Geheimaktion von ganz oben gesteuert?
Laut Informationen der „New York Times“ hat US-Präsident Barack Obama eine Welle von Cyberattacken gegen den Iran angeordnet, zu denen auch der berüchtigte Wurm „Stuxnet“ gehörte. Auch als „Stuxnet“ im Sommer 2010 an die Öffentlichkeit gelangte, habe Obama die Geheimaktion mit dem Codenamen „Olympic Games“ noch beschleunigt. Das schreibt der Washingtoner Chefkorrespondent der Zeitung, David E. Sanger, in seinem neuen Buch.
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Der Autor beruft sich in seinem Anfang Juni erschienenen Buch „Confront and Conceal: Obama’s Secret Wars and Surprising Use of American Power“ auf Informationen aus Sicherheitskreisen. Unter den Quellen von Sanger befinden sich laut seinen Angaben auch Personen, die bei einem Krisentreffen nach der Entdeckung von „Stuxnet“ dabei waren.
„Sollten wir die Sache stoppen?“
„Sollten wir die Sache jetzt stoppen?“, habe Obama bei einem Krisentreffen gefragt. Da aber unklar gewesen sei, wie viel die Iraner über die schädliche Software wussten, sei beschlossen worden weiterzumachen. In den Wochen darauf sei die iranische Atomfabrik in Natans mit einer neueren Version von „Stuxnet“ angegriffen worden und dann mit einer weiteren. Die letzte Attacke habe rund 1.000 der damals 5.000 Zentrifugen zur Urananreicherung zeitweilig außer Betrieb gesetzt.
Die Aussagen beinhalten reichlich politischen Sprengstoff: Die Haltung gegenüber dem Iran wird im anlaufenden Wahlkampf Obamas gegen seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney eine wichtige Rolle spielen. Nicht zuletzt die ohnehin angespannte Beziehung zum Iran könnte mit den Enthüllungen erneut auf die Probe gestellt werden. Pentagon-Sprecher John Kirby wollte den Bericht der Zeitung nicht kommentieren. Er sagte aber, Obama und Verteidigungsminister Leon Panetta seien sich einig, dass die USA ihre „Reichweite von Möglichkeiten“ im Cyberspace stetig prüfen und verbessern müssten.
Sofort Geheimdienste unter Verdacht
„Stuxnet“ war ein hoch entwickelter Computerwurm, der ausschließlich Siemens-Industriesysteme in der für Atomzentrifugen typischen Konfiguration angriff. Ziel war das Siemens-System Simatic S7, das in Industrieanlagen zur Überwachung und Steuerung technischer Prozesse verwendet wird. Die Konfiguration von „Stuxnet“ ließ Experten von Anfang an vermuten, dass der Iran das Ziel gewesen sein dürfte. Außerdem argumentierten sie, die Software sei so komplex und aufwendig geschrieben, dass sie nur das Werk westlicher Geheimdienste sein könne.
USA und Israel entwickelten „Flame“
Einem Artikel in der „Washington Post“ zufolge haben die USA und Israel gemeinsam zumindest den im Mai aufgetauchten Computervirus „Flame“ als Teil ihrer Cyberangriffe auf das iranische Atomprogramm entwickelt. Das israelische Militär habe bei der Entwicklung mit den US-Geheimdiensten zusammengearbeitet, berichtete die Zeitung am Dienstag in ihrer Onlineausgabe. „Flame“ wurde dem Bericht zufolge in Computer iranischer Behördenvertreter eingeschleust und lieferte Informationen für digitale Attacken auf das iranische Nuklearprogramm mit Schadsoftware wie dem Computerwurm „Stuxnet“.
Obama waren „Konsequenzen bewusst“
Die Auswirkungen der Cyberangriffe seien umstritten, schreibt Sanger, der eineinhalb Jahre für das Buch recherchierte. Im Weißen Haus gehe man davon aus, dass das iranische Atomprogramm um 18 bis 24 Monate zurückgeworfen worden sei. Andere Experten sind skeptischer und glauben, dass die iranischen Wissenschaftler die Anreicherung wieder schnell hochfuhren und das Land heute über genug Material für fünf oder mehr Atomwaffen verfügen könnte.
Obama sei bewusst gewesen, dass er mit der Aktion eine neue Art vor Kriegsführung entfesseln könne, heißt es unter Berufung auf Teilnehmer der geheimen Treffen. Seine Sorge sei gewesen, dass mit dem amerikanischen Eingeständnis von Cyberattacken auch andere Länder und Terroristen dazu übergehen könnten. Zugleich habe er gehofft, mit den Computerangriffen einen israelischen Militärangriff auf den Iran verhindern zu können, der einen großflächigen Regionalkonflikt zur Folge haben könnte.
Das Cyberwar-Programm sei noch zu Zeiten von Obamas Vorgänger George W. Bush aus der Taufe gehoben worden. Erst in der Amtszeit des aktuellen Präsidenten seien aber amerikanische und israelische Computerexperten mit dem komplexen Wurm fertig geworden. Obama habe das Programm betreut und jeden weiteren Schritt persönlich autorisiert, schreibt Sanger.
Autor politisch schwer einzuschätzen
In seinem ersten Buch „The Inheritance: The World Obama Confronts and the Challenges to American“, das zu Obamas Amtsantritt 2009 erschien, unternahm Sanger bereits den Versuch, die außenpolitischen Herausforderungen des neuen Präsidenten zu skizzieren. Auch dabei nahm der Iran eine große Rolle ein, Sanger kritisierte insbesondere die Politik Bushs: Dieser habe sich zu sehr auf den Irak konzentriert.
Wie Sanger selbst politisch einzuordnen ist, ist unklar. Er ist Mitglied der Aspen Strategy Group und des Center for a New American Security, zweier unabhängiger sicherheits- und außenpolitischer Thinktanks. Sein Arbeitgeber, die „New York Times“, gilt als Obama-freundlich, Sanger selbst wird allerdings von Kritikern als Neokonservativer bezeichnet, von manchen sogar als Kriegstreiber gegen den Iran.
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