Themenüberblick

Jahrzehntelanges Tabu gebrochen

Nach monatelanger Blockadepolitik vonseiten der Republikaner hat der US-Senat nun die Regelungen zum Dauerreden (Filibuster) geändert. Damit braucht US-Präsident Barack Obama für die meisten Entscheidungen nur noch die einfache Mehrheit der Stimmen, um eine Abstimmung zu erzwingen. US-Medien sprechen von einem „Meilenstein“.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Aus Frust über die Blockadehaltung der Republikaner griff der Fraktionsvorsitzender im US-Senat, Harry Reid, am Donnerstag zu einem drastischen Schritt und beschnitt die sogenannte Filibuster-Regel deutlich. Das sei nur „fair“, erklärte Reid, die Änderungen wären schließlich auch gültig, sollten die Republikaner eines Tages wieder im Weißen Haus sitzen und damit die Mehrheit im Senat innehaben.

„New York Times“ spricht von „Meilenstein"“

Auch US-Präsident Barack Obama begrüßte in einer ersten Stellungnahme die Änderung als notwendigen Schritt für die tägliche politische Arbeit in Washington. „Genug ist genug“, sagte Obama über die Parlamentsregel, die es ihm zuletzt unmöglich gemacht hatte, mehrere hochrangige Posten gegen den Widerstand der Republikaner neu zu besetzen.

Harry Reid

Reuters/Gary Cameron

Demokratenführer Harry Reid neben einer Tafel, die die Anzahl der Filibuster gegen Personalentscheidungen unter den letzten US-Präsidenten zeigt

Kommentatoren in Washington sprachen am Donnerstag von der wichtigsten Änderung der Parlamentsregeln seit vielen Jahrzehnten. Die „New York Times“ schrieb von einem „Meilenstein“, die „Washington Post“ bezeichnete die Entscheidung als „dramatische Veränderung der politischen Landschaft“, CNN sprach von einem „historischen Augenblick“. Die Praxis des Filibuster gibt es in den USA seit 1917 und gilt weltweit als einmaliges Kuriosum.

Mit „nuklearer Option“ gegen Guerilla-Taktik

Bisher galt der Filibuster als Machtinstrument für die Minderheit und war damit eigentlich unantastbar. Die Regelung basiert auf dem unbegrenzten Rederecht, das Volksvertretern im Senat zusteht. Dieses Recht haben Senatoren in der Geschichte immer wieder dazu genutzt, unliebsame Gesetze zu torpedieren oder eine Nominierung zu verhindern.

Für die parlamentarische Guerilla-Taktik bürgerte sich der Begriff Filibuster ein, der sich von einem französischen Wort für Freibeuter („flibustier“) ableitet. Seit einer Änderung der Verfahrensregeln vor einigen Jahren reicht heute schon die bloße Androhung einer Marathon-Ansprache, um den Gesetzgebungsprozess lahmzulegen. Um eine Blockade zu brechen, müssen 60 der 100 Senatoren für ein Ende des Filibusters votieren.

Die Demokraten liegen allerdings unter der Hürde von 60 Stimmen. Um das Gesetz zu ändern, ließ der demokratische Mehrheitsführer Reid die Blockaderechte in einem komplexen Vorgang beschneiden: Zunächst machte Reid von einem „nukleare Option“ genannten Sonderrecht Gebrauch, das Verfahrensänderungen mit einfacher Mehrheit ermöglicht. Anschließend billigte der Senat mit 52 zu 48 Stimmen die neuen Filibuster-Regeln. Nun genügt eine einfache Mehrheit von 51 Stimmen, Abstimmungen zu erzwingen.

Republikaner kochen vor Wut

Nicht betroffen sind allerdings Nominierungen für Richter des Supreme Courts und die allgemeine Gesetzgebung, für die weiter die 60-Stimmen-Hürde gilt. Die Republikaner reagierten trotzdem empört. „Das dürften Sie sehr viel schneller bereuen, als sie annehmen“, sagte der Republikaner-Führer im Senat, Mitch McConnell. Die Republikaner wiesen in der Vergangenheit immer wieder darauf hin, dass es die Demokraten gewesen seien, die während der Ära von Präsident George W. Bush das Filibustern bis zum Exzess betrieben haben. „Das ist eine Machtergreifung“, sagte Senator Lamar Alexander. „Das ist ein weiteres parteipolitisches Manöver, das der Demokratischen Partei erlaubt, das zu tun, was sie will.“

Die Auswirkungen der neuen Regelung waren gleich am ersten Tag spürbar. Die Demokraten brachten erneut die Berufung von Patricia Millet an das Berufungsgericht von Columbia auf die Tagesordnung. Zuletzt wurde die Bestellung der Anwältin von den Republikanern mehrmals blockiert. Mit 55 zu 43 Stimmen wurden Debatten oder Dauerreden über ihre Nominierung unterbunden.

Links: