Im Wahlkampf nur bedingt überzeugend
Er war eigentlich nur der Ersatzkandidat, nun leitet er die Geschicke Ägyptens: Im Juni wurde der Bewerber der islamistischen Muslimbrüder, Mohammed Mursi, zum Sieger der Stichwahl um das Präsidentenamt in Ägypten erklärt.
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Bei der ersten Präsidentschaftswahl in Ägypten seit dem Sturz des langjährigen Staatschefs Hosni Mubarak im Februar 2011 setzte sich der 60-Jährige gegen seinen Rivalen Ahmed Schafik, den letzten Regierungschef Mubaraks, durch.
Mangelndes Charisma?
Die Muslimbrüder stellten ihren Parteichef Mursi für die Wahl erst auf, als sich abzeichnete, dass der bekanntere Parteivize Chairat al-Schater wegen einer Gefängnisstrafe in der Mubarak-Ära von der Kandidatenliste gestrichen werden würde. Auf den eilig gedruckten Wahlplakaten sah der Ingenieur, der in Kairo studierte und an der Universität von South Carolina in den USA seinen Doktor gemacht hatte, eher schüchtern aus. Auch bei seinen ersten Auftritten wirkte der Kandidat der wichtigsten politischen Kraft im Land eher defensiv als bissig.
Als Favorit wurde Mursi vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl Ende Mai daher nicht gehandelt. Sein mangelndes Charisma schadete Mursi aber offensichtlich nicht. Im Wahlkampf wirkte der verheiratete Vater von fünf Kindern zunehmend selbstsicher, und zweifellos profitierte er von der Popularität der Muslimbrüder, die auch das vor anderthalb Wochen vom Verfassungsgericht wieder aufgelöste Parlament beherrschten und im ganzen Land gut vernetzt sind.
Zugeständnisse im Wahlkampf
Im Wahlkampf präsentierte sich Mursi, der in der Provinz Scharkia im Nil-Delta geboren wurde und im Jahr 2000 erstmals ins Parlament gewählt wurde, als der „einzige Kandidat mit einem islamistischen Wahlprogramm“ - obwohl mit dem unabhängigen Kandidaten Abdel Moneim Abul Futuh noch ein ehemaliges Mitglied der Muslimbrüder kandidierte. Doch während sich Futuh eher moderat gab, versprach Mursi den Ägyptern eine „Renaissance“ auf der Grundlage islamischer Werte.
Trotzdem achtete er darauf, jeden Anschein von Radikalität zu vermeiden. Er betonte, die Errungenschaften des „arabischen Frühlings“ verteidigen zu wollen. So will er etwa Frauen nicht zum Tragen von Kopftüchern oder Schleiern verpflichten und die Rechte der christlichen Minderheit schützen. Damit suchte Mursi auch Stimmen außerhalb des islamistischen Lagers zu sichern. Viele Ägypter blieben der Stichwahl jedoch fern, die Beteiligung lag bei 51 Prozent.
Siegreich in der ersten Runde
Den Prozess gegen Mubarak und mehrere Vertraute wegen der Tötung Hunderter Demonstranten während des Aufstands gegen die politische Führung verurteilte Mursi zuletzt als „Farce“, weil Anfang Juni zwar Mubarak selbst zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, fast alle Mitangeklagten aber freigesprochen wurden. Nach seiner zweiten Wahl zum Abgeordneten im Jahr 1995 hatte Mursi unter Mubarak wegen der Teilnahme an einem Protest von Reformern sieben Monate in Haft verbracht.
Aus der ersten Runde der Präsidentschaftswahl war Mursi mit 24,7 Prozent der Stimmen als Sieger hervorgegangen. Damals lag er nur knapp vor Schafik, der 23,6 Prozent für sich verbuchte. In der Stichwahl stimmten etwa 13 Millionen Wähler für Mursi und rund zwölf Millionen für Schafik. Wie viel Macht Mursi tatsächlich haben wird, bleibt vorerst ungewiss, weil der seit dem Sturz Mubaraks herrschende Oberste Militärrat weiterhin die Politik in Ägypten bestimmte.
Machtpendel schlägt in Richtung Mursi aus
Im Kampf um die Vormachtstellung in der Post-Mubarak-Ära hat Mursi vorerst die Nase vorne. Am Sonntag entließ er überraschend den Armeekommandeur und Verteidigungsminister Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi sowie Generalstabschef Sami Anan. Zum Nachfolger Tantawis an der Spitze der Streitkräfte bestellte Mursi Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi.
Darüber hinaus erklärte Mursi jene Verfassungszusätze für null und nichtig, die der damals regierende Militärrat kurz vor der Erklärung Mursis zum Sieger der Präsidentenwahl im Juni erlassen hatte. Die Verfassungszusätze hatten die Macht des Staatsoberhauptes zugunsten des Militärs deutlich eingeschränkt. Der Militärrat war von Tantawi geführt worden.
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