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EU-Diplomatie auf Hochtouren

Die diplomatischen Bemühungen, den Konflikt in der Ukraine einzudämmen, laufen auf Hochtouren. EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle wechseln einander immer wieder mit Besuchen in Kiew ab, um zu vermitteln. Unter den Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew ist davon wenig zu spüren.

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Im Protestcamp dominiert nach den Ausschreitungen Ende Jänner mittlerweile Routine. Der ukrainische Autor Andrei Kurkow spricht im Interview mit dem „EU Observer“ von einem „Staat innerhalb des Staates“: „Die Menschen im Protestcamp haben ihre tägliche Routine, die jeden Morgen mit dem Singen der ukrainischen Hymne beginnt, einem Kirchenbesuch, gefolgt vom Aufräumen in den Straßen.“

Europa kaum noch Thema

Die Protestbewegung begann vor mehr als zwei Monaten, weil sich Präsident Viktor Janukowitsch geweigert hatte, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Europa ist mittlerweile kaum noch ein Thema bei den Demonstranten. In den ukrainischen Medien finden die Berichte über die EU-Diplomatie mit Ashton und Co. ohnehin kaum Eingang, beschreibt Kurkow: „Es gibt wenige Informationen über diese Besuche, und die meisten Menschen wissen nicht, wer sie (EU-Vertreter, Anm.) sind.“

Catherine Ashton mit ukrainischen Oppositionspolitikern

APA/EPA/Andrew Kravchenko

EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Kiew mit den Oppositionellen Arseni Jazenjuk (re.), Witali Klitschko (2. v. li.) und Oleg Tjagnibok

Und diejenigen, die wüssten, von wem die Rede sei, gingen davon aus, dass die EU die Ukraine ohnehin nicht ernst nehme, und dass die Vertreter nur kämen, um der Öffentlichkeit im eigenen Land zu zeigen, dass sie sich um die Lage kümmern, sagt Kurkow. Fernseh- und Radioberichte seien von Regierungsbotschaften dominiert - etwa dass die Proteste die Behörden hinderten, staatliche Pension rechtzeitig auszubezahlen. Im Zentrum der Proteste stünden nun eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung und mit der weit verbreiteten Korruption sowie die Forderung nach einem Rücktritt der Regierung.

Pufferstaat zwischen Osten und Westen

Die Ukraine ist nun mehr denn je ein Pufferstaat zwischen Osten und Westen. Moskau spielt eine entscheidende Rolle, nicht zuletzt wegen des Schutzes eigener politischer, aber auch wirtschaftlicher Interessen. Die Ukraine in den Einflussbereich der EU abgleiten zu lassen ist für Russland nicht möglich. In Brüssel wiederum heißt das Ziel, den Schlüsselstaat Ukraine enger an Europa zu binden. Dieser Schritt endete im Fiasko. Denn das Assoziierungsabkommen wurde mit der Freilassung der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko verknüpft - eine Bedingung, die Janukowitsch aus eigenem Interesse und dem Moskaus nicht erfüllen kann.

BIP bei 86 Prozent von 1992

Wirtschaftlich geht es der Ukraine schlecht. Die politische Krise verschärft diese Situation noch. „Jeder weitere Tag mit Konfrontationen und fehlender Bereitschaft, einen Kompromiss zu finden, schwächt unser Land ökonomisch“, sagte der geschäftsführende Ministerpräsident Serhij Arbusow. „Die Ukraine ist das einzige postsowjetische Land, das in einem Vierteljahrhundert weniger Waren und Dienstleistungen erzeugt hat als in der UdSSR“, berichtete die Moskauer Zeitung „Moskowski Komsomolez“.

Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes liegt bei 86 Prozent des - noch sowjetischen - Niveaus von 1992. Die Währung verlor in den vergangenen Tagen stark an Wert. Nach Meinung von Experten könnte die Regierung in Kiew einen Staatsbankrott nur mit finanzieller Hilfe aus dem Ausland verhindern.

Janukowitsch nutzte das Taktieren zwischen Russland und dem Westen bisher zum - finanziellen - Vorteil der Ukraine. Doch einen offenen Konflikt mit Moskau, etwa hervorgerufen durch die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens, hätte der ukrainische Präsident aus seiner Sicht vor der bisher für 2015 vorgesehenen Präsidentenwahl nicht riskieren können. Während die EU beim Scheitern ihrer außenpolitischen Strategie in der Ukraine zusah, schuf Russland bereits Ende vergangenen Jahres Fakten und bot Hilfsgelder an.

Indirekte Drohungen aus Moskau

Doch mit dem Rücktritt der ukrainischen Regierung vor wenigen Tagen stoppte auch Russland seine Zahlungen. Weitere Zahlungen aus dem zugesagten Finanzpaket in der Höhe von rund 15 Mrd. Dollar (rund 11,1 Mrd. Euro) würden erst freigegeben, wenn die neue ukrainische Regierung erkläre, wie weit sie sich an den bisherigen politischen Kurs halten werde, hieß es vonseiten des Sprechers des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Dmitri Peskow.

In Zusammenhang mit dem Hilfskredit war auch ein Preisnachlass bei den Gaslieferungen vereinbart worden. Immer wieder wird indirekt gedroht. So äußerte Moskau zuletzt Besorgnis über ausstehende Zahlungen für Gaslieferungen. Die Schulden wüchsen ständig und schnell, betonte Peskow.

Das „große Geld“ aus der EU

Auch die EU kündigte via Ashton mittlerweile „großes Geld“ an, macht das aber von den Bedingungen eines langfristigen Abkommens mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Durchführung von wirtschaftlichen und politischen Reformen in der Ukraine abhängig. Eine EU-Finanzhilfe soll auch an eine Übergangsregierung unter Beteiligung der Opposition geknüpft werden. Die EU machte schon deutlich, dass sie eine Übergangsregierung unter der Führung des Oppositionellen Witali Klitschko unterstützen würde.

Doch der Ex-Boxer ist unter den Demonstranten bei weitem nicht so angesehen wie im Westen. Im Westen hochgelobt, muss sich Klitschko in der Oppositionsbewegung Kritik gefallen lassen. Er agiere zu zögerlich, habe bisher selbst kein konkretes Konzept vorgelegt. Wegen der - bisher ergebnislosen - Gespräche mit Janukowitsch wurde er von einigen Maidan-Demonstranten als „Verräter“ beschimpft. Aufrufe Klitschkos zum Generalstreik verhallten ungehört.

EU-Parlament fordert Sanktionen

Immer wieder werden von der EU Sanktionen gefordert und auch Visaerleichterungen für ukrainische Bürger gefordert. Doch beim EU-Außenministerrat am Montag ist nicht zu erwarten, dass Sanktionen beschlossen werden. Ein Vorpreschen des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier wurde wenig später wieder zurückgenommen.

Im EU-Parlament ist deutliche Kritik am Verhalten der EU gegenüber der Ukraine zu hören. Der Vorsitzende der liberalen Fraktion, Guy Verhofstadt, vermisst eine „glaubwürdige Strategie der EU zur Ukraine“. Die EU müsse nun den „Revolver laden und sich einige Sanktionen überlegen“. Der deutsche EU-Abgeordnete Elmar Brok (CDU) sagte in der ZIB2, die EU könne „nicht hinnehmen“, dass in der gegenwärtigen Krise in der Ukraine „Menschen gequält werden“. Brüssel müsse klarmachen, dass es jederzeit Sanktionen gebe könnte.

Moskau: Intervention jederzeit möglich

Auch die US-Regierung schließt mittlerweile eine finanzielle Hilfe an die Ukraine nicht aus. Man müsse aber sehen, welchen Kurs eine neue Regierung dieses Landes wählen werde. Am Donnerstag gab es nun auch eine konkrete Warnung gegen die USA aus Moskau. Sergej Glazyew, ein Berater Putins, beschuldigte die USA, ukrainische „Rebellen“ zu bewaffnen, und schloss dabei selbst Gewalt nicht aus: Moskau könne jederzeit intervenieren, um die Sicherheit seines ex-sowjetischen Nachbarn zu bewahren.

Janukowitsch selbst signalisierte nach einem Gespräch mit der US-Gesandten Victoria Nuland am Donnerstag Kompromissbereitschaft. Er unterstütze die Forderungen der Opposition nach einer Verfassungsreform, sagte er seiner Website zufolge. Außerdem sprach sich der Präsident dafür aus, den Prozess der Freilassung festgenommener Regierungsgegner zu beschleunigen. Im Anschluss fuhr er zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Sotschi, wo Janukowitsch auch auf Putin treffen wird.

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