Themenüberblick

Die Coens, Jarmusch, Polanski und Co.

Die Filmfestspiele von Cannes hatten heuer mehr zu bieten als Starrummel auf dem roten Teppich und spärlich bekleidete Models vor den Kameralinsen. Die Filme konnten sich auch abseits von „La vie d’Adele“, für den die Goldene Palme verliehen wurde, sehen lassen. Der Starrummel fand auf der Leinwand statt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Mit besonderer Spannung war Jim Jarmuschs neuer Film „Only Lovers Left Alive“ erwartet worden. Schließlich sind seit „Broken Flowers“, das damals den Grand Prix in Cannes gewonnen hatte, schon acht Jahre vergangen. In der Zwischenzeit hatte Jarmusch das Publikum und einen Großteil der Kritiker mit seiner „cineastischen Installation“ (Georg Seeßlen) - „The Limits of Control“ - verstört, die einen Thriller versprach, dann aber keiner war.

Szene aus dem Film Only Lovers Left Alive von Jim Jarmusch

Recorded Picture Company

Tilda Swinton und Tom Hiddleston in Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“

Nun war er mit „Only Lovers Left Alive“ in letzter Minute in den Wettbewerb von Cannes aufgenommen worden. Jarmusch selbst beschreibt seinen Film als eine „Krypto-Vampir-Liebesgeschichte“. In den Hauptrollen sind zwei Briten zu sehen, Tom Hiddleston und die momentan in Independent- und sonstigen Künstlerkreisen über alle Maßen hochgehaltenen Tilda Swinton. Die beiden spielen ein Paar von Untoten, das sich über die Jahrhunderte immer wieder trennt und zusammenfindet.

„Twilight“ für Kunstsinnige

Hiddlestons Charakter Adam ist ein Musiker - in der Gegenwart dem Underground verschrieben. Zwei Clips aus dem Film sind online zu sehen, in einem davon sieht man eine typische Probenkellersituation. „Letzlich geht es in dem Film um die Liebe“, sagte Hiddleston gegenüber Medien, „und um die Zeit und die Kraft der Kreativität“. Adam und seine geheimnisvolle Geliebte - sie heißt Eva - können ihre Zweisamkeit in der Gegenwart nur kurz genießen, denn schon bald stört Evas wilde kleine Schwester das Idyll.

Wie stets bei Jarmusch spielt auch diesmal die Musik eine Hauptrolle, auch abseits der Handlung rund um Adam. In einem Cameo-Auftritt ist die libanesische Sängerin und Liedermacherin Yasmine Hamdan zu sehen - und sie steuert einen eigens komponierten Song bei. Was bis jetzt von dem Film zu sehen war, wirkt ein wenig wie „Twilight“ für Kunstsinnige.

Ein echter Coen-Brüder-Film

Mit ihrer Folk-Musik-Studie „Inside Llewyn Davis“ nahmen indes die Brüder Ethan und Joel Coen das Publikum in Cannes für sich ein - und sie erhielten den Großen Preis der Jury. Die mehrfachen Oscar-Gewinner tauchen mit dem Werk in die Folk-Musik-Szene der 1960er Jahre in den USA ein. Im Mittelpunkt steht Llewyn Davis (Oscar Isaac), der sich im Greenwich Village in New York als Folk-Musiker durchschlägt - wenig erfolgreich. Daher muss er immer wieder auf den Sofas seiner Freunde schlafen, unter anderem bei Jean (Carey Mulligan) und Jim (Justin Timberlake).

Eine Szene aus dem Film "Inside Llewyn Davis" zeigt Musiker im Studio

APA/EPA/Cannes Film Festival/Alison Rosa

Oscar Isaac, Justin Timberlake and Adam Driver: „Inside Llewyn Davis“ der Coens

Das wunderbar gefilmte „Inside Llewyn Davis“ schlägt dabei melancholische und schräg-humorvolle Töne an. Die Coen-Brüder sind in Cannes etablierte, alte Bekannte. Sie kamen schon mit ihren früheren Werken wie „No Country for Old Men“, „The Ladykillers“ und „Fargo“ nach Südfrankreich - und gewannen dort bereits einige Preise, darunter 1991 die Goldene Palme für ihr surreales Drama „Barton Fink“. Mit „Inside Llewyn Davis“ beweisen die Brüder erneut, dass sie auf kein Genre festlegbar sind, sondern betreten wieder ein neues Terrain.

Justin Timberlake glänzt in Nebenrolle

Die Farben sind gesättigt, und langsame Kamerafahrten erzeugen eine ganz eigene, ruhige Stimmung, die gleichzeitig bestens zur melancholischen Grundstimmung des Protagonisten passt: Llewyn Davis lässt sich ohne festen Wohnsitz und Fixpunkt durchs Leben treiben, hofft auf immer neue Chancen zum Erfolg und scheitert doch jedes Mal. Dabei gelingt es den Coen-Brüdern allerdings, trotz aller Tragik den für sie berühmten lakonischen Humor zu bewahren. In Details und einzelnen Bildern erkennen sie das Absurde und Skurrile und bringen die Zuschauer damit immer wieder zum Lachen.

