Film mit Risiken und Nebenwirkungen
Steven Soderberghs Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Side Effects“ ist so komplex wie ein Beipackzettel. Der Starregisseur („Traffic“, „Che“) begnügt sich in seinem spannenden und suggestiven Thriller nicht damit, die Machenschaften der US-Pharmaindustrie anzuprangern.
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„Side Effects“ ist ein Film über das undurchschaubare Verhältnis zwischen einer depressiven Patientin und ihrem Psychiater und die Gier nach Geld und Ansehen. Scharenweise verließen die Besucher der Pressevorführung von Soderberghs Wettbewerbsbeitrag noch vor dem Abspann den Berlinale-Palast. Aber nicht aus Protest gegen den Film, sondern um sich im Saal, wo die anschließende Pressekonferenz mit den Hauptdarstellern Jude Law und Rooney Mara, sowie dem Drehbuchautor Scott Z. Burns und dem Regisseur stattfand, einen Platz zu sichern. Staralarm bei der Berlinale - da wird es enger, als es ohnehin schon ist.
„Side effects“ ist filmisch so kompliziert und unvorhersehbar gestrickt, wie es die auf den Beipackzetteln beschriebenen Nebenwirkungen von Medikamenten sein können. Erst einmal ist es ein Thriller über die Machenschaften der Pharmaindustrie, der den Zuschauer in die verdüsterte Welt der depressiven Emily Taylor (Rooney Mara) hineinzieht.

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Jude Law und Catherine Zeta-Jones
Bittere Pillen
Gerade ist ihr Mann - er hat wegen Insiderhandels vier Jahre eingesessen - aus dem Gefängnis entlassen worden und verspricht ihr, dass alles so werde wie früher (teure Autos, schöne Häuser, guter Sex), da zeigt sich, wie wenig Emily sich darüber freuen kann. Doch schließlich gibt es eine gut entwickelte Pharmaindustrie, die mit immer neuen Präparaten gegen Depression Werbung und Millionen macht.
Emily glaubt an deren Wirkung, denn ihr neuer Psychiater Jonathan Banks (Jude Law) stellt ihr mit ärztlicher Überzeugungskraft immer neue Pillenmenüs zusammen. Dann passiert es: Unter Einfluss eines Antidepressivums ersticht Emily aus heiterem Himmel ihren Mann - und kann sich, als Schlafwandlerin, an die Tat nicht erinnern. Wer ist schuld? Der behandelnde Arzt oder seine Patientin?
„Krieg gegen die Traurigkeit“
Soderbergh ist nicht der Mann, der sich mit einem klassischen Thrillerrezept begnügen würde. Vielleicht wird er deshalb so gerne zur Berlinale eingeladen (2012 mit „Haywire“, 2007 mit „The Good German“, 2001 mit „Traffic“), weil er für jeden seiner Stoffe eine packende filmische Umsetzung und einen gesellschaftskritischen Kommentar liefert. Das passt genau zum Profil des Berlinale-Wettbewerbs. So auch diesmal: Grundlage des Films sei der „Krieg gegen die Traurigkeit“, den die Amerikaner mit Hilfe diverser Glückspillen führten, wie es Drehbuchautor Burns auf der Pressekonferenz ausdrückte.

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Rooney Mara und Channing Tatum
Dem Regisseur selbst war es, wie er sagte, daran gelegen, gängige Erwartungshaltungen gegenüber dem Verhältnis zwischen leidenden Patienten, selbstlosen Ärzten und skrupellosen Pharmakonzernen aufzubrechen, um so die Komplexität der Beziehung zwischen Industrie, Medizin, Justiz und Verbrauchern darzulegen. Das ist ihm gelungen: In „Side Effects“ verteilt der Regisseur an alle Beteiligten bittere Pillen, indem er im zweiten Teil des Films den Standpunkt wechselt und sich nunmehr auf die Seite des zunehmend isolierten Dr. Banks stellt. Der kämpft darum, zu beweisen, dass ihn keine Schuld an dem Tötungsakt seiner Patientin trifft, die bis auf weiteres in die geschlossene Anstalt eingeliefert wurde.
Eine gut gespielte Depression?
Könnte es denn nicht sein, suggeriert der Film nun, dass die arme Emily gar nicht depressiv ist, sondern in Absprache mit ihrer vorherigen Ärztin - Catherine Zeta-Jones in einer Prachtrolle als unterkühlt funkelnde Psychiaterin - den Mord an ihrem Mann geplant hat? Dass diese Dr. Victoria Siebert teuer bezahlte PR-Texte für Pharmafirmen schreibt, an denen sie selbst Aktien hält? Dass sie mit ihrer Ex-Patientin Emily Taylor - noch ein Tabubruch - ein Verhältnis hatte? Dass auch der sensible Dr. Banks sich von einer Pharmafirma als Berater kaufen ließ, um seiner Frau, einer geschassten Bankerin, einen aufwendigen Lebensstil zu sichern?
Ein wunderbar schwingender Soundtrack verleiht dem Film eine entrückte Note und bildet einen effektvollen Kontrast zur schnöden Realität, die für Dr. Banks irgendwann bereithält, im Zentrum des Medieninteresses zu stehen, seinen Beratervertrag sowie gut zahlende Patienten zu verlieren und auch noch Frau und Kind.
Bloß nicht naiv sein
In „Side Effects“ ist alles möglich - was den Film spannend bis zum Schluss macht. Stets ist allerdings auch Soderberghs Bemühen spürbar, sich bloß nie dem Vorwurf aussetzen zu müssen, sein Film sei naiv. Eher ist er überkomplex und schwer durchschaubar, was auch daran liegt, wie Law seine Rolle anlegt: Die seriöse Seite des Psychiaters nimmt man ihm durchaus ab, die diabolische hingegen weniger.
Großes Lob gebührt dagegen Hauptdarstellerin Mara, die auf der Pressekonferenz entrückt wie ihre Filmfigur schien und Fragen nur mit einem hilflosen Lächeln beantwortete. Den Fans und Autogrammjägern, die in außergewöhnlich dichten Trauben draußen auf der Straße auf die US-Stars warteten, war das vermutlich egal.
Alexander Musik, ORF.at aus Berlin
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