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Weitere Verkäufe nach Razzia

Wie nun bekanntwurde, sind bayrische Zollfahnder bereits 2011 auf einen einmaligen Kunstschatz gestoßen. Die Fahnder beschlagnahmten in der Münchner Wohnung des 79-jährigen Kunsthistorikers Cornelius Gurlitt etwa 1.500 verschollen geglaubte Bilder von Meistern der klassischen Moderne, wie das Magazin „Focus“ in seiner aktuellen Ausgabe berichtet.

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Darunter seien Werke von Pablo Picasso, Henri Matisse, Marc Chagall, Emil Nolde, Franz Marc, Max Beckmann, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Ernst Ludwig Kirchner und Max Liebermann. Die Aktion des Zolls war den Angaben zufolge unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlaufen und von den Behörden bisher geheim gehalten worden. Bei den Bildern handle es sich um Werke, welche die Nationalsozialisten als „entartet“ konfisziert oder von jüdischen Sammlern geraubt hatten.

Aufgekauft hatte die Werke demnach der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt in den 30er und 40er Jahren. Er hatte stets angegeben, dass die Sammlung bei der Bombardierung Dresdens 1945 zerstört worden sei, eine Angabe, die auch von anderen Mitgliedern der Familie so gemacht wurde. So beantwortete auch Wolfgang Gurlitt, Cousin von Hildebrand, ebenfalls Kunsthändler und nach dem Krieg Gründer der Neuen Galerie Linz (heute Lentos), damit die Frage nach dem Verbleib unzähliger Kunstwerke. Zur Rolle der beiden als Kunsthändler während der NS-Zeit sind noch immer einige Fragen offen.

Kunstankauf für „Führermuseum“

Sicher ist, dass Hildebrand Gurlitt unter den Nazis seine Position als Leiter des Kunstmuseums in Zwickau nicht nur wegen seines Engagements für „entartete Kunst“, sondern auch wegen seiner nicht rein „arischen“ Herkunft verlor. Dennoch wurde er später als Einkäufer für den „Sonderauftrag Linz“ vom NS-Propagandaministerium eingesetzt und hatte die Aufgabe, Werke für ein geplantes „Führermuseum“ in Linz anzukaufen - mehr dazu in oesterreich.ORF.at. Gleichzeitig bekam er den Auftrag, „entartete Kunst“ ins Ausland zu verkaufen. In der Nachkriegszeit gelang ihm die Rehabilitation aufgrund seiner jüdischen Wurzeln, weil er selbst nie Mitglied in einer NS-Organisation war, und wegen seines Einsatzes für die Kunst der Modernen Meister.

Auch Geschäftsunterlagen gefunden

In der Münchner Wohnung befanden sich laut „Süddeutscher Zeitung“ („SZ“) auch die Geschäftsunterlagen des Kunsthändlers, die gestützt auf Aussagen der Mutter Hildebrand Gurlitts ebenfalls als verbrannt galten. Die Dokumente stellen eine Quelle von unschätzbarem Wert für die Forschungsstelle Entartete Kunst und auch für andere Provenienzforscher dar.

Cornelius Gurlitt hatte die Bilder dem Anschein nach über ein halbes Jahrhundert in seiner Schwabinger Wohnung gehortet. Auf diesen aufmerksam geworden sei der Zoll bei einer zufälligen Bargeldkontrolle im September 2010 während einer Zugsreise von der Schweiz nach München. Die Fahnder hätten weiterrecherchiert und im Frühjahr 2011 eine Durchsuchung der Wohnung des Verdächtigen erwirkt.

Kunsthistorikerin ermittelt Herkunft der Werke

Die Bilder liegen inzwischen in einem Sicherheitstrakt des bayrischen Zolls in Garching bei München, wie es im „Focus“ heißt. Die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann von der Projektkoordination der Forschungsstelle Entartete Kunst an der Freien Universität Berlin versuche nun, die Herkunft und den Wert der Bilder zu ermitteln. Eine riesige Aufgabe für eine einzelne Angestellte, schließlich müssen die Eigentümer und Erbberechtigen der gut 1.500 Werke zweifelsfrei ermittelt werden, bevor restituiert werden kann. Den Untersuchungen zufolge gehörten mindestens 300 der aufgetauchten Werke zu den verschollenen Exponaten der „entarteten Kunst“. Für mindestens 200 Werke lägen offizielle Suchmeldungen vor.

Existieren weitere Kunstdepots?

Die zuständige Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt dem Bericht zufolge gegen Cornelius Gurlitt wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Nach „Focus“-Recherchen hatte Gurlitt im Laufe der Zeit einige Gemälde verkauft und offenbar von dem Erlös gelebt. Nach der Razzia habe er zumindest ein weiteres Gemälde - ein Bild von Max Beckmann - bei einem Auktionshaus zur Versteigerung eingebracht. Daher sei zu vermuten, so die „SZ“, dass Gurlitt möglicherweise über weitere Bilderdepots verfügt.

Das Gemälde „Löwenbändiger“ aus dem Jahr 1930 wurde aus der Auktion genommen, weil die Erben nach Alfred Flechtheim darauf Anspruch erhoben. Es wurde restituiert, kam daraufhin wieder in die Auktion und erzielte einen Preis von 864.000 Euro. Je nach Vergleichsvereinbarung dürfte davon etwa die Hälfte der Summe bei Gurlitt verblieben sein.

Staatsanwaltschaft gibt keine Auskunft

Wer dem Magazin „Focus“ die Details im Fall Gurlitt zuspielte, der davor nur die Steuerbehörden interessiert hatte, ist derzeit unklar. Die Staatsanwaltschaft Augsburg wollte den Bericht auf dpa-Anfrage am Sonntag weder bestätigen noch dementieren. Provenienzforscherin Hoffmann zeigte sich laut „SZ“ am Sonntag „mehr als irritiert“, dass Inhalte ihrer Gutachten jetzt an die Öffentlichkeit geraten sind.

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