Themenüberblick

Binnenmarkt verhindert Schlimmeres

Nach den führenden internationalen Forschungsinstituten korrigiert jetzt auch die deutsche Regierung ihre Konjunkturprognosen deutlich nach unten. Den neuen Zahlen zufolge werden die Zuwächse in der deutschen Wirtschaft in diesem und im kommenden Jahr um fast 40 Prozent geringer ausfallen als ursprünglich angenommen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll heuer statt der bisher erwarteten 1,8 nur noch um 1,2 Prozent wachsen. Für 2015 geht die Regierung von einem BIP-Wachstum von 1,3 Prozent aus. Bisher waren zwei Prozent erwartet worden. „Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem außenwirtschaftlich schwierigen Fahrwasser“, sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Dienstag in Berlin.

Verunsicherungen auf den Weltmärkten

In seiner Einschätzung der Ursachen folgte der deutsche Vizekanzler weitgehend den führenden Forschungsinstituten. Sie hatten ihre Prognosen vergangene Woche wegen der Flaute in der Euro-Zone, der Ukraine-Krise und anderen Risiken kräftig zurückgenommen. Auch Gabriel nannte als Grund für die Korrektur der Prognosen vor allem, dass die Unternehmen angesichts ungewisser Absatzchancen auf den Weltmärkten weniger investierten.

„Geopolitische Krisen haben auch in Deutschland die Verunsicherung erhöht, und die nur moderate weltwirtschaftliche Entwicklung belastet die Konjunktur“, so der Vizekanzler. Bei Investitionen in Ausrüstungen wie Maschinen sagt die Regierung für 2014 jetzt nur noch ein Plus von drei Prozent voraus. Zuvor war sie noch von 6,3 Prozent ausgegangen.

Vertrauen auf Arbeitsmarkt

Schlimmeres verhindert Gabriel zufolge der stabile Binnenmarkt. „Der weiterhin robuste Arbeitsmarkt bildet dafür die Grundlage“, so der Wirtschaftsminister. „Löhne und Beschäftigung nehmen weiter zu. Das beflügelt die Ausgaben für Konsum und Wohnungsbau der privaten Haushalte.“ Die Zahl der Beschäftigten dürfte in diesem Jahr um 325.000 steigen, 2015 aber nur noch gut halb so stark. Die Zahl der Arbeitslosen soll mit jeweils rund 2,9 Millionen weitgehend stabil bleiben. Die Nettolöhne und -gehälter dürften 2014 je Arbeitnehmer um 2,6 Prozent zulegen, im kommenden Jahr um 2,7 Prozent.

Regierung will an Kurs festhalten

Eine klare Absage erteilte Gabriel Forderungen nach einem Kurswechsel. „Es gibt überhaupt keinen Grund für Alarmismus“, so der Wirtschaftsminister. Es gebe auch keinen Grund, den wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Kurs zu verlassen oder zu verändern. Der für 2015 von der schwarz-roten Koalition angestrebte ausgeglichene Haushalt bleibe erreichbar, sagte der SPD-Chef auch in Richtung der eigenen Reihen.

Innerhalb der SPD waren bereits Stimmen laut geworden, die eine „schwarze Null“ im Bundeshaushalt wieder infrage stellten. Ein ausgeglichener Haushalt gilt allerdings als ein zentrales Ziel der Koalition von Union und SPD: Erstmals seit 1969 soll der Bund ohne neue Kredite zur Deckung seiner Ausgaben auskommen.

Ohne neue Schulden

Deshalb will Gabriel die Konjunktur zwar mit verstärkten Investitionen anschieben: „Deutschland muss deutlich mehr in seine Infrastruktur investieren“, so der Wirtschaftsminister. „Und die Rahmenbedingungen für private Investitionen müssen verbessert werden.“ Einmal mehr sprach sich Gabriel aber gegen schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme aus - und stellt sich damit gegen Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds (IWF).

Der IWF hatte erst vergangene Woche Industrieländer zu deutlich mehr Investitionen in Energie-, Verkehrs- und Datennetze aufgefordert - selbst wenn dafür neue Schulden nötig seien. Der deutsche Wirtschaftsminister sieht in einer weiteren Verschuldung freilich keinerlei Auswirkungen auf eine nachhaltige Belebung der Wirtschaft. „Mehr Schulden in Deutschland schaffen kein Wachstum in Italien, Frankreich, Spanien oder Griechenland“, so Gabriel.

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hielt am Dienstag am grundsätzlichen Sparkurs der Regierung fest. Sie sehe keinen Grund, davon abzuweichen, sagte Merkel in einer Sitzung der Unionsfraktion. Wachstum und solide Haushalte seien keine Gegensätze, und die niedrigeren Prognosen seien nicht mit der Lage während der Finanzkrise 2008/09 zu vergleichen, so Merkel weiter.

Mögliche Folgen für deutsches Budget

Ins selbe Horn stieß der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Rande des Finanzministertreffens in Luxemburg: „Wir sind uns in der Bundesregierung völlig einig, dass wir in schwierigeren Zeiten am Kurs festhalten.“ Er gehe davon aus, dass die Koalition am geplanten Haushalt festhalten könne.

Tatsächlich dürften aber auf die deutsche Bundesregierung - allen voran auf den Finanzminister - größere budgetäre Herausforderungen zukommen. Die aktualisierte Konjunkturprognose bildet die Grundlage für die Steuerschätzung im November. Diese wiederum gilt als Orientierungshilfe für die Aufstellung der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen. Die deutsche Regierung könnte durch die schwächere Wirtschaft am Ende Einnahmen in Milliardenhöhe einbüßen.

Links: