Wo die Funktion der Form folgt
Die Gebäude von Frank Gehry sind vielerorts zu Architekturikonen und Touristenattraktionen geworden. Die Bezeichnung „Stararchitekt“ kann Gehry dennoch nicht leiden. „Es gibt Menschen, die Gebäude entwerfen, die technisch und finanziell nicht gut sind, und dann gibt es Menschen, die das Gegenteil machen“, so Gehry einst gegenüber dem „Independent“, „zwei Kategorien, ganz simpel.“
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Gefeiert wird der mit zahlreichen Preisen - darunter 1989 der bedeutendsten Architektur-Auszeichnung, dem Pritzker-Preis - ausgezeichnete Gehry für seine Bauten aber trotzdem seit Jahren: Den „berühmtesten lebenden Architekten der Welt“ nannte ihn der „Independent“ und die „Financial Times“ lobte, seine Errungenschaften könnten nur als „brillant“ bezeichnet werden. Sogar in einer Episode der Zeichentrick-Serie „Die Simpsons“ wurde Gehry verewigt - und sprach sich selbst.
„Jedes Mal leide ich“
Trotz seines Alters hat er immer noch zahlreiche Großprojekte in Planung und Bau. So wurde erst im Jänner einer seiner Entwürfe für ein 39 Stockwerke hohes Gebäude am Berliner Alexanderplatz ausgewählt. 2017 sollen die ersten Bewohner in das dann höchste Wohnhaus Deutschlands einziehen können.
Unter anderem sind Museen in Panama und Abu Dhabi im Bau und Projekte in Barcelona, Washington, New York, Venezuela und Frankreich im Gespräch. Leicht von der Hand gingen ihm die zahlreichen Entwürfe allerdings nicht, zitierte Gehry einst der „Independent“. „Jedes Mal leide ich, als müsste ich das ganze Leben neu beginnen. Da ist viel gesunde Unsicherheit, die diese Dinge antreibt.“
Kanadier mit polnischen Wurzeln
Geboren wurde Gehry 1929 als Frank Goldberg in der kanadischen Metropole Toronto. Seine Eltern waren jüdische Einwanderer aus Polen. Fast 80 Jahre später schuf der dann schon weltberühmte Baumeister erstmals ein Projekt in seiner Heimatstadt: die Umgestaltung der traditionsreichen Art Gallery of Ontario.
„Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen, bis ich 17 war - da ist ein Haufen emotionales Zeug damit verbunden“, erzählte Gehry damals der Nachrichtenagentur dpa. „Meine Großmutter lebte hier nur die Straße hinunter. Sie ging immer zu so einem kleinen Tischler um die Ecke und holte die Holzabfälle. Und dann setzte sie sich mit mir auf den Boden, und wir bauten Häuser und Städte und so Zeug. Ich weiß nicht, warum sie das gemacht hat, aber es ist mein Leben geworden.“
Nach dem Schulabschluss verließ Gehry Toronto und zog in die kalifornische Metropole Los Angeles. Nachdem er alles Mögliche ausprobiert und unter anderem als Lastwagenfahrer gearbeitet hatte, begann er schließlich ein Architekturstudium an der University of Southern California. In dieser Zeit heiratete er auch seine erste Frau Anita Snyder, mit der er zwei Töchter bekam, und änderte seinen Nachnamen. Ein Aufbaustudium im Fach Städteplanung an der renommierten Harvard-Universität enttäuschte Gehry, und er brach es ab. 1968 wurde seine Ehe mit Snyder geschieden.
Aufträge aus der ganzen Welt seit den 80er Jahren
Einige Jahre zuvor hatte Gehry bereits seine eigene Architekturfirma in Los Angeles gegründet und erste, zunächst kleinere Aufträge bekommen. Auch sein eigenes Haus im Stadtteil Santa Monica renovierte er auf exzentrische Art und Weise um. Zunächst baute er hauptsächlich in Kalifornien, aber in den 80er und 90er Jahren begannen sich auch die Aufträge aus dem Rest des Landes und der ganzen Welt zu häufen: 1989 entstand das Vitra Design Museum in Weil am Rhein, 1992 eine goldglänzende Fischstatue anlässlich der Olympischen Spiele in Barcelona, 1994 die Cinematheque francaise in Paris, 1996 das Tanzende Haus in Prag und 1999 der Neue Zollhof in Düsseldorf.
Seinen Ruf als brillanter Architekt festigen sollte aber vor allem ein Gebäude: das 1997 fertiggestellte Guggenheim-Museum in Bilbao, ein dekonstruktivistisches Gebäude aus Glas, Titan und Kalkstein, dessen außergewöhnliche und extravagante Formen im Sonnenlicht betörend funkeln. Es entwickelte sich zu einer der wichtigsten Touristenattraktionen der Region.
„Die Museumswelt denkt ja, ich mache absichtlich schräge Ausstellungsräume, um es den Künstlern schwerzumachen, aber das stimmt nicht“, sagte Gehry einmal der dpa. „Ich mag nur diese weißen Schuhschachteln nicht. Neutralität ist nicht neutral, sie entwertet Kunst.“
Gebäude „fast wie Teil meiner Familie“
2003 wurde sein nächstes Starprojekt fertig: die Walt-Disney-Konzerthalle in Los Angeles, ein silbern glänzendes Formenensemble, das mit dazu beitrug, die Innenstadt der Millionenmetropole neu zu beleben. „Ich gehe oft dorthin“, sagte Gehry, der inzwischen seit 1975 mit der aus Panama stammenden Berta Isabel Aguilera verheiratet ist und mit ihr zwei Söhne hat, jüngst der „Financial Times“. „Es ist eines der Gebäude in meinem Leben neben meinem eigenen Haus, das ich benutze und wo ich viel Arbeit erledige, fast wie ein Teil meiner Familie.“
Kritik, dass bei ihm Form vor Funktion gehe, weist Gehry, der inzwischen neben der kanadischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, von sich. „Für mich geht es immer darum, mit Menschen zu arbeiten und sie glücklich zu machen. Dann habe ich etwas erreicht. Vielleicht bin ich geboren worden, um anderen eine Freude zu machen.“
Christina Horsten, dpa
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