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„Nur eine erste Diskussion“

Wegen des Streits um Spitzenposten hat der EU-Sondergipfel am Mittwochabend mit zwei Stunden Verspätung begonnen. Vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs weitete sich der Streit um die Kandidaten für den neuen Chefdiplomaten und den EU-Ratspräsidenten aus. Ob es am Mittwoch überhaupt zu einer Entscheidung kommt, ist unklar.

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Die geplanten Entscheidungen könnten auf August verschoben werden, hieß es am Abend aus Insiderkreisen. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schloss nicht aus, dass die geplanten Personalentscheidungen verschoben werden könnten. „Es kann sehr gut sein, dass es nur eine erste Diskussion gibt“, so Merkel, die am Donnerstag ihren 60. Geburtstag feiert. „Ob das heute schon gelingt, glaube ich eher nicht, aber wir schauen mal.“

Der niederländische Regierungschef Mark Rutte sagte, eine Einigung über ein oder zwei Posten sei möglich. Es sei aber auch „keine Katastrophe, wenn es nicht beim ersten Versuch gelingt“.

Gefallene Favoritinnen

Bei dem Treffen wollen die Staats- und Regierungschefs über das Amt des hohen Vertreters der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik entscheiden. Noch ist das die Britin Catherine Ashton. Es geht zudem um den nächsten EU-Ratspräsidenten und einen hauptamtlichen Chef der Euro-Gruppe.

Helle Thorning Schmidt

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Die dänische Ministerpräsidentin Thorning-Schmidt will die Nachfolge von Van Rompuy nicht antreten.

Insgesamt muss ein Paket geschnürt werden. Als Favoritin für die Nachfolge des EU-Ratspräsidenten Herman van Rompuy wurde wochenlang die sozialdemokratische dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt gehandelt. Sie wiederholte am Mittwoch allerdings ihre ablehnende Haltung: „Ich bin keine Kandidatin, ich habe es mehrfach gesagt und ich füge nichts hinzu.“ Die Chancen der ebenfalls als aussichtsreiche Kandidatin gehandelten, italienischen Außenministerin Federica Mogherini auf das Außenbeauftragtenamt sanken vor Gipfelbeginn.

Faymann: „Entschieden ist noch gar nichts“

Kritiker warfen der linken Politikerin unter anderem mangelnde Erfahrung vor, weil die 41-Jährige erst seit Februar in Rom im Amt ist. Als mögliche Alternative galt die konservative bulgarische EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Kristalina Georgiewa.

Werner Faymann und Angela Merkel

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Faymann macht sich für Mogherini stark. Ein Geburtstagsgeschenk für Merkel hat er in Brüssel auch dabei: das Buch „Einsteins Spuk: Teleportation und weitere Mysterien der Quantenphysik“ mit einer persönlichen Widmung des Quantenphysikers Anton Zeilinger.

Frankreichs Präsident Francois Hollande sagte, seinem Land komme es weniger auf Personen als auf Ziele und Ausrichtung an. Über die beiden Topposten werde seit Tagen gesprochen. „Entschieden ist noch gar nichts“, betonte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bei seinem Eintreffen im EU-Ratsgebäude in Brüssel. Die italienische Außenministerin Mogherini nannte er „eine ausgezeichnete Kandidatin“ für den Posten des EU-Außenbeauftragten.

Vorbehalte aus Osteuropa

Die Christdemokraten und Konservativen im EU-Parlament pochen auf einen erfahrenen Außenpolitiker, „der dem Gewicht Europas auch ein Gesicht geben kann“, so der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. Vorbehalte gegen Mogherini kommen auch aus Osteuropa. Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite sagte vor Gipfelbeginn: „Wir wollen eine Person sehen, die zumindest nicht pro-Kreml ist.“

Die Person für den Posten müsse Erfahrung mitbringen und neutral sein. Sie sollte so weit wie möglich alle Meinungen, etwa im Fall des Ukraine-Konfliktes, reflektieren, so Grybauskaite. Speziell auf Mogherinis Hintergrund angesprochen, sagte Grybauskaite: „Das ist ein Problem.“ Die Italienerin ist erst vier Monate im Amt und gilt zudem als Russland-freundlich.

Van Rompuy schlug angeblich Letta vor

Van Rompuy soll den italienischen Ex-Premier Enrico Letta als seinen Nachfolger vorgeschlagen haben. Das berichtet die italienische Nachrichtenagentur ANSA unter Berufung auf informierte Quellen in der EVP. Demnach soll der Vorschlag Van Rompuys auf dem Treffen der EVP vor dem Gipfel durchaus auf Zustimmung gestoßen sein. Sollte Italien Letta als Ratspräsidenten unterstützen, könnte es einen breiten Konsens für die Bulgarin Georgiewa als EU-Außenbeauftragte geben, heißt es.

