Was Diplomaten wirklich denken
Gleich zwei vertrauliche Gesprächsmitschnitte zur Krise in der Ukraine sind innerhalb kürzester Zeit hintereinander auf der Internetplattform YouTube aufgetaucht. Der Verdacht liegt nahe, dass damit die EU und die USA in ihren Ansätzen zu einer Lösung für die Ukraine-Krise entzweit werden sollen.
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Die im US-Außenministerium für Europafragen zuständige Abteilungsleiterin Victoria Nuland hatte abfällig über die Europäische Union gesagt: „Fuck the EU“ („Scheiß auf die EU“). Die Äußerung fiel in einem vertraulichen Telefongespräch Nulands vor einigen Tagen mit dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, in dem es über Lösungsansätze zur Beilegung der Krise in der früheren Sowjetrepublik ging, unter anderem auch mit der Einbindung der Vereinten Nationen (UNO).
AP/Mykhailo Markiv
Victoria Nuland mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch
In dem gut vierminütigen Mitschnitt geht es um die Proteste in der Ukraine und den Versuch von Präsident Viktor Janukowitsch, die Oppositionsführer Arseni Jazenjuk und Witali Klitschko in die Regierung zu holen. Der ehemalige Boxweltmeister solle das Amt nicht antreten und „seine politischen Hausaufgaben“ machen, sagte Pyatt. Auch Nuland äußert sich skeptisch über eine Regierungsbeteiligung Klitschkos: „Ich glaube nicht, dass das notwendig und eine gute Idee ist.“ Beide Männer lehnten das Angebot ab.
Auch Telefonat von Ashton-Vertrauter veröffentlicht
Neben den europakritischen Äußerungen von Nuland ist offenbar ein weiterer Gesprächsmitschnitt aufgetaucht, der Spannungen zwischen den USA und der EU beim Thema Ukraine offenlegen soll. Die Beziehungen zwischen den USA und Europa sind bereits wegen des Abhörskandals um den Geheimdienst NSA angespannt.
APA/EPA/Andrew Kravchenko
Nuland mit den ukrainischen Oppositionsführern Oleh Tjahnybok, Witali Klitschko und Arseni Jazenjuk (von links nach rechts)
In dem ebenfalls auf YouTube veröffentlichten Mitschnitt sollen die Topdiplomatin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, die Deutsche Helga Schmid, und der EU-Botschafter in der Ukraine, Jan Tombinski, zu hören sein. In dem Telefonat ärgert sich Schmid darüber, dass in der Diskussion über Sanktionen „die Amerikaner herumgehen und die EU an den Pranger stellen, wir seien da zu soft“.
EU-Diplomaten gehen von Authentizität aus
Der rund zwei Minuten lange Mitschnitt stammt offenbar vom 31. Jänner, da Schmid die Veröffentlichung eines Statements Ashtons zu dem nach eigenen Angaben verschleppten und gefolterten ukrainischen Regierungsgegner Dmitro Bulatow erwähnt. Die Website EU Oberserver zitiert EU-Diplomatenangaben, nach denen der Mitschnitt ebenso wie die zuvor aufgetauchten Äußerungen Nulands authentisch zu sein scheint.
Das US-Außenministerium wies Vorwürfe aus der Ukraine entschieden zurück, die USA wollten sich einmischen. Es sei normal, dass Diplomaten über die Entwicklungen in der Welt berieten. Nuland hat sich nach Angaben des US-Außenministeriums vom Donnerstag (Ortszeit) bei ihren europäischen Partnern bereits entschuldigt. Eine Stellungnahme zu dem Telefonat lehnte sie ab. Sie werde sich nicht „zu einer privaten diplomatischen Unterhaltung“ äußern, sagte die Europabeauftragte von US-Außenminister John Kerry am Freitag nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Janukowitsch in Kiew.
Suche nach Hintermännern
Nach Nulands verbaler Entgleisung hat die Suche nach den Hintermännern des heimlich mitgeschnittenen Telefonats begonnen. „Das ist ein neuer Tiefstand der russischen Spionagetaktik“, sagte US-Außenamtssprecherin Jen Psaki. Das US-Außenministerium zweifelte nicht an der Echtheit des Mitschnitts. „Ich sage nicht, dass das nicht authentisch ist. Ich meine, dabei sollten wir es belassen“, sagte Psaki.
Das mit russischen Untertiteln versehene Video sei von der Regierung in Moskau verbreitet worden, sagte auch der Sprecher von Präsident Barack Obama, Jay Carney. „Das sagt etwas über Russlands Rolle aus.“ Carney verteidigte Nuland und betonte, dass die Beziehung der USA zur EU „so stark wie nie“ sei. Zu den Einzelheiten des Telefonats wollte er sich nicht äußern: „Wir diskutieren keine privaten Unterhaltungen.“
Keine offizielle Stellungnahme Russlands
Ein Referent des russischen Vizeregierungschefs Dmitri Rogosin war einer derjenigen, die im Kurzmitteilungsdienst Twitter auf das Video aufmerksam machten und darauf verlinkten. Dmitri Loskutow schrieb auf die Frage, ob Russland eine Rolle gespielt habe: „Die Verbreitung begann schon früher.“ Auf nochmalige Nachfrage antwortete er: „Wie soll ich das wissen. Ich habe nur das Internet beobachtet.“
„Allein die Tatsache, dass ich reagiert habe, wird genutzt, um Russland die Schuld zu geben“, schrieb Loskutow weiter. Er legte auch Wert darauf, dass er auf Twitter sein Privatprofil benutzt habe. Eine offizielle russische Reaktion lag zunächst nicht vor. Das russische Außenministerium lehnte eine telefonische Stellungnahme ab.
Steckt ukrainischer Geheimdienst dahinter?
Der russische Geheimdienstexperte Andrej Soldatow vermutete, dass der ukrainische Geheimdienst SBU hinter der Veröffentlichung stecken könnte. Der SBU habe mehr Befugnisse und dürfe etwa Telefonanrufe unterbrechen, was in Russland illegal sei, sagte Soldatow der dpa. Der SBU lehnte einen Kommentar ab.
Klitschko bezeichnete die Veröffentlichung von Nulands Gesprächs als Provokation. Zugleich sprach er in der „Bild“-Zeitung (Vorabmeldung der Samstag-Ausgabe) von einer Falle. „Es ist für mich klar ersichtlich, dass die USA und die EU mit der Veröffentlichung provoziert werden sollen. Alle Seiten müssen jetzt besonnen reagieren und sollten nicht in diese Falle tappen“, mahnte Klintschko. „Es ist wichtig, dass die USA und die EU weiterhin gemeinsam vermitteln, alles andere hilft nur dem Regime von Janukowitsch.“
Merkel: Absolut inaktzeptabel
Die EU-Kommission will die undiplomatische Äußerung von Nuland nicht kommentieren. „Die EU ist damit beschäftigt, den Menschen in der Ukraine in der aktuellen Krise zu helfen“, teilte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Ashton am Freitag in Brüssel mit. „Wir geben keinen Kommentar ab zu durchgesickerten angeblichen Telefongesprächen.“
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel kritisierte unterdessen Nulands abfällige Äußerung. Diese sei „absolut inakzeptabel“, zitierte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Freitag Merkel. Die Kanzlerin sei der Auffassung, dass Ashton „einen hervorragenden Job“ mache. Die EU bemühe sich weiter mit großer Intensität, die Lage in der Ukraine zu beruhigen. "Die Dame hat sich entschuldigt.
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