Sex, Crime und sozialer Fortschritt
Die Sachbücher der Saison geben Einblick in so unterschiedliche Themen wie: Sexualität im Jugendalter, Franz Kafkas Spleens, die Geschichte des Bauernstands und das Leben in Österreich aus der Sicht einer Putzfrau.
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Von theoretisch auf Doktorandenniveau bis hin zum kalauernden Tratschsachbuch ist alles vertreten - vor allem aber sind es Bücher, die zwischen diesen beiden Extremen liegen.
Wie Kafka bei der Matura schummelte
Reiner Stach hat als verdienstvoller Kafka-Biograf jede alte Kiste durchstöbert, bei der auch nur die entfernteste Chance auf Fundstücke bestand. Vieles davon floss in seine große Biografie ein. Aber es gibt kleine Preziosen, die zwar für sich genommen nicht wichtig, dafür aber umso unterhaltsamer sind. Durch die klug kommentierten Notizen, Postkarten, Briefe, Tagebucheinträge von Weggefährten sowie Zufallsbekanntschaften und ähnliches „Abfallmaterial“ erfährt man etwa, wie Kafka bei der Matura schummelte, und dass er von vielen, sogar Fremden, als Lebensberater konsultiert wurde. Das „kafkaeske“ Bild vom dunklen, poesiedurchtränkten Neurotiker wankt - genau so, wie Stach es wollte.
Reiner Stach: Ist das Kafka? 99 Fundstücke. Fischer, 335 Seiten, 20,60 Euro.

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Wie das so ist mit Sex und so
Ein Aufklärungsbuch für Jugendliche zu schreiben birgt mehr Fallstricke in sich als alle kanadischen Jagdgebiete zusammengenommen. Man muss für Teenager verständlich schreiben, darf dabei aber weder pseudocool noch verstaubt daherkommen. Die Autorinnen von „Make Love“ erklären den jungen Menschen in aller Offenheit vieles, vor allem aber: dass zu einem gelingenden Leben ein gelungenes Sexualleben dazugehört. Und für Letzteres gibt es keine Liste, auf der man abhaken kann. Erlaubt ist, was beiden gefällt, und Erfolg und Misserfolg hängt nicht von Statistiken jedweder Art ab. Wer dieses Buch als Teenie liest, erspart sich wahrscheinlich ein paar unbeholfene Fummeleien und den einen oder anderen Komplex. Achtung prüde Eltern: schöne Fotos - aber Porno pur!
Ann-Marlene Henning und Tina Bremer-Olszewski: Make Love. Ein Aufklärungsbuch. Mit Fotografien von Heji Shin. Rogner & Bernhard, 250 Seiten, 22,95 Euro.
Rosa Hirne, blaue Hirne
Mit der Gehirnforschung beschäftigt sich die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Fine schon länger, diesmal hat sie sich eines der heißesten Themen auf diesem Gebiet ausgesucht: Geschlechterunterschiede. „Was unterscheidet uns denn nun wirklich? Und was davon ist angeboren, was antrainiert?“, lautet die Grundfrage, die Fine, Tochter der schottischen Bestseller-Autorin Anne Fine, eloquent und oft ausgesprochen witzig zu beantworten sucht. Die Strenge wissenschaftlicher Fakten lockert sie mit vielen Fallbeispielen und Zitaten auf - und einem gerüttelt Maß Ironie.
Cordelia Fine: Die Geschlechterlüge. Die Macht der Vorurteile über Frau und Mann. Klett-Cotta, 476 Seiten, 22,60 Euro.
Polemisches Loblied auf die Fantasie
Polemik kann man dann gut nehmen, wenn sie von jemandem kommt, der weiß, wovon er spricht. Und die Schriftstellerin und Feuilletonistin Sibylle Lewitscharoff erweist sich in ihren Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen, die im Band „Vom Guten, Wahren und Schönen“ zusammengefasst sind, als Meisterin der Polemik. Kenntnisreich wettert sie gegen den schnöden Realismus heutiger Literatur und gerät ins Schwärmen angesichts von Autoren wie Kafka, Beckett, Dante und Goethe; ein amüsantes und gelehrtes Loblied auf die Fantasie in der Literatur.
Sibylle Lewitscharoff: Vom Guten, Wahren und Schönen. Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen. Suhrkamp, 200 Seiten, 14,40 Euro.
In August Wallas Welt eintauchen
Superlative sind angebracht: Es ist das wohl schwerste, schönste und am aufwendigsten gestaltete Buch der Saison: „August walla!“, der Katalog zur Ausstellung im Gugginger Haus der Künstler. Natürlich ist die Bezeichnung Katalog völlig irreführend. Ein Notizbuch und ein Schulheft wurden (verdichtet) rekonstruiert und in die dicke Box integriert. Zahlreiche Abbildungen und erhellende Texte vor allem vom Leiter des Hauses der Künstler, Johann Feilacher, und vom Gugging-Freund Gerhard Roth, in zwei dicken Bänden zusammengefasst, lassen den Leser in den eigenwilligen, strahlenden Kosmos Wallas eintauchen; ein traumhaftes Sammlerstück.
Johann Feilacher: „August wall!“. Residenz. In einer Box: Zwei Bände, ein Notizblock, ein Schulheft; zahlreiche Abbildungen, 149 Euro.
Entführt von Gerhard Roth
Gerhard Roth feiert seinen 70. Geburtstag mit gleich zwei neuen Büchern. Zum einen hat der passionierte Fotograf seine Beobachtungen aus dreißig Jahren Freundschaft mit den Gugginger Künstlern veröffentlicht. In den Fotos offenbart sich eine Bilderwelt, in der Raum und Zeit keine Rolle spielen, umso mehr aber das Fühlen, das Sehen und die pure Fantasie. Zum anderen verfasste der gefeierte Schriftsteller literarische, erhellende Porträts von Menschen, die ihn bewegt haben - von Thomas Bernhard über Bruno Kreisky bis zum Briefbomber Franz Fuchs. Hier werden Raum und Zeit gewahr - und analytisch durchleuchtet.
Gerhard Roth: Im Irrgarten der Bilder. Die Gugginger Künstler. Residenz Verlag, 324 Seiten, 39,90 Euro.
Gerhard Roth: Portraits. S. Fischer, 317 Seiten, 20,60 Euro.

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Mit Karl-Markus Gauß durch den Tag
Karl-Markus Gauß ist ein Meister der Beobachtung. Ob er auf Reisen geht und vom Aussterben bedrohte Volksgruppen besucht, ein Buch liest oder die Nachrichten im Fernsehen sieht - er hat, was nur wenige haben: das intellektuelle Rüstzeug, erhellende Kommentare zu fast allem zu schreiben - und dann noch mit Humor. In seinem neuen Buch, wie meist bei Gauß in einem tagebuchartigen Erzählfluss verfasst, sollte man zum Beispiel vor allem jene Stelle nicht versäumen, wo er erklärt, warum Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel ihm so ein Rätsel ist.
Karl-Markus Gauß: Ruhm am Nachmittag. Zsolnay, 285 Seiten, 20,50 Euro.
Hoch die Fahnen des sozialen Fortschritts
Dietmar Dath und Barbara Kirchner haben sich nicht wenig vorgenommen. Erschöpfend behandeln sie in ihrem Buch „Der Implex“ die Geschichte und Idee des „Sozialen Fortschritts“, versuchen auszuloten, was der Begriff heute bedeutet und was in unseren Vorstellungen von der Zukunft. Fortschritt, lautet die These, kann jeder Mensch ermöglichen - mit jeder einzelnen seiner Entscheidungen. Die Aufklärung lauert in jedem Winkel unseres Handelns und verlangt nach ihrem Recht. Wer zögert, macht sich zum „Kumpanen der Unterdrückung“. Im Feuilleton sorgte das nicht nur wegen seiner 880 Seiten sperrige Buch für gänzlich unterschiedliche Reaktionen - von „verquaster Syntax“ und „Imponiergehabe“ bis hin zum „vergnüglichen intellektuellen Gewitter“.
Dietmar Dath und Barbara Kirchner: Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee. Suhrkamp, 880 Seiten, 30,80 Euro.
Ausländer: Brav und fleißig reicht nicht
Martin Schenk, der stellvertretende Direktor der Diakonie und anerkannte Sozialexperte mit eigener TV-Sendung, ist gemeinsam mit Printjournalistin Eva Maria Bachinger angetreten, das zu entlarven, was sie „Die Integrationslüge“ nennen. Soll heißen: Die Formel „Wenn Du brav und fleißig bist, wirst Du Teil dieser Gesellschaft“ geht in der Realität allzu oft nicht auf. Die Autoren belegen das mit guten Beispielen wie jenem von der afghanischen Höchstrichterin, der man keinen zweiten Deutschkurs bezahlt, weil sie ihn als Reinigungskraft nicht braucht; eine wichtige Lektüre für alle, die in Sachen Integration mitreden und -denken wollen.
Eva Maria Bachinger und Martin Schenk: Die Integrationslüge. Antworten in einer hysterisch geführten Auseinandersetzung. Deuticke, 206 Seiten, 17,90 Euro.
Menschenrechte: Der traurige Stand der Dinge
Die preisgekrönte Journalistin Irene Brickner hat nun ihre jahrzehntelangen Beobachtungen in einem Buch zusammengefasst, das aus der Emotion der Empörung geschrieben ist und aufgrund der vielen Fakten auch für solche sorgt: das „Schwarzbuch Menschenrechte“. Anhand von haarsträubenden Fallbeispielen erklärt sie, wie in Österreich - systematisch - die Rechte vor allem von Asylwerbern mit Füßen getreten werden. Auch Frauen, Homosexuelle und Menschen mit Beeinträchtigungen sind von Gleichbehandlung weit entfernt; ein Buch mit bestürzendem Fazit.
Irene Brickner: Schwarzbuch Menschenrechte. Residenz, 224 Seiten, 21,90 Euro.
Der Bauernstand: Unterdrückung und Widerstand
Mit Josef Krammer und Franz Rohrmoser liefern zwei ausgewiesene Experten eine fundierte Diskussionsgrundlage über den Bauernstand in Österreich. Ihr historischer Abriss hat eine klare ideologische Stoßrichtung. Ihr Buch lässt sich mit dessen ersten beiden Sätzen zusammenfassen: „Die Geschichte der Bauern und Bäuerinnen ist eine Geschichte der Unterdrückung, Ausbeutung und Fremdbestimmung. Aber sie ist auch eine Geschichte des Verweigerns, des Aufbegehrens, des Widerstandes und des Kampfes der Entrechteten um Selbstbestimmung und Selbstorganisation.“ Das Mosaik setzt sich nach und nach aus akribisch recherchierten Details zusammen.
Josef Krammer und Franz Rohrmoser: Im Kampf um ihre Rechte. Geschichte der Bauern und Bäuerinnen in Österreich. Promedia, 198 Seiten, 15,90 Euro.
Der „größte Lobbyerfolg aller Zeiten“
Spätestens seit dem laufenden Untersuchungsausschuss zu den Korruptionsaffären im staatsnahen Bereich ist deutlich geworden, dass auch in Österreich der Wald weiter beliebter Treffpunkt heimischer Entscheidungsträger sein dürfte. Einen Blick auf die Hintergründe zum „Tatort Wald“ bieten die einschlägigen Erfahrungen des streitbaren bayerischen Ex-Försters Georg Meister. Dieser nimmt sich im Kampf um mehr Nachhaltigkeit im Forstwesen jedenfalls auch vor der „trophäensüchtigen“ und nach wie vor erfolgreichen Jägerlobby kein Blatt vor den Mund.
Claus-Peter Leckfeld: Tatort Wald, Georg Meister und sein Kampf für unsere Wälder, Westend Verlag, 272 Seiten, 23,70 Euro.
Historie, erzählt wie ein Roman
Der Reichtum des Kongo ist wahrscheinlich auch sein größter Fluch. Konflikte drehen sich ständig um die Kontrolle über die riesigen Rohstoffvorkommen - von der Entdeckung durch die Europäer bis heute. Der belgische Autor David van Reybrouck erzählt die Geschichte des Landes in seinem 780-Seiten-Werk „Kongo. Eine Geschichte“ nach - extrem dicht und nicht nur aus der Sicht des europäischen Historikers. Van Reybrouck lässt Betroffene zu Wort kommen - vom Zeitzeugen der Kolonialzeit bis zum Kindersoldaten. Streckenweise liest sich das Buch fast wie T. C. Boyles großes Afrika-Abenteuer „Wassermusik“ - nur, dass sich Van Reybrouck auf Basis Hunderter Interviews und Recherchereisen auf dem Boden der Tatsachen bewegt.
David Van Reybrouck: Kongo. Eine Geschichte. Suhrkamp, 782 Seiten, 30,80 Euro.
Garteln in der schönen alten Welt
Der britische „Guardian“-Journalist Tom Hodgkinson ist Lesern hierzulande durch seine „Anleitung zum Müßiggang“ und seinen „Leitfaden für faule Eltern“ ein Begriff. Nun hat es ihn aufs Land verschlagen - und er gibt in seinem jüngsten Buch gelehrte und humorvolle Tipps, wie man sich als „Zugereister“ in eine kleine Gemeinde integriert, wie man einen Garten bestellt und was man sonst noch wissen muss, wenn man dem kapitalistischen Hamsterrad entkommen will, indem man aus der Stadt flieht; sehr gelehrt, sehr anarchistisch, sehr humorvoll.
Tom Hodgkinson: Schöne alte Welt. Ein praktischer Leitfaden für das Leben auf dem Lande. Rogner und Bernhard, 352 Seiten, 19,95 Euro.
Aus der Sicht einer Putzfrau
Eine Pflichtlektüre, nicht nur für jeden, der schon einmal eine Putzfrau oder Pflegehelferin beschäftigt hat: „Profil“-Journalistin Sibylle Hamann hat sich in Wallraffscher Manier verkleidet und auf illegale Jobangebote reagiert. Was sie dabei erlebt hat, was ihr „Kolleginnen“ aus ihrem Arbeitsalltag erzählt haben, kombiniert sie mit Statistiken und Studien. Ihr hervorragend geschriebenes Buch wirft einerseits ein Schlaglicht auf neuere Formen der Sklaverei und des Rassismus, andererseits aber auch auf (Pflege-)Bedürftige, die vom Staat alleine gelassen werden; spannender als jeder Krimi.
Sibylle Hamann: Saubere Dienste. Ein Report. Residenz Verlag, 256 Seiten, 21,90 Euro.

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Was Arthur Schnitzler träumte
Arthur Schnitzler hat seinen Tod, den Kaiser und schlechte Theaterkritiken gefürchtet. Dafür liebte er die Frauen und Gustav Klimt. Das und vieles mehr offenbart sich in seinen Träumen, die nun in einem sorgfältig editierten Band erschienen sind. Der Schriftsteller, er wurde vor genau 150 Jahren geboren, träumte recht häufig von der Traumdeutung selbst. Für Freud, dem Schnitzler für viele zum Verwechseln ähnlich sah, wären Schnitzlers Träume ein gefundenes Fressen gewesen, nicht nur wegen der „halbnackten Cocotten“, die im Kopf des Autors in der Nacht herumspukten.
Arthur Schnitzler: Träume. Das Traumtagebuch 1875 - 1931. Wallstein, 494 Seiten, 35,90 Euro.
Die Menschen „next door“ auskundschaften
Miranda July ist eine vielbeachtete Regisseurin. Unlängst war ihr ein Special bei der Viennale gewidmet. In einem ihrer letzten Filme geht es unter anderem um einen jungen Mann, der als Spendenkeiler von Haus zu Haus geht. July wollte wissen: Wen trifft er dort? Deshalb antwortete sie auf gewöhnliche (und auch auf etwas abstruse) Kleinanzeigen und tauchte zu Recherchezwecken in Sachen „next door“ bei den Verkäufern mit einem Fotografen auf. Das Ergebnis: ein (auch optisch gestaltet) wunderschönes Buch mit Fotos und Berichten von Begegnungen mit seltsam entrückten Menschen; ein Buch wie eine Aneinanderreihung von Magazinreportagen (gelungenen, wohlgemerkt).