Matteo Renzi

APA/EPA/Stephanie Lecocq

Italiens Premier Matteo Renzi drängt darauf, dass Mogherini den Posten als Außenbeauftragten erhält

Stubb: „Nicht der allerbeste Start“

Der finnische Regierungschef Alexander Stubb kommentierte die Verschiebung des Gipfelstarts im Kurznachrichtendienst Twitter mit den Worten: „Das ist nicht der allerbeste Start. Sieht aus, als würde es die ganze Nacht dauern.“ Aus seiner Sicht solle vor allem über den nächsten EU-Außenbeauftragten entschieden werden, sagte Stubb bei einem Vorbereitungstreffen der EVP in Brüssel. Man habe „keine Eile“ für eine Entscheidung über weitere Topjobs.

Auch sein Amtskollege Fredrik Reinfeldt aus Schweden will zunächst über die Nachfolge von Ashton entscheiden. „Am wichtigsten ist der Hohe Repräsentant, er ist der Schlüssel zur restlichen Kommission“, sagte Reinfeldt. Bei den restlichen Posten sei eine Balance zwischen Parteienfamilien, Geschlechtern und zwischen Ost- und West- sowie Süd- und Nordeuropa nötig.

Schwieriger Balanceakt

Laut Lissabon-Vertrag ist bei der Kandidatenkür für die Topposten Kommissionschef, Ratspräsident und Außenbeauftragter die geografische und demografische Vielfalt der Union zu berücksichtigen. Auch eine Balance zwischen Frauen und Männern sowie den großen Parteifamilien Sozialdemokraten und Konservativen wird angestrebt. So wollen die europäischen Sozialdemokraten zwei der insgesamt vier Brüsseler Topposten.

„Es ist ganz logisch, dass wir beide Posten beanspruchen“, sagte EU-Parlamentschef Martin Schulz. Sie unterstützen daher Mogherini und Thorning-Schmidt. Nach einem Bericht der französischen Zeitung „Le Monde“ soll der französische Sozialist und frühere Finanzminister Pierre Moscovici EU-Währungskommissar werden. Die Konservativen haben allerdings Vorbehalte gegen ihn. Das wichtige Amt des Währungskommissars dürfe nicht von jemandem besetzt werden, der dem „Schuldenmachen“ verschrieben sei, erklärte EVP-Fraktionschef Manfred Weber.

Ukraine-Sanktionen auf der Agenda

An der Spitze der Kommission steht der frühere luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker. Er wurde am Dienstag vom Europaparlament gewählt. Weitere Themen des eintägigen Treffens sind die Ukraine und die Gewalt im Nahen Osten. Die EU bereitet eine Verschärfung ihrer Sanktionen gegen Russland vor.

Sie wolle jetzt auch Unternehmen, die zur Destabilisierung der Ukraine beitragen, auf eine schwarze Liste setzen, sagten EU-Diplomaten. Merkel betonte, dass „der russische Beitrag zu einem Frieden in der Ukraine noch nicht ausreichend“ sei. Auch der britische Premier David Cameron forderte „eine klare Botschaft“ an Russland. Das Verhalten Russlands im Ukraine-Konflikt sei „inakzeptabel“.

Briten hoffen auf Wirtschaftsressort

Bei der Postenvergabe könnte die britische Regierung wegen ihres heftigen Widerstands gegen Juncker als EU-Kommissionschef leer ausgehen. Die übrigen EU-Staaten seien wenig geneigt, Cameron beim Personalpaket entgegenzukommen, sagten zwei EU-Diplomaten.

Die Regierung in London hat zwar weder für den Posten des EU-Außenbeauftragten noch für die Nachfolge von Van Rompuy einen Kandidaten ins Rennen geschickt, Diplomaten zufolge hofft das Königreich aber auf eines der drei wichtigen Wirtschaftsressorts in der EU-Kommission: Wirtschaft und Währung, Binnenmarkt oder Wettbewerb. Nach EU-Recht obliegt die Besetzung der einzelnen Bereiche dem Chef der Brüsseler Behörde. Von den drei Wirtschaftsportfolios in der Kommission gehe aber vermutlich keines an Großbritannien, sagte ein EU-Diplomat: „Sie belohnen niemanden, der gegen sie gewesen ist.“

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