Glaubwürdigkeit verloren?
Seit Monaten ist Victoria Nuland hinter den Kulissen darum bemüht gewesen, den Ärger der EU über die Spähprogramme des US-Geheimdienstes NSA zu besänftigen. Nun brüskiert die Europabeauftragte von US-Außenminister John Kerry die Verbündeten mit einer äußerst undiplomatischen Aussage. „Fuck the EU“, zu Deutsch: „Scheiß auf die EU“ - so ist Nuland in einem auf YouTube veröffentlichten Telefonat zu hören.
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Bis Mitte September war Nuland die Sprecherin von Kerrys Vorgängerin Hillary Clinton. Seit sie nicht mehr in den täglichen Pressekonferenzen die Haltung des Außenministeriums erklären muss, ist die Karrierediplomatin nur noch selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Als Leiterin der Europaabteilung funkt sie nun eigentlich über diskrete Kanäle. In der Spähaffäre führt Nuland etwa Gespräche mit Verantwortlichen aus ganz Europa. Ende Oktober gehörte sie zu den Gesprächspartnern einer nach Washington gereisten Delegation aus dem deutschen Kanzleramt.
Zum falschen Zeitpunkt
Äußerst ungelegen kommt ihr da der Mitschnitt ihres Gesprächs mit dem US-Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, bei dem es um die Proteste in der Ukraine ging. Beide wähnten sich in einer vertraulichen Unterhaltung: Offen sprachen sie über den mittlerweile gescheiterten Versuch von Präsident Viktor Janukowitsch, die Oppositionsführer Arseni Jazenjuk und Witali Klitschko in die Regierung zu holen. Der frühere Boxweltmeister im Kabinett? „Ich glaube nicht, dass das notwendig und eine gute Idee ist“, befand Nuland.
Bei den Vermittlungen in der Ukraine scheinen die US-Vertreter vor allem auf die UNO zu setzen. Die EU samt ihrer Außenbeauftragten Catherine Ashton erfuhr weniger Wertschätzung. „Weißt du, scheiß auf die EU“, sagte Nuland. Später ließ das Außenministerium in Washington wissen, dass sich die Topdiplomatin „natürlich“ bei ihren EU-Kollegen entschuldigt habe. In Washington wird vermutet, dass Russland das abgefangene Gespräch öffentlich machte, um eine Vermittlung des Westens in der Ukraine zu torpedieren.
„Amerika braucht ein starkes Europa“
In einer Rede Mitte November vor der Denkfabrik Atlantic Council in Washington hatte Nuland noch eine „transatlantische Renaissance“ gefordert. Die USA und die europäischen Staaten müssten sich auf ihr gemeinsames Wertefundament besinnen und die neuen globalen Herausforderungen geeint angehen. „Amerika braucht ein starkes Europa, und Europa braucht ein starkes Amerika“, sagte sie damals.
Die 1961 geborene Nuland kennt sich im transatlantischen Gefüge durch ihre Zeit als US-Botschafterin bei der NATO von 2005 bis 2008 gut aus. Von Februar 2010 bis Juni 2011 war sie als US-Sondergesandte für die Abrüstung bei konventionellen Waffen in Europa im Einsatz. Die Tochter einer Britin und eines US-Bürgers spricht fließend Russisch und Französisch. Beim Untergang der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre beobachtete sie für die US-Botschaft in Moskau die Lage.
Ehemann Vordenker der Neokonservativen
Verheiratet ist Nuland mit dem Historiker Robert Kagan, der mit seinem Institut „Projekt für das Neue Amerikanische Jahrhundert“ als ein Vordenker der neokonservativen Außenpolitik unter dem früheren Präsidenten George W. Bush galt. Nuland erwies sich als parteipolitisch flexibel: Die Diplomatin war unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton von 1993 bis 1996 die Stabschefin eines stellvertretenden Außenministers, von 2003 bis 2005 arbeitete sie zu Hochzeiten des Irakkriegs als sicherheitspolitische Beraterin des republikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney.
Damit diente Nuland ausgerechnet jener Regierung, die ihrem heutigen Chef die schwerste politische Niederlage zufügte. Bush und Cheney ließen im Präsidentschaftswahlkampf 2004 mit einer heftigen Kampagne die Leistungen des demokratischen Kandidaten Kerry als Soldat während des Vietnamkriegs diskreditieren. Der Außenminister nimmt die Vergangenheit seiner Mitarbeiterin zumindest äußerlich mit Humor: Nuland sei ein „einzigartiges“ Mitglied des „Hillary Clinton-Dick-Cheney-Alumnivereins“, sagte er bei ihrer Vereidigung.
Gregor Waschinski, AFP
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