Notfallplan für „schwarze Löcher“
Marode Großbanken in Europa sollen künftig nicht mehr nur vom Steuerzahler gerettet werden. Die EU-Finanzminister einigten sich in der Nacht auf Donnerstag in Brüssel auf entsprechende Haftungsregeln. Demnach soll erst an letzter Stelle der Staat Löcher in Bilanzen stopfen. Zuvor sollen Aktionäre, Anleihebesitzer und Bankkunden mit Guthaben über 100.000 Euro Opfer bringen.
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Das Abwicklungsgesetz markiert eine Wende in der europäischen Finanzpolitik - Ziel ist es, die Steuerzahler von milliardenschweren Rettungsaktionen zu verschonen. Künftig können dafür auch Privatkunden mit Ersparnissen über 100.000 Euro Geld verlieren. Beträge bis zu dieser Grenze sollen dagegen gesetzlich garantiert bleiben. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen über das Gesetz allerdings noch mit dem Europäischen Parlament verhandeln.
Mitgefangen, mitgehangen
Die neuen Regeln geben den nationalen Abwicklungsbehörden weitreichende Eingriffsrechte in strauchelnde Geldhäuser. Sie können kleinere Banken künftig einfacher und nach europaweit einheitlichen Regeln schließen. Die Haftung von Eigentümern und Gläubigern („Bail-in“) greift erst bei systemrelevanten Großbanken, die sanierungsfähig und stark mit anderen Banken verstrickt sind. Ihre Pleite könnte das gesamte Finanzsystem ins Wanken bringen.

AP/Yves Logghe
Fekter im Gespräch mit ihrer finnischen Kollegin Urpilainen
Aus Angst vor fatalen Kettenreaktionen hatten es die EU-Staaten in der Bankenkrise 2008 nicht gewagt, Geldhäuser pleitegehen zu lassen. Binnen drei Jahren stützten sie die Banken mit einem Drittel der gesamten EU-Wirtschaftsleistung, größtenteils mit inzwischen abgelösten Garantien. Der irische Staat ging darüber fast pleite. In großem Stil mussten Bankinvestoren erstmals bei der Rettung Zyperns finanziell bluten.
Fekter für größtmögliche „Unflexibilität“
Deutschland, die Niederlande und auch Österreich hatten in den Verhandlungen auf eine weitreichende Gläubigerbeteiligung und möglichst einheitliche Regeln gepocht. Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) etwa hatte im Vorfeld der Verhandlungen auf ein einheitliches und „unflexibles“ System gedrängt, damit man nicht „anschließend darüber diskutieren“ müsse, „was überhaupt in den Regularien drinsteht“.
Frankreich dagegen kämpfte für nationalen Spielraum, um im Krisenfall doch lieber früher als später wieder mit öffentlichen Geldern eingreifen zu können. Wichtig ist nach den Worten des französischen Finanzministers Pierre Moscovici, dass auch der Euro-Rettungsfonds ESM als Finanzierungsquelle ausdrücklich eingeschlossen ist. Nun sollen die EU-Mitglieder als Hintertüre zu den Regeln Ausnahmen machen können, wenn die Verlustbeteiligung gravierende Folgen hätte.
Ein Schritt näher zur Bankenunion
Das Gesetz zur Bankenabwicklung ist ein wichtiges Element der Bankenunion, die in der Euro-Zone aufgebaut werden soll. Die EU-Staaten hatten sich vorgenommen, die wesentlichen Bausteine dazu bis Ende Juni auf den Weg zu bringen. Abgesegnet ist bereits die zentrale Bankenaufsicht für die Euro-Zone unter Führung der Europäischen Zentralbank (EZB). Mit der Bankenabwicklung steht eine weitere Säule. Die Reform der Einlagensicherung steht noch aus.
Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag werden die Staats- und Regierungschefs zu weiteren Schritten drängen. In der kommenden Woche will die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf vorlegen, der eine engere Verzahnung der bisher nur nationalen, von den Banken finanzierten Abwicklungsfonds vorsieht. Über diesen Plan wurde schon im Vorfeld heftig gestritten. Deutschland sperrt sich gegen einen zentralen europäischen Fonds, bei dem etwa deutsche Sparkassen für eine französische Großbank einzustehen hätten.
„Schöner Abend“
„Die Einigung ist ein Meilenstein in unseren Bemühungen, den Teufelskreis zwischen Banken und Staaten zu zerschlagen“, sagte der irische Finanzminister und Ratsvorsitzende Michael Noonan nach der Einigung. Auch Moscovici sprach von einem „schönen Abend“. Deutschland zeigte sich ebenso mit dem Kompromiss zufrieden, der kleine Sparer „nach Möglichkeit“ schonen werde. Die Abwicklungsvorschriften seien nicht nur graue Theorie, sagte ein EU-Diplomat. „Jeder weiß, es gibt ein schwarzes Loch in Europas Bankensektor.“
Wenn es noch eines Beweises bedürfte, wie dringend Regeln zur Bankeninsolvenz sind, liefert diesen nun die Veröffentlichung von Äußerungen aus der irischen Anglo Irish Bank, die mit 30 Milliarden Euro öffentlicher Gelder gerettet wurde. Demnach sagte der Ex-Kapitalmarktchef der Bank am Telefon, er habe mit voller Absicht einen Kapitalbedarf von nur sieben Milliarden Euro genannt, weil es bei einer realistischen Darstellung womöglich von Anfang an keine Rettungsaktion gegeben hätte. Die Zahl habe er sich „aus dem Arsch“ gezogen.
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