Miranda July: Es findet dich. Diogenes, 224 Seiten, 23,60 Euro.
Das Sisyphosprojekt der Aufklärung
Manfred Geiers Buch „Aufklärung. Das Europäische Projekt“ ist nicht nur eine wichtige Auffrischung in Sachen Geschichtswissen - sondern auch ein gerade heute angebrachter Kommentar zum Zeitgeschehen. Geier erzählt ausführlich darüber, wie John Locke zu seinen Ideen über Menschenrechte, Toleranz und Selbstdenken kam. Einen weiten Bogen spannt er bis hin zur Frage, welchen Herausforderungen sich das Projekt der Aufklärung in Zeiten US-amerikanischer Machtpolitik und islamischen Fundamentalismus gegenübersieht. Hier wird noch Grundsätzliches verhandelt - nicht unterfordernd, und dennoch allgemein verständlich.
Manfred Geier: Aufklärung. Das Europäische Projekt. Rowohlt, 415 Seiten, 25,70 Euro.
Innensicht der Beat-Poeten
Die beiden Beat-Poeten Jack Kerouac und Allen Ginsberg haben sich lange gekannt - und standen stets in Briefkontakt, wenn sie nicht gerade ohnehin zusammen herumhingen. Ginsberg ist in den Briefen der Leisere, Sensiblere, Kerouac poltert und deliriert mitunter größenwahnsinnig und gut gelaunt vor sich hin. Gemeinsam ist den Briefen ihre tiefe Poesie, die keinen Moment lang Zweifel aufkommen lässt, dass man es hier mit großen Schriftstellern zu tun hat. Wie beiläufig erfährt man hier zudem, inwieweit die Literatur der Autoren mit ihrem Leben verwoben ist. Und - nicht zuletzt: Viele kleine schmutzige Details erhöhen das Lesevergnügen noch.
Jack Kerouac, Allen Ginsberg: Ruhm tötet Alles. Die Briefe. Rogner & Bernhard, 502 Seiten, 23,60 Euro.
Gefährliche Männlichkeit
Ralph J. Poole schreibt im Vorwort zu seinem Buch „Gefährliche Maskulinitäten“: „Der erotische männliche Körper und der homoerotisch begehrende Blick vor dem Hintergrund hegemonialer Strukturen und dem Ineinandergreifen von Männlichkeit, Ethnizität, Sexualität, Nationalität und Klasse sind Leitfiguren meiner Betrachtungen.“ Damit ist viel über dieses Buch gesagt - nicht nur inhaltlich. Poole ist ganz im akademischen Post-Gender-Studies-Kontext der „Masculinity Studies“ verhaftet, stellt hier sein Forschungsfeld vor, anhand beispielgebender Popkultur- und Literaturanalysen (Queer Cannibals, Southern Gothic, Robinson Crusoe etc.); schräg, sperrig, verstörend, verschroben, akademisch: Wer traut sich?
Ralph J. Poole: Gefährliche Maskulinitäten. Männlichkeit und Subversion am Rande der Kulturen. Transcript, 305 Seiten, 30,70 Euro.

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Mafiöse Strukturen bei Gasprom
Nach der Mafia in Deutschland hat sich der Journalist Jürgen Roth in seinem neuen Buch mit den Machenschaften des russischen Gasimperiums Gasprom beschäftigt. Mit plakativen, manchmal aber nicht ganz einfach zu folgenden Beispielen zeigt er, wie abhängig Europa von dem mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin und anderen Oligarchen eng verbundenen Konzern eigentlich ist. Die Mafia lauert überall, könnte man nach Lektüre dieses Buches den Eindruck haben. Allerdings werden dadurch auch einige politische Entscheidungen von Russland bis Österreich um einiges klarer.
Jürgen Roth: Gazprom - Das unheimliche Imperium. Westend, 317 Seiten, 20,60 Euro.
Blues: Geschichte und Geschichten
Elijah Wald hat ein Leben für den Blues geführt - als Musiker, und als Experte. Nun teilt er sein Wissen in dem reich bebilderten Buch „Vom Mississippi zum Mainstream“. Wald ist, wie es sich für einen Blues-Musiker gehört, ein großartiger Geschichtenerzähler. Anstatt sich in musiktheoretischen Details und der Aufzählung von Namen zu verlieren, lässt er die Musiker selbst zu Wort kommen, analysiert das künstlerische und wirtschaftliche Umfeld und liefert so wichtige Hintergründe zur Debatte über die Musikindustrie. Aber, auch wenn viel Kritik geübt wird, „uns bleiben die Platten, und die klingen so gut wie je“. Das Buch wurde auch in Fachkreisen hoch gelobt.
Elijah Wald: Vom Mississippi zum Mainstream. Robert Johnson und die Erfindung des Blues. Rogner & Bernhard, 432 Seiten, 19,95 Euro.
Verdammt guter Rat von Düringer und Co.
Roland Düringer teilt seine berechtigte Wut im Buch „Das Ende der Wut“ mit den beiden Populärphilosophen Eugen Maria Schulak und Rahim Taghizadegan. Düringer steuert die Fallhöhe des Diskursniveaus und den Schmäh bei, die beiden Philosophen garantieren, dass das ganze Unterfangen nicht zu einer reinen Aneinanderreihung von gut portioniertem Halbwissen verkommt. Analysiert wird, was warum alles „oasch“ ist am System. Die überraschende und erfrischende Erkenntnis: eh vielleicht „ois oasch“, aber trotzdem soll man sich nicht hinter der Systemkritik verstecken, sondern versuchen, sein Leben mit aufrechtem Gang und möglichst glücklich zu meistern; ein verdammt guter Rat.
Roland Düringer, Eugen Maria Schulak und Rahim Taghizadegan: Das Ende der Wut. Ecowin, 85 Seiten, 14,90 Euro.
Das Buch der Bücher
Wahlweise auf Englisch oder Deutsch ist der gewaltige Begleitband zur documenta (13) in Kassel bei Hatje Cantz erschienen. 100 Künstler und vor allem Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev loten in ihren Texten aus, was die Kunst heute zur Gesellschaft zu sagen hat. Wer sich spröde Texte erwartet hat und ein herunterbeten der immer selben Theoriekalauer, wird überrascht sein. Hier macht sich eine neue Avantgarde Gedanken über die Welt, und man kann sich in diesen Gedanken verlieren. Eine anregende Lektüre - man darf durch das fast 800 Seiten dicke, große Buch surfen. Besondere Empfehlung: Christov-Bakargievs Leseliste - hier entsteht eine ganze Denkwelt von Technotheorie bis Gandhi.
Documenta (13): The Book of Books. Catalog 1/3. Hatje Cantz, 767 Seiten, 69,90 Euro.
Die DNA des Hipsters
Alle reden von ihm. Seine Mode ist längst bei H&M zum Massenphänomen totgeshopt worden. Aber wer ist der Hipster eigentlich? Wie er aussieht ist ja hinlänglich bekannt: Er trägt Röhrenjeans, dicke große Brille und Haare Undercut. Sie: rote, kurz geschnittene Fingernägel und die Brillen auch groß und dick; eine Prise Computer-Nerd, eine Prise New Wave, dazu Electropop und New Folk, und - wichtig - bewusstes Konsumieren. Entstanden ist der neue Hipster (denn es gab Hipster in den 50er und 60er Jahren bereits) in den späten 90ern in New York und in Berlin. Ein Sammelband mit Beiträgen von einer Tagung zum Thema geht der jungen Kultur auf den Grund - mehr oder weniger.
Mark Greif (Hrsg.): Hipster. Eine transatlantische Debatte. Edition Suhrkamp, 208 Seiten, 18,50 Euro.
Simon Hadler, Johanna Grillmayer, Simone Leonhartsberger, Georg Krammer, Peter Prantner, ORF.at
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