Monti: Erster Schritt zu Euro-Bonds
Unter dem Druck Italiens und Spaniens hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) weitreichende Zugeständnisse beim Einsatz der Euro-Rettungsfonds gemacht. Sie wich beim EU-Gipfel von ihrem rigorosen Sparkurs ab. Künftig sollen nicht nur direkte Bankenhilfen möglich sein, sondern auch der Aufkauf von Staatsanleihen reformwilliger Mitgliedsländer, wie die Euro-Staaten am Freitag in Brüssel beschlossen.
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Im Gegenzug stimmten Rom und Madrid einem EU-Wachstumspakt zu. Die Euro-Zone hat damit nach den Worten des italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti am Freitag den Weg für gemeinschaftliche Anleihen, Euro-Bonds, bereitet. Die Währungsgemeinschaft habe mit ihren nächtlichen Beschlüssen dafür die Basis gelegt, sagte Monti, der Entlastungen für den Schuldendienst seines angeschlagenen Landes gefordert hatte.

Reuters/ Francois Lenoir
Merkel im Gespräch mit EZB-Chef Draghi und Italiens Premier Monti
Merkel macht gute Miene zu bösem Spiel
Im Vorfeld hatte die deutsche Regierung eine Ausweitung der Instrumente im Kampf gegen die Schuldenkrise und damit eine Vergemeinschaftung der Schulden noch deutlich abgelehnt.
Deutschland fürchtet, bei einer Vergemeinschaftung der Schulden von den Märkten bei den eigenen Anleihen abgestraft zu werden und höhere Zinsen für neues Geld zahlen zu müssen. In einem anderen Punkt blieb Merkel jedoch hart: Nach ihrem klaren Nein tauchen gemeinsame Anleihen (Euro-Bonds) nicht im Kommunique des Gipfels auf.
„Unserer Philosophie treu geblieben“
Trotz ihrer Zugeständnisse gab sich Merkel zufrieden und sieht die EU weiter auf ihrem Kurs. „Wir sind unserer Philosophie ‚keine Leistung ohne Gegenleistung‘ treu geblieben“, sagte Merkel am Freitag bei der Ankunft zur zweiten Gipfelrunde. „Insofern bleiben wir also vollkommen in unserem bisherigen Schema: Leistung, Gegenleistung, Konditionalität und Kontrolle.“ „Spanien und Italien siegen beim EU-Gipfel“ titelte allerdings die „Financial Times Deutschland“ in ihrer Onlineausgabe. „Merkel liegt beim Euro-Endspiel hinten“, so das „Handelsblatt“.
Van Rompuy krempelte Programm um
Der „Schlag gegen Merkel“ war offenbar konzertiert. EU-Gipfelchef Herman van Rompuy krempelte das Programm des zweitägigen Spitzentreffens komplett um. Er setzte die Krisensitzung der 17 Euro-Staaten in der Nacht an; ursprünglich wollten sich die „Chefs“ der Euro-Länder erst am Freitagmittag zusammensetzen. In dramatischen und zähen Verhandlungen wurde dann versucht, sich auf Notmaßnahmen für Italien und Spanien zu verständigen. In einer Erklärung heißt es: „Es ist entscheidend, den Teufelskreis zwischen Banken und souveränen Staaten zu durchbrechen.“
Juncker gibt sich diplomatisch
Merkel sei beim EU-Gipfel weder isoliert noch bedroht gewesen, so Euro-Gruppe-Chef Jean-Claude Juncker. „Frau Merkel war nicht isoliert in der Vergangenheit, ist auch jetzt nicht isoliert. Andere haben andere Auffassungen.“ Er unterstrich: „Der Eindruck, den man zu schinden versucht, als ob sich Frau Merkel hier hätte dagegen wehren müssen, dass wir morgen Früh um 11.00 Uhr Euro-Anleihen einführen, ist ein falscher Eindruck. Man muss sich also nicht gegen etwas wehren, was als Gefahr nicht erkennbar ist.“ Zu Euro-Bonds sagte er: „Dass wir uns perspektivisch mittel- und langfristig mit dem Thema beschäftigen, scheint mir eine Sache des gesunden Menschenverstandes zu sein.“
Juncker sagte, Italien und Spanien hätten mit der Weigerung, den Wachstumspakt zu unterschreiben, die anderen Partner nicht erpresst. „Ich bin völlig unfähig, mich derartig martialischen Begriffswelten zu nähern“, sagte Juncker. „Jeder bringt hier vor, was er vorzubringen hat. Und manchmal fühlen auch Italiener und Spanier sich von anderen Nationen erpresst.“
Auch bei Kontrolle durchgesetzt
Italien erreichte offenbar auch noch in einen weiteren Punkt ein Entgegenkommen: Staaten, die die vereinbarten Regeln zu Schulden und Budget einhielten, würden nicht von der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) kontrolliert, wenn sie finanzielle Hilfen eines Rettungsschirms in Anspruch nähmen, sagte Monti. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone habe derzeit aber keine Absicht, eine solche Hilfe zu beantragen.
Italien fühlt sich von den Finanzmärkten ungerecht behandelt. Trotz eines umfangreichen Reformprogramms und anerkannter Fortschritte in der Budgetsanierung muss das Land derzeit rekordhohe Zinsen bieten, wenn es frisches Geld auf dem Kapitalmarkt aufnimmt. Monti hatte einen Mechanismus vorgeschlagen, unter dem der EFSF von einer bestimmten Zinshöhe an quasi automatisch Anleihen kauft. Monti sprach von harten Debatten bei dem mehrstündigen Euro-Gipfel. „Die Euro-Zone ist gestärkt“, lautete die Bilanz des parteilosen Regierungschefs. Auch der Chef der EZB, der Italiener Mario Draghi, begrüßte die Zugeständnisse an Italien und Spanien.
Hollande „der Mann im Hintergrund“
Frankreichs Präsident Francois Hollande unterstützte bereits im Vorfeld Italien und Spanien in ihrem Versuch, schnelle Stabilisierungshilfen der Euro-Partner zu erhalten. Er gilt als „Mann im Hintergrund“. Über eine neue Machtachse von Frankreich, Italien und Spanien war bereits nach dem letzten EU-Gipfel spekuliert worden.
Die Hilfen müssten allerdings im Rahmen der bestehenden Verträge geschehen, sagte Hollande Freitagfrüh. „Es geht nicht darum, einen Vertrag zu erneuern“, betonte er angesichts italienischer Forderungen, die Regelung für ein Eingreifen der Rettungsschirme EFSF und ESM zu ändern. Es müssten die Mittel eingesetzt werden, die man bereits geschaffen habe.
„Zuckerl“ auch für Merkel
Mit seinem Nein zu Vertragsänderungen stellte sich Hollande an die Seite von Merkel, die ihre Bereitschaft für Hilfen erklärt hat, aber zugleich betonte, dass es bei Anträgen der Regierungen für Hilfe und Auflagen bleiben müsse. Ausdrücklich nahm Hollande allerdings Spanien und Italien gegen den Vorwurf in Schutz, sie erpressten den EU-Gipfel, weil sie ohne kurzfristige Hilfen auch den Beschluss eines EU-Wachstumspakts verhindern wollten.
Er habe Verständnis für die Sorgen beider Staaten. Sie dürften nicht von den Märkten bestraft werden, weil sie versuchten, ihre Defizite zu senken und für Wachstum zu sorgen. „Jeder muss sich anstrengen, damit die Märkte überzeugt davon sind, dass die Maßnahmen effizient sind.“ Die Stabilisierung Spaniens und Italiens sei im gesamten Interesse der Euro-Zone.
Suche nach neuer Rolle für „Madame Non“
Hollande ist mit Merkel offenbar oft nicht auf einer Wellenlänge. In seinem konservativen Vorgänger Nicolas Sarkozy verlor Merkel auf EU-Ebene einen wichtigen Verbündeten, zusammen waren sie das Tandem „Merkozy“. Nun muss Merkel alleine kämpfen. Merkel selbst bezeichnete die Zusammenarbeit mit Hollande allerdings als gut. „Er ist natürlich ein anderer Mensch, das kann man unschwer erkennen“, aber die Zusammenarbeit „hat Spaß gemacht.“
Nach dem nächtlichen Verhandlungsmarathon verkündete Hollande, Monti und der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy hätten ihn sehr wohl über ihre Absichten informiert - während Merkel von dem Coup offenbar überrascht wurde. Die Chefs der drei großen Volkswirtschaften der Euro-Zone übten so offenbar den Aufstand gegen die bisherige deutsche Dominanz.
Merkel muss nach einer neuen Rolle suchen. gegen diese neue Dreierallianz kann sie so nicht mehr die gefürchtete „Madame Non“ sein. „Dieser Gipfel ist der Abschied von Merkozy. Ein anderes Europa ist nun möglich“, erklärte der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Hannes Swoboda.
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