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Branchen auf Migranten angewiesen

Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei haben in den 60er und 70er Jahren wesentlich zum Wirtschaftsaufschwung in Österreich beigetragen. Heute sind Menschen türkischer und ex-jugoslawischer Herkunft bzw. deren Nachfahren ein wichtiger Faktor in der heimischen Wirtschaft.

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Ein Blick zurück zeigt die dringende Notwendigkeit der Arbeitsmigration nach Österreich. Denn während in den Staaten des Mittelmeer-Raums ein Arbeitskräfteüberschuss herrschte, litten die Staaten Zentraleuropas unter einem Arbeitskräftemangel. Verschärft wurde diese Situation noch von den über 100.000 Österreichern, die - angetrieben von besseren Verdienstmöglichkeiten - emigrierten. Um dem Arbeitskräftemangel in Zeiten der Hochkonjunktur entgegenzuwirken, wurden von der Republik aktiv Arbeitskräfte aus anderen Ländern angeworben.

Gastarbeiter verlängerten Wirtschaftsaufschwung

Wie stark die zentraleuropäischen Nationalökonomien von Gastarbeitern abhängig waren, zeigt der Anteil an Ausländern unter unselbstständig Beschäftigten. In Österreich erreichte die Gastarbeiterbeschäftigung 1973 mit 8,7 Prozent einen Höchststand. Nur in der damaligen Bundesrepublik Deutschland (10,8 Prozent) und der Schweiz (26,1 Prozent) waren die Werte noch höher.

Wirtschaftswissenschaftler Ewald Walterskirchen, der 40 Jahre beim Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) tätig war, schätzte die Auswirkungen der Gastarbeiterbeschäftigung 1985 als durchwegs positiv ein. Die Gastarbeiter hätten wesentlich dazu beigetragen, den Konjunkturaufschwung in der ersten Hälfte der 70er Jahre zu verlängern.

Ausländer vor Österreichern entlassen

Ohne ausländische Arbeitnehmer wäre es zu einem Kapazitätsengpass gekommen, so der WIFO-Experte in dem vom Sozialministerium damals herausgegebenen Band „Ausländische Arbeitnehmer in Österreich“. In den Rezessionsjahren Mitte der 70er Jahre dienten Gastarbeiter hingegen als „Konjunkturpuffer“: Ausländer wurden vor Österreichern entlassen und federten so die Folgen der schlechten Wirtschaftslage für Inländer ab. Der Großteil der Entlassenen wanderte in die Herkunftsländer ab. Von den 1975 entlassenen 33.000 Ausländern meldeten sich nur 3.500 in Österreich arbeitslos.

In Österreich wie auch in anderen zentraleuropäischen Staaten bildeten sich „typische“ Gastarbeiterberufe. In diesen Branchen lösten Ausländer Inländer ab, die zu qualifizierteren Tätigkeiten wechselten. Das führte wiederum dazu, dass Branchen wie Bauwesen, Textilverarbeitung und Gastgewerbe ohne ausländische Arbeitskräfte nicht mehr wirtschaftlich überlebensfähig waren. Die Branchen waren von Gastarbeitern strukturell abhängig - deren Beschäftigung ging deshalb auch in Zeiten schwächeren Wirtschaftswachstums nur leicht zurück.

Arbeiterberufe auch heute auf Platz eins

Ein Blick in die Gegenwart zeigt ein davon stark beeinflusstes Bild: Personen mit Migrationshintergrund arbeiten laut Statistik Austria weit häufiger in Hilfsarbeiterberufen als Österreicher. 38,2 Prozent der Migranten üben Arbeiterberufe mit Hilfs- bis mittleren Tätigkeiten aus. Bei den Österreichern sind es nur 12,1 Prozent. Aus dem Bericht „Migration & Integration“ ergibt sich, dass die Arbeiteranteile bei Personen aus der Türkei (65 Prozent) und Ex-Jugoslawien (63 Prozent) besonders hoch sind.

Im Jahr 2009 waren in der Branche „Unternehmensdienstleistungen“ die meisten Personen mit Migrationshintergrund anzutreffen (37 Prozent). Auf Platz zwei liegt der Tourismus mit 38 Prozent Männern und 30 Prozent Frauen. Überdurchschnittlich oft sind Männer mit Migrationshintergrund im Bauwesen (22 Prozent) und Frauen in der Sachgütererzeugung (20 Prozent) tätig. Branchen mit einem geringen Migrantenanteil sind das Finanz- und Versicherungswesen (9 Prozent), die öffentliche Verwaltung und Verteidigung (6 Prozent) sowie die Land- und Forstwirtschaft (3 Prozent).

14 Prozent der österreichischen Bevölkerung waren im Jahr 2009 selbstständig. Bei Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien waren es 3,4 Prozent, bei Menschen mit türkischem Hintergrund sechs Prozent.

2.073 Unternehmer in Wien stammen aus der Türkei

Eine Studie aus dem Jahr 2013 zeigt, dass ethnische Ökonomien etwa für die Wiener Wirtschaft von elementarer Bedeutung sind. „37 Prozent der Wiener Wirtschaft haben Migrationshintergrund“, heißt es in der Studie der Arbeitsmarktexperten Wolfgang Alteneder und Michael Wagner-Pinter. Insgesamt sind 37.600 in Wien wohnende Personen mit Migrationsbezug selbstständig.

Sie stammen aus mehr als 130 verschiedenen Nationen. Die meisten Unternehmer, nämlich 4.329 Personen (18,6 Prozent), kommen aus der Slowakei. 2.225 Personen (9,5 Prozent) aus dem ehemaligen Jugoslawien sind selbstständig. 2.073 Unternehmer (8,9 Prozent) stammen aus der Türkei. Damit liegt die Türkei hier nach der Slowakei, Polen, Ex-Jugoslawien und Rumänien auf dem fünften Platz.

Unternehmer mit Migrationsbezug als Arbeitgeber

Gastronomie (3.900 Personen), Handel (3.700 Personen) und Bau (2.900 Personen) sind jene Branchen, in denen am meisten selbstständige Erwerbstätige mit Migrationsbezug beschäftigt sind. Ein wichtiges Berufsfeld - insbesondere für den großen Kreis hochqualifizierter Selbstständiger mit Migrationsbezug - stellen die freiberuflichen, wissenschaftlichen bzw. technischen Dienstleistungen dar (1.500 Personen, sechs Prozent).

Unternehmer mit Migrationsbezug sind für Wiens Wirtschaft unter anderem wichtig, weil sie Arbeitsplätze schaffen. 18,5 Prozent (4.310 Personen) der Unternehmer mit Migrationsbezug führen einen Arbeitgeberbetrieb und beschäftigen insgesamt 20.039 Mitarbeiter. Im Jahr 2011 wurde dadurch eine Wertschöpfung in Höhe von rund 640 Mio. Euro erwirtschaftet. 983 Unternehmer aus der Türkei führen in Wien einen Arbeitgeberbetrieb. Damit liegt die Türkei auf dem ersten Platz und noch vor Deutschland und Ex-Jugoslawien. Aus diesen beiden Ländern stammten jeweils 487 bzw. 366 Unternehmer, die einen Arbeitgeberbetrieb führen.

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