„Man muss sehen, was das bedeutet“
Die Roaminggebühren für Handynutzung im europäischen Ausland sollen ab Ende 2015 der Vergangenheit angehören. Diese Forderung vieler Konsumentenschützer hat Anfang April bei einer Abstimmung im EU-Parlament eine weitere wichtige Hürde genommen. Grundsätzlich stoßen die EU-Pläne auf großen Zuspruch. Aber auch warnende Stimmen wollen nach wie vor nicht verstummen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Außer Frage steht, dass die Roaminggebühren für zahlreiche Handynutzer bisher eine Hürde in Sachen Mobilität darstellten. Schätzungen zufolge geht ungeachtet zuletzt deutlich gesenkter Gebühren ein Großteil weiter auf Nummer sicher und schaltet im EU-Ausland aus Angst vor ausufernden Rechnungen sein Mobiltelefon bzw. zumindest die mobile Datenübertragung ab.
Die Furcht vor dem Kostenschreck soll nun ein Ende haben: Ab dem 15. Dezember 2015 sollen Auslandsgebühren für Telefonieren, SMS-Versand und mobiles Surfen im Internet in Europa der Vergangenheit angehören. Das hat das EU-Parlament mit großer Mehrheit in Brüssel gefordert. Für Kunden sind das aus Sicht von Verbraucherschutzorganisationen durchaus gute Neuigkeiten.
Keine Regel ohne Ausnahme
Ganz erledigt haben sich die bei Verbrauchern ungeliebten Gebühren aber noch nicht. Denn einerseits muss sich das Parlament noch mit den EU-Staaten einigen. Diese Verhandlungen dürften noch Monate dauern. Andererseits gibt es ein Hintertürchen für die Anbieter: Bei „zweckwidriger oder missbräuchlicher Nutzung“ möchte das Parlament den Firmen doch die Möglichkeit zu Gebühren einräumen. „Man muss sehen, was das für den Verbraucher konkret bedeutet“, meint Lina Ehrig, die beim deutschen Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin für Digitales und Medien zuständig ist.
Höhere Tarife als Ersatz?
Der deutsche Branchenverband Bitkom möchte in die allgemeine Freude ohnehin lieber nicht einstimmen. „Mit der Abschaffung der Roaminggebühren konterkariert man die eigenen Ziele“, warnt Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Denn die Firmen seien auf die Roamingeinnahmen dringend angewiesen, um den Ausbau der Netze voranzutreiben. Die entgangenen Einnahmen würden sie durch höhere Preise für Inlandsgespräche ausgleichen.
Ähnliche Warnungen gab es bereits zuvor - unter anderen auch von der Arbeiterkammer (AK). Der Entfall der Roaminggebühren sei grundsätzlich zwar gut, nur habe man dabei „die andere Seite, nämlich die jeweils inländischen Konsumenten vergessen“, gab etwa Gabriele Zgubic von der AK Wien bereits Ende des Vorjahres zu bedenken - mehr dazu in help.ORF.at.
Verkürzter Zeitplan
Die Zeichen stehen dennoch auf ein Aus der Roaminggebühren, wobei der Countdown bereits seit Monaten eingeläutet wurde. Mitte März wurde das Gesetzespaket zur Telekommunikation, das die Roamingabschaffung vorsieht, auch vom gewichtigen Industrieausschuss des Europäischen Parlaments gebilligt. Nach der nun erfolgten Abstimmung im EU-Parlament steht noch die Einigung mit dem Ministerrat aus, der Vertretung der Regierungen. Der Ministerrat muss nach der Europawahl im Mai mit dem neuen Parlament verhandeln.
Die EU-Kommission hatte zunächst vorgeschlagen, dass die Roamingkosten zwischen Juli 2014 und Juli 2016 wegfallen. Spätestens ab Sommer 2016 soll es dann überhaupt keine Extrakosten mehr geben, wenn ein Bürger auf Reisen im EU-Ausland mit dem Handy telefoniert, SMS verschickt oder mobil im Internet surft. Der Industrieausschuss des Parlaments will das vorziehen und schon ab Ende 2015 keine Extragebühren mehr. Dementsprechend änderte er den Gesetzestext ab.
Niedrigere Gebühren ab 1. Juli
Die EU drückt die Roamingkosten bereits seit Jahren Stück für Stück nach unten. Am 1. Juli sinken die Gebühren weiter - das ist längst beschlossen. Dann dürfen abgehende Telefonate nicht mehr als 19 Cent pro Minute kosten (derzeit 24 Cent), eingehende Telefonate nicht mehr als fünf Cent (derzeit sieben Cent). Beim SMS-Versand werden künftig sechs Cent fällig (bisher acht Cent). Der Datendownload wird pro Megabite 20 Cent kosten (bisher 45 Cent). Hinzu kommt jeweils die Mehrwertsteuer.
Die Telekomanbieter hatten in den vergangenen Jahren die Roaminggebühren für Datendienste unter anderem durch befristete Flatrates bereits deutlich gesenkt. Die EU-Kommission sieht die Abschaffung der Roamingextrakosten als wichtige Voraussetzung für einen einheitlichen europäischen Markt bei der Telekommunikation. Die Unternehmen verweisen auf wegfallende Einnahmen, die sie für Investitionen ins Netz brauchten. Daher fordern sie unter anderem mehr Freiraum für Fusionen.
EU-Kommission: Große Hürde für Telekomkunden
Telekomunternehmen könnten laut einer Umfrage der EU-Kommission durch Abschaffung der Roamingentgelte in der EU 300 Millionen zusätzliche Kunden gewinnen. Wie die EU-Kommission weiters mitteilte, schränken sich derzeit 94 Prozent der Europäer außerhalb ihres Heimatlandes bei der Nutzung von Diensten wie Facebook wegen der Roamingentgelte ein.
Die Umfrage wurde nach Angaben der Kommission unter 28.000 EU-Bürgern durchgeführt. Die eingeschränkte Handynutzung wirke sich auch nachteilig auf App-Anbieter aus, erklärte die EU-Kommission. Wegen der Roaminggebühren würden 47 Prozent der Befragten niemals mobile Internetdienste in einem anderen EU-Land nutzen, ergab die Umfrage nach Angaben der EU-Kommission weiters.
Nur jeder zehnte Europäer nutze E-Mail-Dienste im Ausland genauso wie zu Hause. Mehr als ein Viertel der Reisenden würden einfach ihr Handy ausschalten, sobald sie in ein anderes EU-Land kommen. Millionen Nutzer würden auf SMS ausweichen anstatt für Anrufe zu bezahlen. „Ich bin wirklich von diesen Zahlen schockiert. Sie zeigen, dass wir endlich ganze Arbeit leisten und Roamingentgelte abschaffen müssen“, sagte die zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes. „Die Verbraucher schränken ihre Handynutzung auf extreme Weise ein, und davon haben auch die Unternehmen nichts.“
Links: