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„Wenig glaubwürdige Vorwürfe“

Nach der Schmiergeldaffäre um die Weltausstellung 2015 in Mailand erschüttert ein weiterer Korruptionsskandal Italien. Nach umfangreichen Ermittlungen wurden am Mittwoch 35 Personen, darunter auch der Bürgermeister von Venedig, Giorgio Orsoni, verhaftet. Der Vorwurf: Beim prestigeträchtigen Hochwasserprojekt MOSE sollen zig Millionen Euro in schwarze Kassen geflossen sein.

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Die Gelder sollen nach Angaben des leitenden Staatsanwaltes Luigi Delpino auf ausländische Konten überwiesen worden sein. Der Großteil sei „zur Finanzierung politischer Parteien auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene“ verwendet worden, so Delpino auf einer Pressekonferenz weiter.

Über hundert Verdächtige

Unter den Festgenommenen sollen sich neben Orsoni und weiteren Politikern auch mehrere Firmenchefs und ein pensionierter hochrangiger Polizeikommandeur befinden. Die Zahl der Verdächtigen ist aber offenbar viel länger: Italienischen Medienberichten zufolge sollen insgesamt rund 100 Personen in die fragwürdigen Machenschaften verwickelt sein. Als prominentes Beispiel wurde von der Nachrichtenagentur ANSA der langjährige Präsident der Region Venetien und ehemalige Agrarminister Giancarlo Galan genannt, der als Abgeordneter des italienischen Parlaments derzeit allerdings Immunität genießt.

Bürgermeister Giorgio Orsoni

AP/Luigi Costantini

Seit 2010 im Amt: Venedigs Bürgermeister Orsoni

Den Berichten zufolge waren am Mittwoch Hunderte Finanzbeamte in der Causa MOSE im Einsatz. Durchsucht wurde auch das Büro von Venedigs Bürgermeister. Razzien wurden aber nicht nur in Venetien, sondern auch in den Regionen Latium, Lombardei und Emilia-Romagna durchgeführt, wobei auch Güter im Wert von rund 40 Millionen Euro beschlagnahmt worden seien.

Von der Staatsanwaltschaft von Venedig wurden bereits vor drei Jahren Ermittlungen zur Praxis der Auftragsvergabe bei dem MOSE-Projekt eingeleitet. Dabei kam den Medienberichten zufolge eine schwarze Kasse ans Licht, die mit Bestechungsgeldern und Zahlungen aus gefälschten Rechnungen gefüllt wurde.

Seit drei Jahren wird ermittelt

Das als MOSE bekannte Großprojekt Module sperimentale elettromeccanico (experimentelles elektromechanisches Modul) gilt seit Baustart im März 2003 durch den damaligen Premier Silvio Berlusconi als höchst umstritten. Abseits der ausufernden Kosten und der bereits über zehn Jahre andauernden Bauzeit - zunächst waren acht Jahre geplant - wurde immer wieder auch angezweifelt, dass dank der mobilen Deichanlage Venedig tatsächlich effektiv vor Hochwasser geschützt werden kann.

Auch Korruptionsvorwürfe wurden bereits in der Vergangenheit immer wieder laut. Erst im März des Vorjahres wurden bei einer großangelegten Razzia 14 Personen verhaftet - darunter auch der nur kurz zuvor zurückgetretene Chef des mit dem Bau betrauten Konsortiums Venezia Nuova, Giovanni Mazzacurati.

Orsoni weist Vorwürfe zurück

Den nun bekanntgewordenen Vorwürfen zufolge soll auch Orsoni von Venezia Nuova umfangreiche Schmiergelder erhalten haben. Laut „Corriere della Sera“ wurde auch der Wahlkampf des Politikers der italienischen Regierungspartei Partito Democratico (PD) im Jahr 2010 finanziert. Dem Forza-Italia-Politiker Galan wird unter anderem vorgeworfen, mit MOSE-Schmiergeldern den Umbau einer Villa finanziert zu haben. Orsoni wies laut einem „La Repubblica“-Bericht die Vorwürfe zurück. Der nach seiner Verhaftung nun unter Hausarrest stehende Politiker sprach demnach von „wenig glaubwürdigen Vorwürfen“.

Ein Arbeiter auf dem MOSE (Experimental Electromechanical Module)

Reuters/Manuel Silvestri

Blick auf die MOSE-Baustelle in Venedig

Erster Test im Vorjahr

An der Großbaustelle, die sich über eine Länge von 20 Kilometern an der Lagune von Venedig erstreckt, sind rund 50 Unternehmen beteiligt. Dort sollen 78 schwimmende Deiche errichtet werden, um die Stadt vor Hochwasser und Überschwemmungen zu schützen. Im Oktober des Vorjahres wurde ein erster Teil des Dammprojekts MOSE erstmals in Betrieb genommen. In Anwesenheit von Orsoni, Regierungs- und Hunderten Medienvertretern wurden die ersten vier der insgesamt 78 geplanten beweglichen Barrieren getestet, die bei drohendem Hochwasser die drei Eingänge der Lagune versperren können.

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