt ist - ein Verweis auf die lange Zeit, die De Sade hinter Mauern verbringen musste.
Auch das Werk des französischen Bibliothekars, Philosophen und Schriftstellers George Bataille ist ohne die Beschäftigung mit De Sade, etwa in seiner Erzählung „Die Geschichte des Auges“ nicht denkbar. Bataille faszinierte auch die chinesische Hinrichtungsart der „tausend Schnitte“, bei der das Opfer zuvor mit Opium gegen den Schmerz unempfindlich gemacht wurde und seiner eigenen Zerteilung zuschaute.
Bataille beschäftigte sich zudem mit der historischen Figur eines Weggefährten Jeanne D’Arcs in seinem Buch „Gilles de Rais, Leben und Prozess eines Kindermörders“. De Rais vergewaltigt und foltert Kinder bei Orgien bis er sie schließlich tötet. Eine Figur, die auch aus einem Werk De Sades stammen könnte.
Die Dialektik der Aufklärung
Die beiden deutschen Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno beschäftigten sich in ihrer im Exil in den USA geschriebenen, 1944 erschienen „Dialektik der Aufklärung“ mit De Sade. Er wird hier zum radikalen Aufklärungsphilosophen im Sinne der „Aufklärung der Aufklärung“ stilisiert, im Gegensatz zu dem Philosophen der Aufklärung, Immanuel Kant.
Wichtig wird De Sade auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Schriftsteller und Maler Pierre Klossowski sieht in seinem Buch „Sade - mein Nächster“ dessen Werk ebenfalls als Ausbruch aus der Aufklärung. Doch auch Existenzialisten reklamierten De Sade für sich, von Albert Camus und Simone de Beauvoir wird er ebenfalls zum Revolutionär und Rebellen hochstilisiert.
In der Postmoderne angekommen
Der „Freud freudianisierende“ Psychoanalytiker Jacques Lacan hat sich mit ihm ebenso beschäftigt wie der der Postmoderne zugeordnete französische Philosoph Gilles Deleuze. Auch der französische Philosoph Michel Foucault widmete sich dem Werk De Sades. Ihn interessierte vor allem die Sprache und deren Struktur, die das Unaussprechliche aussprach - einfacher ausgedrückt: De Sade nahm sich kein Blatt vor den Mund und nannte die Dinge beim Namen.
Lange vor Siegmund Freud, dem Gründer der Psychoanalyse, hatte sich De Sade mit der Körperlichkeit und dem sexuellen Begehren und deren Auswirkungen auseinandergesetzt. Er setzte Verbindungen, die man erst Anfang des 20. Jahrhunderts in Form der Psychoanalyse ernst zu nehmen begann. Der Eros wurde von dem herrschenden bürgerlichen Korsett und der Moral befreit und zu sich selbst gebracht, Emotionen und Begehren wurden als eigene Elemente und Triebkräfte verstanden und anerkannt.
Was Pasolini daraus machte und Cardin kaufte
Dieser Erkenntnis widmete sich auch der italienische Regisseur und Autor Pier Paolo Pasolini. Pasolini verfilmte De Sades Werk „Die 120 Tage von Sodom“, das er in dem von Nazi-Deutschland abhängigen faschistischen Marionettenstaat in Norditalien, der „Republik von Salo“, in die sich der italienische Diktator Benito Mussolini zurückgezogen hatte, spielen ließ. Der Film ist voll expliziter Gewalt- und Sexszenen.
Buchhinweis
Ursula Pia Jauch (Hrsg.): Sade - Stationen einer Rezeption. Suhrkamp, 469 Seiten, 20,60 Euro.
Eine eher landschaftliche Faszination für das Sade’sche Erbe fand der französische Modeschöpfer Pierre Cardin. Er kaufte vor mehr als einem Jahrzehnt das Stammschloss Lacoste der De Sades in der Provence. „Das Grundstück hat mich sofort verzaubert“, so der Couturier und Kunstliebhaber Cardin.
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