In der Hauptrolle glänzt Oscar Isaac, doch auch Erfolgsmusiker Justin Timberlake und vor allem Schauspielerin Carey Mulligan - die schon im Cannes-Eröffnungsfilm „Der große Gatsby“ zu sehen war - können mit ihren kleineren Parts Akzente setzen. Einen Geheimtipp, wie strauchelnde Musiker erfolgreich werden könnten, hatte Timberlake in Cannes dann zwar nicht parat. Er riet jedoch, nicht zu schnell aufzugeben, sondern an sich zu glauben. „Man darf nicht zu sehr daran denken, was die Reaktion anderer Menschen sein könnte.“

Zuhause bei Paris Hilton

Regisseurin Sofia Coppola wiederum stellte „Harry Potter“-Star Emma Watson als Einbrecherin in Promivillen vor. Coppolas Werk „The Bling Ring“ eröffnete die renommierte Nebenreihe „Un certain regard“. Der Film basiert auf wahren Begebenheiten und erzählt von Jugendlichen in Los Angeles, die in die Häuser von Stars wie Paris Hilton und Orlando Bloom einsteigen. Paris Hilton und Schauspielerin Kirsten Dunst haben in „The Bling Ring“ kleine Gastauftritte als sie selbst. Hilton, in deren Haus auch gedreht wurde, versäumte übrigens die Premiere, weil sie aufgrund eines Stromausfalls im Hotel nur ihre halben Locken gewickelt bekam.

Die 41-jährige Coppola („Lost in Translation“) fokussiert jedenfalls auf das eher unbeschwerte Leben der Räuberbande, die die Promivillen als Luxus-Shopping-Center sehen und sich Designerkleidung wie Trophäen mit nach Hause nehmen. Coppola, die Tochter des fünffachen Oscar-Gewinners Francis Ford („Der Pate“), zeigt Jugendliche, die Paris Hilton und Co. möglichst nah kommen und deren Lebensstil nachahmen möchten - unterlegt mit Partymusik und in teils intensiven Farben gefilmt wirkt „The Bling Ring“ daher wie ein grelles Abbild des Starkults so mancher Teenies.

Ozon und das Doppelleben einer 17-Jährigen

Auch im Hauptwettbewerb standen Jugendliche im Mittelpunkt: In „Young & Beautiful“ des Franzosen Francois Ozon überraschte die Hauptdarstellerin Marine Vacth mit ihrer starken Darstellung einer 17-jährigen Prostituierten. Ozon („8 Frauen“, „Das Schmuckstück“) beobachtet die junge Isabelle aus gutbürgerlichem Haus über ein Jahr, zeigt, wie sie Sex mit deutlich älteren Männern in Hotelzimmern hat - und wie ihr Doppelleben schließlich auffliegt.

Starkino mit Ryan Gosling und Michael Douglas

Nicolas Winding Refn, der zuletzt mit „Drive“ auch bei der Viennale für Furore gesorgt hatte, führte seinen neuen Film „Only God Forgives“ ins Rennen um den Hauptpreis. Erneut in der Hauptrolle: Bobo-Schwarm Ryan Gosling; in einer weiteren Rolle ist Kristin Scott Thomas zu sehen. Gosling beschreibt den Film als „Märchen“, Winding Refn als „Thriller mit Western-Anklängen, der in Asien spielt“. Im Mittelpunkt steht Julian (Gosling), der einen Thai-Box-Club als Tarnunternehmen für seinen drogenschmuggelnden Familienclan betreibt.

Ryan Gosling mit geballten Fäusten im Film "Only God Forgives"

Wild Bunch

Ryan Gosling in Nicolas Winding Refns „Only God Forgives“

Ganz auf seinen Star zugeschnitten ist auch Steven Soderberghs „Behind the Candelabra“ mit Michael Douglas („Basic Instinct“, „Wall Street“) in der Hauptrolle. Er spielt in dem Wettbewerbsbeitrag den extravaganten Pianisten und Entertainer Liberace (1919 - 1987), der durch seine pompösen Shows und Auftritte berühmt wurde. Der Film von Soderbergh zeigt die über Jahre geheime Beziehung, die Liberace zu dem deutlich jüngeren Scott Thorson - gespielt von Matt Damon - hatte.

Polanski und die Besessenheit vom Schauspiel

Noch ein großer Name trat heuer im Wettbewerb an: Roman Polanski hat David Ives Stück „Venus im Pelz“, das seinerseits von Leopold von Sacher-Masoch inspiriert war, mit Emmanuelle Seigner und Mathieu Amalric in den Hauptrollen verfilmt. Die Handlung klingt ganz nach Polanski: Allein in einem Pariser Theater, nach einem Schauspielerinnen-Casting für ein Stück, das er in inszenieren möchte, beschwert sich Thomas am Telefon über die miserable Leistung der Kandidatinnen. Keine einzige hatte das Zeug für die Hauptrolle.

Thomas ist schon im Gehen, als Vanda erscheint, ein wahres Energiebündel, hemmungslos und frech. Vanda verkörpert all das, was Thomas hasst. Sie ist vulgär, wirkt oberflächlich und würde offenbar vor nichts zurückschrecken, um die Rolle zu erhalten. Gezwungenermaßen gibt ihr Thomas eine Chance - und mit Verblüffung sieht er Vanda sich verwandeln. Nicht nur, dass sie sich Kostüme und Accessoires besorgt hat, versteht sie auch die Figur (deren Vorname sie zufällig trägt) perfekt und kennt jede Zeile auswendig. Während ihr Vortrag immer mehr an Kraft und Intensität gewinnt, wandelt sich Thomas’ Anziehung in Besessenheit.

Die genannten Filme waren nicht die einzigen, die viele Cineasten schon sehnsüchtig werden ließen, wenn sie die Cannes-Berichterstattung heuer verfolgten. Die hochkarätige Jury rund um Steven Spielberg, in der unter anderen Nicole Kidman und Christoph Waltz saßen, hatte es wohl nicht leicht mit ihrer Entscheidung, wen sie die Goldene Palme und die anderen Preise heuer verleihen sollten.

Link: