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Stichwahl gegen Schafik gewonnen

Der gewählte ägyptische Präsident Mohammed Mursi hat in einer ersten Ansprache betont, der Präsident aller Ägypter sein zu wollen. „Muslime oder Christen, Männer oder Frauen, Alte oder Junge, (...), ihr seid alle meine Familie“, sagte der Islamist in der Rede, die am Sonntagabend vom staatlichen Fernsehen gesendet wurde.

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Am Nachmittag hatte die Wahlkommission Mursi zum Sieger der Stichwahl am 16. und 17. Juni erklärt. Der Kandidat der religiös-konservativen Muslimbruderschaft hatte sich mit knapp 52 Prozent der Stimmen gegen seinen Mitbewerber, den Ex-Ministerpräsidenten Ahmed Schafik, durchgesetzt. Die Wahlbeteiligung lag bei 51 Prozent und damit um vier Prozentpunkte über jener der ersten Runde Ende Mai.

Nach Mursis Sieg erklärte die konservativ-religiöse Muslimbruderschaft dessen Mitgliedschaft für beendet. Das gelte auch für das Verhältnis des gewählten Präsidenten zu der von der Bruderschaft gegründeten Partei Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), sagte der Generalsekretär der Muslimbruderschaft, Mahmud Hussein, laut ägyptischen Medienberichten vom Montag. „Wir haben damit unser Versprechen erfüllt, das wir für den Fall des Sieges unseres Kandidaten abgegeben hatten“, wurde Hussein zitiert.

Sieg über Mubarak-Regime

Der 60-jährige islamistische Politiker würdigte am Sonntag die Aufständischen, deren Revolte den langjährigen Machthaber Hosni Mubarak im Februar vergangenen Jahres aus dem Amt getrieben hatte. Mit Blick auf die rund 850 Toten des Aufstandes dankte Mursi den „Märtyrern“. Die Revolution gehe so lange weiter, bis „alle ihre Ziele erreicht“ seien, sagte Mursi. In Ägypten wurde der Wahlerfolg nicht nur von den Sympathisanten der Muslimbrüder gefeiert: Säkulare Gruppen hätten einen Sieg Schafiks als Scheitern der Revolution und als Weiterführung des Regimes von Mubarak gewertet.

Versöhnliche Töne gegenüber Israel

Mursi betonte in der Ansprache auch, alle internationalen Verträge seines Landes zu achten. „Wir wollen Frieden“, sagte er in der Rede. Ägypten ist - neben Jordanien - das einzige arabische Land, das einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen hat. Zu der von ihm angestrebten Außenpolitik sagte er: „Wir werden uns um sehr ausgewogene Beziehungen zu allen internationalen Faktoren bemühen, auf der Grundlage gemeinsamer Interessen und wechselseitigen Respekts.“ Die Muslimbruderschaft steht als islamistische Bewegung Israel eher feindselig gegenüber. Zu erwarten ist allerdings, dass die Außenpolitik Kairos ohnehin weiterhin vom prowestlichen Militär gesteuert wird.

Gratulation der USA

Israel hatte bereits zuvor den Willen zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit beider Länder betont. Israel schätze den „demokratischen Prozess“ in Ägypten und respektiere den Wahlausgang, hieß es in einer Erklärung des Büros von Regierungschef Benjamin Netanjahu.

Auch die USA gratulierten Mursi zu seinem Wahlerfolg. Die neue ägyptische Regierung müsse ihre Rolle als „Eckpfeiler des regionalen Friedens“ erfüllen, hieß es in einer Erklärung des Weißen Hauses. Eine wichtige Aufgabe Mursis sei es, „in dieser historischen Zeit Schritte zu unternehmen, um die nationale Einheit voranzubringen“ und in einem nationalen Dialog eine neue Regierung zu bilden.

Engere Beziehungen zum Iran

Zugleich strebt Mursi aber offenbar auch engere Beziehungen zum Iran an. Der Muslimbruder sagte in einem am Montag veröffentlichten Interview der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur Fars, er wolle die Beziehungen zur Islamischen Republik ausweiten, um ein strategisches Gleichgewicht in der Region zu schaffen. „Das ist Teil meines Programmes“, zitierte Fars den Politiker. Nach Angaben der Agentur fand das Interview am Sonntag wenige Stunden vor Bekanntgabe des Ergebnisses der Präsidentenwahl statt.

Siegesfeiern auf dem Tahrir-Platz

Die Wahl gilt als historisch. Nach einer Abfolge von Pharaonen, Königen, fremden Statthaltern und Generälen ist der 60-jährige Mursi der erste zivile Politiker an der Spitze des ägyptischen Staates. Mit ihm erobert die vor 80 Jahren gegründete Muslimbruderschaft das erste Mal das höchste Staatsamt.

Jubelnde Menge auf dem Tahrir-Platz

APA/EPA/Mohamed Messara

Tausende bejubelten das Wahlergebnis auf dem Tahrir-Platz

Auf dem Tahrir-Platz in der Hauptstadt Kairo feierten die Anhänger Mursis ausgelassen seinen Sieg. Die Menschen schwangen ägyptische Fahnen und ließen den Wahlsieger hochleben. Viele hatten stundenlang auf dem Platz ausgeharrt.

Macht eingeschränkt

In einer ersten Geste gratulierte der Oberste Militärrat dem Wahlsieger. Das Gremium herrscht seit dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 über das Land. Ein Sprecher Mursis sagte, der Politiker werde den Vorsitz in der von der Muslimbruderschaft gegründeten Wahlpartei Freiheit und Gerechtigkeit (FJP) niederlegen.

Allerdings wird Mursi nicht die umfassende Macht seines Vorgängers haben. Der Militärrat hatte für den Sieg des Kandidaten der Muslimbrüder vorgesorgt und in der letzten Wahlnacht Verfassungsänderungen erlassen. Demnach hat der Präsident ohne Zustimmung des Militärrates keinen Zugriff auf die Streitkräfte. Die das Militär betreffenden Personal- und Finanzentscheidungen sind ihm vollkommen entzogen.

Machtübergabe Ende Juni

Mit der Verkündung des Wahlergebnisses rückt nun die formelle Machtübergabe mehr als 16 Monate nach dem Rücktritt Mubaraks an eine zivile Regierung in greifbare Nähe. Am 30. Juni wollen die Generäle die Staatsmacht an Mursi und eine von ihm ernannte Regierung übergeben. Die zivilen Institutionen agieren allerdings im luftleeren Raum. Kurz vor der Stichwahl hatte das Verfassungsgericht das zur Jahreswende gewählte, mehrheitlich islamistische Parlament aufgelöst. Der Militärrat hatte daraufhin die Gesetzgebungskompetenz und die Budgethoheit an sich gezogen.

Deutliche Worte der Wahlkommission

Trotz der aus der Sicht nicht nur des Militärs, sondern auch säkularer Kritiker der Muslimbrüder notwendigen „Bremsen“ war die Stichwahl in einem leidenschaftlichen, zum Teil erbitterten Klima über die Bühne gegangen. Der Präsident der Wahlkommission, Faruk Sultan, sagte bei der Ergebnisverkündung, die Kommission sei „Druck, Verleumdungen und Lügen vonseiten bestimmter politischer Faktoren“ ausgesetzt gewesen.

Ohne sie namentlich zu nennen, zielte Sultan damit auf die Muslimbruderschaft, die ihren Kandidaten Mursi bereits kurz nach Schließung der Wahllokale zum Sieger ausgerufen hatte. Schon davor hatte sie Drohungen anklingen lassen, dass die Wahl gefälscht sein müsse, wenn Mursi nicht gewinne. Die Anhänger des Ex-Mubarak-Manns Schafik entwickelten umgekehrt apokalyptische Visionen eines „Gottesstaates“ für den Fall einer Machtübernahme durch die Islamisten.

Bekanntgabe verschoben

Die Verkündung des Wahlergebnisses war bereits für Donnerstag geplant gewesen, doch die Kommission hatte den Termin verschoben, um mehr als 400 Einsprüche der beiden Kandidaten abzuarbeiten. Gewisse Unregelmäßigkeiten, die auch von der Kommission aufgedeckt wurden, beeinflussten aber den Wahlausgang nicht, sagte Sultan. Einzelne Anschuldigungen, die sich auf Manipulationen im größeren Stil bezogen, hätten nicht erwiesen werden können.

Am Sonntag war die Stimmung in Kairo nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen auf den Siedepunkt gestiegen. Polizei und Armee waren in erhöhte Bereitschaft versetzt worden. Soldaten und Panzerfahrzeuge waren vor staatlichen Gebäuden und an wichtigen Auffahrten zur Autobahn postiert. Für den Fall, dass Schafik zum Wahlsieger erklärt worden wäre, hatten Beobachter Ausschreitungen enttäuschter Mursi-Anhänger erwartet.

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