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Entscheidung steht bevor

Die Türkei hat trotz ihrer Nachbarschaft zu Syrien und dem Irak bisher alles getan, um sich aus dem Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) herauszuhalten. Das dürfte sich angesichts des IS-Vormarsches bald ins Gegenteil verkehren, wie der türkische Vizepremier Bülent Arinc am Dienstagabend bestätigte.

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Die für Donnerstag geplante Verlängerung des Militärmandats im Hinblick auf die türkische Südgrenze - kurdische Angriffe sowie der Schutz vor den Truppen von Syriens Machthaber Baschar al-Assad - wird vom Parlament nun zu einem generellen Mandat für das Militär gemacht, um „alle Risiken und Gegenmaßnahmen dazu einzuschließen“, wie Arinc sagte. Das bedeute Schläge gegen IS ebenso wie die Erlaubnis für verbündete Truppen, türkisches Territorium zu nützen, so der Stellvertreter von Recep Tayyip Erdogan.

Ankara in taktischer Zwickmühle

Die Türkei hatte bisher eine Einmischung in die Kämpfe aus der Angst gescheut, dass durch eine Bekämpfung des IS letztlich Assad und kurdische Kämpfer gestärkt werden, die mit PKK-Rebellen im eigenen Land verbündet sind. Nun macht der IS-Vormarsch in Richtung der türkischen Grenzregionen weiteres Zuwarten kaum möglich. Schon jetzt sind an der Grenze einem Medienbericht zufolge zwei türkische Brigaden mit insgesamt rund 10.000 Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt worden.

Syrische Flüchtlinge an der türkischen Grenze

APA/EPA/Sedat Suna

Tausende fliehen vor den Kämpfen

Ihre NATO-Verbündeten hat die Türkei jedoch noch nicht um Unterstützung wegen des Vorrückens von IS gebeten. Es habe keine spezifische Anfrage des Bündnispartners für weitere Konsultationen gegeben, teilte ein NATO-Sprecher mit. Der NATO-Rat führe aber regelmäßig Gespräche über die Lage an der Südostgrenze der Allianz. Laut Artikel 5 der NATO-Verträge wären die anderen Mitgliedsstaaten des Verteidigungsbündnisses zum militärischen Beistand verpflichtet, wenn ein Mitglied angegriffen wird.

Warnung vor Massaker in Ain al-Arab

Wie nah die Kämpfe bereits an die Grenze herangerückt sind, ist inzwischen sogar hörbar. Die Schüsse aus der seit Tagen umkämpften Grenzstadt Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) hallen bis auf türkisches Gebiet. IS rückt von drei Seiten immer weiter auf die Stadt vor. Die Extremisten seien nur noch zwei Kilometer von Kobane entfernt, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag. Zwischen den Stellungen der beiden Seiten liege nur noch ein freies Feld. „Die Kämpfer können einander sehen“, so Sprecher Rami Abdel Rahman.

Karte zeigt Kampf um Ain al-Arab

APA/ORF.at

Die IS-Extremisten kontrollieren bereits über 300 Dörfer im Umland der Stadt. Die Orte liegen an der türkischen Grenze in einer Enklave, die bisher von kurdischen Volksschutzeinheiten kontrolliert wird. Wenn die Verteidiger der Stadt nicht rasch militärische Hilfe von außen bekämen, sei IS nicht mehr zu stoppen, warnte der Chef der Kurden-Partei PYD, Saleh Muslim. Sollten die Islamisten die Stadt an der Grenze zur Türkei einnehmen, würden sie alles zerstören und die Menschen abschlachten: „In ein paar Tagen wird es entschieden sein, so oder so.“

Türkische Soldaten eingekesselt

Neben der Lage in Ain al-Arab ist es vor allem das bereits umzingelte Mausoleum von Süleyman Shah rund 30 Kilometer südlich von Ain al-Arab, das die Türkei zum Handeln zwingt. Das Grabmal des Großvaters des ersten osmanischen Sultans ist eine türkische Exklave auf syrischem Gebiet. Arinc bestätigte am Dienstag Medienberichte, wonach IS-Verbände immer weiter auf das Mausoleum vorrücken, das gemäß einem Abkommen aus dem Jahr 1921 türkisches Territorium ist und von einer Gruppe türkischer Soldaten bewacht wird.

Arinc trat aber Berichten entgegen, das Grabmal sei von IS besetzt und die Soldaten gefangenen genommen worden. Ankara hatte bereits früher gewarnt, dass es einen Angriff auf das Mausoleum als Angriff auf sein Hoheitsgebiet werten und entsprechend reagieren werde. Während des ganzen syrischen Bürgerkriegs, der 2011 begonnen hatte, hielt die Türkei an der militärischen Präsenz dort fest. Schon im März hatte IS die Türkei dazu aufgerufen, das Mausoleum aufzugeben. Erdogan erklärte damals, ein Angriff auf das Gelände werde als Angriff auf die Türkei gewertet.

Erfolge im Kampf gegen IS im Irak

Wegen der Kämpfe um Ain al-Arab sind in den letzten Tagen Tausende Bewohner der Region in die Türkei geflohen. IS will mit der Eroberung von Ain al-Arab ihre Stellung in Syrien ausbauen, wo sie wie im benachbarten Irak große Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht hat. Die USA unterstützen den Irak seit August mit Luftangriffen gegen IS-Stellungen. Seit vergangener Woche greifen sie zusammen mit arabischen Verbündeten die Miliz auch in Syrien aus der Luft an. Erstmals beteiligte sich am Dienstag auch Großbritannien an Luftschlägen im Irak.

Australischer Aufklärer im Einsatz

Australien unterstützt seit Mittwoch den Kampf gegen IS mit Aufklärungs- und Tankflugzeugen, wie Premierminister Tony Abbott dem Parlament in Canberra mitteilte. Er bezeichnete die Miliz als „apokalyptischen Todeskult“. Kampfflugzeuge, die Stellungen der Milizen bombardieren könnten, seien noch nicht im Einsatz, betonte er. „Wir haben noch keine endgültige Entscheidung über den Kampfeinsatz unserer Truppen gefällt“, sagte Abbott.

Im Irak konnten kurdische Peschmerga-Truppen dadurch Boden gutmachen. Am Dienstag eroberten sie nach eigenen Angaben einen strategisch wichtigen Grenzübergang nach Syrien und kappten so eine wichtige Nachschubroute der Islamisten. Südlich von Kirkuk nahmen sie nach Angaben eines Vertreters der irakischen Sicherheitskräfte zwei Dörfer ein. Außerdem rückten irakische Einheiten demnach in die ländlichen Gebiete rund um die Ölstadt vor, nachdem in der Region in der Nacht zuvor mehrere Luftangriffe geflogen worden seien.

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