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Geheimdienst wollte offenbar Userdaten

Das russische Pendant zum Netzwerk Facebook, VKontakte (VK), steht nach Angaben seines ehemaligen Chefs Pawel Durow faktisch unter Kontrolle des Kreml. Der 29-jährige Durow wurde am Dienstag von der US-Website TechCrunch mit den Worten zitiert, VK gleite „unter die totale Kontrolle“ von zwei der besten Freunde von Präsident Wladimir Putin. Er selbst habe seine Heimat verlassen, gab Durow an.

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VK hat rund 200 Millionen registrierte Nutzer in Russland und Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Das Internetnetzwerk ist dort beliebter als der US-Konkurrent Facebook.

Vertraute Putins haben Kontrolle

Mehrheitsaktionär des Sozialen Netzwerks ist Mail.ru. Das Investmentunternehmen gehört einer Gruppe von Milliardären, darunter ist auch Russlands reichster Mann, Alischer Usmanow. Durow erklärte, VK gerate unter die Kontrolle von Usmanow und Igor Setschin, dem Chef von Russlands größter Ölfirma Rosneft.

Usmanow und Setschin gelten als enge Vertraute Putins. Setschin hielt unter Putin bereits zahlreiche politische Ämter, bis hin zum Amt des Vizeministerpräsidenten der Regierung der Russischen Föderation. Er ist nun Vorstandsvorsitzender des Ölkonzerns Rosneft.

Daten von Demonstranten verlangt

Allerdings war es Durow selbst, der seine Anteile an VK verkaufte. Medienberichten zufolge war der Käufer Ivan Tavrin, Chef des Mobilfunkers Megafon, der seinerseits ein enger Geschäftspartner Usmanows ist. Somit kontrolliere Mail.ru die Mehrheit der Aktien. Die restlichen 48 Prozent gehören der Investmentfirma United Capital Partners. Ihr wirft Durow Kontakte zu den russischen Geheimdiensten vor.

Durow erklärte, er habe es im Dezember abgelehnt, dem FSB persönliche Daten von proeuropäischen Demonstranten in der Ukraine und Organisatoren der Protestbewegung in Kiew zu geben. Das sei nicht nur gegen das Gesetz, sondern auch Verrat an den Millionen von Ukrainern, die VK vertrauten, schrieb er in seinem Sozialen Netzwerk.

Russland den Rücken gekehrt

Wegen seines Widerstands habe er im Jänner seinen Unternehmensanteil in Höhe von zwölf Prozent verkaufen müssen, behauptet Durow. Am Montag dann teilte VK mit, der Gründer sei als Chef entlassen. Gegenüber TechCrunch sagte Durow, er habe seine Heimat für immer verlassen. Er könne nicht zurück, da er die Zusammenarbeit mit den Behörden abgelehnt habe. „Sie können mich nicht leiden.“ Vielleicht werde er nun ein mobiles Soziales Netzwerk gründen.

Websites gesperrt

Der Zugriff auf VK ist nur der nächste Schritt in der repressiven Medienpolitik des Kreml. Im März etwa wurde der Zugang zu mehreren regierungskritischen Websites wie Kasparov.ru und Ej.ru blockiert. Auf Verlangen der Generalstaatsanwaltschaft würden zudem vorübergehend ein Auftritt des Oppositionsführers und Bloggers Alexej Nawalny (Navalny.livejournal.com) und der Website Grani.ru in die Liste gesperrter Seiten aufgenommen, teilte die Medienaufsicht mit. „Diese Seiten enthalten Aufrufe zu ungesetzlichen Tätigkeiten und zur Teilnahme an Massenveranstaltungen, die unter Verstoß des geltenden Rechts organisiert werden“, begründete die Medienaufsicht die Sperranordnungen.

Volle Gewalt über das Internet

Menschenrechtler beklagen seit Jahren massive Einschränkungen der Pressefreiheit. Russland hatte zuletzt mehrere Gesetze erlassen, die Behörden im Grunde volle Gewalt auch über das Internet geben. Unter anderem können Websites ohne gerichtlichen Beschluss blockiert werden. Die nun über russische Provider nicht mehr zugänglichen Websites galten als prominente Plattformen für unabhängigen Journalismus und freie Meinungsäußerung.

Auch Sender und Agenturen unter Druck

Druck beklagt seit Monaten zudem das kremlkritische Internetfernsehen Doschd, das sich kurz vor dem Aus sieht, weil mehrere russische Anbieter den Kanal vom Netz genommen haben. Auch die Internetagentur Lenta.ru sieht sich nach kritischen Berichten in der Ukraine-Krise Druck vom Kreml ausgesetzt. Erst mussten die Chefredakteurin und die Generaldirektorin des Portals gehen, dann kündigten aus Protest gegen die staatliche Einflussnahme 39 Mitarbeiter.

Kaum noch kritische Zeitungen

„Unabhängiger Journalismus bringt den Machthabern nichts - nötig ist aber die propagandistische Unterstützung“, kommentiert die Zeitung „Wedomosti“ die Tendenz. Als eine der letzten Bastionen der Presse- und Meinungsfreiheit in Russland gilt weiter die kremlkritische Zeitung „Nowaja Gaseta“, für die einst die Putin-Gegnerin Anna Politkowskaja bis zur ihrer Ermordung 2006 gearbeitet hatte.

Auch die liberale Tageszeitung „Nowyje Iswestija“ mit einer Tagesauflage von etwa 50.000 Exemplaren ist eines der wenigen überregionalen Tages- und Wochenmedien, die die derzeitige Krim-Politik des Kreml deutlich kritisieren.

„95 Prozent Propaganda“

Deren Chefredakteur Igor Wandenko kritisiert im APA-Gespräch vor allem die TV-Berichterstattung. Diese sei in den letzten zwei, drei Wochen gar „unanständig“ geworden. Er spielt dabei auf die Ukraine-Berichterstattung in staatlichen russischen Fernsehsendern an, die oft nur noch wie eine Illustration politischer Vorgaben des Kreml anmute. „Das ist natürlich kein Journalismus mehr, das ist zu 95 Prozent Propaganda“, sagt der Chefredakteur.

Gleichzeitig betont Wandenko, dass in den meisten Fällen von keiner direkten Zensur durch den Kreml die Rede sein könne: „Das aktuelle Klima diktiert Journalisten und Medien, sich vorsichtiger zu verhalten. Das betrifft auch uns: Du denkst jedes Mal daran, dass Dutzende Journalisten bei einem unvorsichtigen Schritt ihre Arbeit verlieren könnten.“ Die Selbstzensur habe mittlerweile „gewaltige Ausmaße“ erreicht.

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