Warnschuss in Richtung Gülen
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat das Ergebnis der Kommunalwahlen am Sonntag als großen Sieg seiner islamisch-konservativen Partei AKP gefeiert. Seinen Kritikern warf er Verschwörung und Geheimnisverrat vor und drohte: „Sie werden dafür zahlen.“
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Sie hätten die Interessen des Landes verraten. „Das Volk hat heute die hinterhältigen Pläne und unmoralischen Fallen durchkreuzt (...) Diejenigen, die die Türkei angegriffen haben, wurden enttäuscht“, rief Erdogan seinen Anhängern vom Balkon des Sitzes der AKP in Ankara zu. Die Menge schwenkte Fahnen und rief Parolen wie „Die Türkei ist stolz auf Dich“ und „Gott ist groß“.
„Kein Staat im Staate“
„Es wird keinen Staat im Staate geben, die Stunde ist gekommen, sie zu beseitigen“, fügte der 60-jährige Regierungschef in unverhohlener Anspielung auf den islamischen Prediger Fethullah Gülen und dessen Anhänger hinzu. Mit dem langjährigen Verbündeten, der vor allem in der Justiz stark verankert ist, liefert sich Erdogan seit Monaten einen erbitterten Machtkampf. So sieht Erdogan die Korruptionsvorwürfe und Ermittlungen gegen Politiker und Geschäftsleute aus seinem Umfeld als Komplott von Gülen.

APA/EPA/DEPO PHOTOS
AKP-Anhänger bejubeln den Wahlsieg vor der Parteizentrale in Ankara
Erdogan ließ Tausende Polizisten, Richter und Staatsanwälte versetzen, die er verdächtigte, Gülen-Anhänger zu sein. Zudem ließ Erdogan die Internetplattformen Twitter und YouTube sperren, um zu verhindern, dass über sie Korruptionsvorwürfe verbreitet werden.
Wahl als Stimmungstest für Erdogan
Der Regierungschef hatte den Urnengang zur Abstimmung über seine politische Zukunft gemacht. Der Sieg dürfte Erdogan nun in seiner Absicht bestärken, sich im August um das Präsidentenamt zu bewerben. Erdogan steht seit den wochenlangen Massenprotesten im vergangenen Sommer wegen seines zunehmend autoritären Regierungsstils in der Kritik, dazu kommen massive Korruptionsvorwürfe.
45 Prozent für AKP
Nach Auszählung von 98 Prozent der abgegebenen Stimmen kam die AKP landesweit auf etwa 45 Prozent, berichtete der Fernsehsender CNN Türk Montagfrüh. Erdogan hatte sich noch in der Nacht zum Sieger erklärt. Jedes Ergebnis über 38,8 Prozent sei ein Erfolg, hatte Erdogan vor der Wahl postuliert. Diese Marke hat er mit seiner AKP nun deutlich übertroffen. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) kam demnach auf rund 28,5 Prozent.
Vizeregierungschef Bülent Arinc (AKP) sagte: „Die AKP ist Sieger dieser Wahl. Alle andere haben verloren.“ Noch während der Auszählung warfen einander die AKP und die CHP gegenseitig Manipulationen vor. Kandidaten beider Parteien beanspruchten den Sieg in Istanbul und Ankara für sich.
Bevölkerung gespalten
Die Bevölkerung ist in ihrer Haltung zu Erdogan gespalten wie nie zuvor: Während die einen ihn als großen Modernisierer verehren, der die Wirtschaft in Schwung brachte, werfen ihm andere Missachtung von Demokratie und Bürgerrechten vor. Nachdem im Sommer 2013 Erdogans harte Reaktion auf die Proteste gegen die Umgestaltung des Istanbuler Gezi-Parks auf Kritik gestoßen war, kam Mitte Dezember ein massiver Korruptionsskandal hinzu.

APA/EPA/Sedat Suna
Erdogan bei der Stimmabgabe im Istanbuler Stadtteil Üsküdar
Der Politologe Mehmet Akif Okur sagte, das Wahlergebnis zeige, dass Erdogan die Skandale ohne große Schäden überstanden habe. „Die Wähler haben geglaubt, wenn Erdogan stürzt, stürzen sie auch.“ Die Wähler hätten Erdogan gestützt, um „den Status quo dessen zu erhalten, was sie in seiner Regierungszeit erreicht haben“.
Mehrere Tote bei Auseinandersetzungen
Überschattet wurden die Wahlen am Sonntag von gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Anhängern rivalisierender Kandidaten im Südosten des Landes. In einem kleinen Dorf gab es dabei sechs Tote und vier Verletzte, wie die Nachrichtenagentur Dogan meldete. Auch in der südlichen Stadt Hatay griffen einander verfeindete Familien mit Knüppeln, Messern und Gewehren an. Dabei wurden laut Dogan zwei Menschen getötet und neun verletzt.
Zwei Aktivistinnen der Gruppe Femen protestierten in einem Wahllokal in Erdogans Heimatstadt Istanbul gegen den Regierungschef. Die beiden jungen Frauen sprangen auf einen Tisch und zeigten ihre nackten Oberkörper, auf denen „Verbietet Erdogan“ zu lesen war, wie Bilder zeigten. Beide wurden festgenommen.
Links: