Die Nazi-Kampagne gegen die Moderne
„Geisteskranke Nichtskönner“, für die Steuergelder verschwendet würden - mit einer langen Kampagne betrieben die Nationalsozialisten seit ihrer Machtergreifung ihren Feldzug gegen die Kunst der Moderne. Höhepunkt der polemischen Auseinandersetzung: die Schau „Entartete Kunst“, die erstmals am 19. Juli 1937 in München und später auch in Wien und Salzburg zu sehen war.
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Als „entartet“ diffamierte das NS-Regime in den 1930er und 1940er Jahren Kunstwerke, deren Ästhetik nicht in das von den Nationalsozialisten propagierte Menschenbild passte. Das galt unter anderem für Expressionismus, Impressionismus, Dadaismus, Surrealismus und Kubismus.

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Plakat von Rudolf Hermann für die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ in den Jahren 1937 bis 1938
Ein Begriff aus der Rassenlehre der Nazis
Ursprünglich stammt der Begriff „entartet“ aus der Rassenlehre der Nazis - in der Euthanasiebewegung des Dritten Reiches wurde er für erbkranke und behinderte Menschen verwendet. Die Übertragung der Bedeutung ins kulturelle Leben sollte den angeblich minderwertigen Charakter moderner „Verfallskunst“ anprangern. Betroffen waren in erster Linie Vertreter des deutschen Expressionismus, deren abstrakte, kontrastreiche und oft fratzenhafte Darstellungen vom NS-Idealbild des „starken“ Menschen abwichen. Mit im Visier der „entarteten“ Kunst war auch der österreichische Künstler Oskar Kokoschka, der ja vor den Nazis ins Exil geflüchtet war - und der bei der Heimkehr nach Österreich just jene Argumente hören musste, die man ihm auch unter den Nazis vorgehalten hatte.
Ins Visier der faschistischen Kulturwächter geriet vor allem die Dresdner Künstlergemeinschaft „Die Brücke“ mit Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Emil Nolde. Auch die Neue Sachlichkeit von Otto Dix und die Bauhaus-Schule aus der Zeit der Weimarer Republik erregten den Unmut der Nazis.
1938 wurde ein Gesetz zur Enteignung von Museen erlassen, die die Entfernung solcher Werke verweigerten. Die Künstler wurden mit Mal- und Ausstellungsverboten unterdrückt, viele kamen ins Gefängnis oder in Konzentrationslager.
Auftakt zur systematischen Kunstverfolgung
Am 19. Juli 1937 startete die von Joseph Goebbels initiierte Propagandaausstellung „Entartete Kunst“. Das galt als Startschuss für die Verfolgung freier Kunst im Nationalsozialismus. Der Ort des Geschehens: die Münchner Hofgartenarkaden unweit des damals neu eröffneten „Hauses der Deutschen Kunst“, des heutigen Hauses der Kunst, das sich seit Jahren intensiv mit seiner Nazi-Vergangenheit auseinandersetzt.
Dass die Schau „Entartete Kunst“ im „Haus der Deutschen Kunst“ stattgefunden haben soll, ist ein weit verbreitetes Missverständnis. „Sogar ich dachte, dass die Ausstellung ‚Entartete Kunst‘ hier stattgefunden hat“, sagte Okwui Enwezor, der das Haus der Kunst seit Oktober 2011 leitet.
Dabei hätte es wohl kaum zum Kunstverständnis der Nationalsozialisten gepasst, das, was sie als „entartet“ verunglimpften, in den Tempel der Nazi-Kunst einziehen zu lassen. Und so wurde die Ausstellung „Entartete Kunst“ zur gezielten Gegenveranstaltung, nämlich schräg gegenüber des Kunsthauses in den Hofgartenarkaden.
Ausstellung mit Pranger-Charakter
In der Schau setzten die Ausstellungsmacher die Kunstwerke mit Zeichnungen von geistig Behinderten gleich oder kombinierten Bilder mit Fotos verkrüppelter Menschen. Das Ziel der Nazis: die Erregung von Abscheu und Beklemmung bei den Betrachtern und die Einstufung solcher Kunstwerke als in ihrem Sinne minderwertig. Die Schau, die bis 1941 noch durch zwölf weitere deutsche Städte zog, hatte mehr als drei Millionen Besucher. In Wien, wo die Schau im Künstlerhaus gezeigt wurde, konnte man auch binnen kurzer Zeit fast 100.000 Besucher zählen.

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Besucher in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in Berlin, 1938
650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen wurden damals in München ausgestellt. Die Schau gilt auch deshalb als Anfang vom Ende der freien Kunst und der Avantgarde, weil nicht nur fast gleichzeitig die erste „Große Deutsche Kunstausstellung“ im neu eröffneten „Haus der Deutschen Kunst“ stattfand.
Auftakt zur „Säuberung“ deutscher Museen
Zusätzlich setzten auch die Beschlagnahmungen unerwünschter Kunstwerke ein, die „Säuberung“ deutscher Kunstsammlungen, wie die Nazis es nannten. Tausende moderne Kunstwerke wurden zerstört oder ins Ausland verkauft. Betroffen waren etwa 1.400 Künstler. Berufsverbote hatte es schon früher gegeben. Nach der bildenden Kunst nahmen die Nazis sich auch die übrigen Sparten des kulturellen Lebens vor, Literatur, Theater, Musik. Ein Jahr später, am 24. Mai 1938, eröffnete die Ausstellung „Entartete Musik“.
Das Schicksal einiger beschlagnahmter Werke ist bis heute noch unklar, das von mehr als 21.000 ist aber inzwischen im Internet nachzuverfolgen - in einer Onlinedatenbank der Freien Universität (FU) Berlin. Die Forscher erhoffen sich durch die Veröffentlichung Hinweise auf bis heute verschollenen Werke und unbekannt gebliebene Künstler.
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