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Der Urvater des heimischen Populismus

13 Jahre lang, von 1897 bis zu seinem Tod im Jahr 1910, war Karl Lueger Bürgermeister von Wien - und schon davor jahrelang die graue Eminenz der Stadt. Über 100 Jahre danach ist sein Erbe nicht nur dort lebendig: Jeder Anflug populistischer Politik in Österreich geht direkt auf Lueger zurück.

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Wie schwer sich Wien mit Luegers Erbe bis heute tut, zeigt die in den letzten Jahren immer wieder aufgeflammte Debatte über die Umgestaltung des Lueger-Denkmals und die Umbenennung des nach ihm benannten Teils der Ringstraße. Zwar war Lueger tatsächlich ein genialer Kommunalpolitiker. Er war jedoch auch ein rücksichtsloser antisemitischer Hetzer.

„Modern“ im negativsten Sinn

Was Lueger im negativen Sinn so „modern“ macht: Er war - zum Unterschied von vielen seiner Zeitgenossen und politischen Mitbewerber - gar kein verblendeter Rassist, sondern nützte einfach kaltblütig die tief in der Stadt verwurzelten negativen Ressentiments, um ans Ziel zu kommen.

Das Ziel des karrierebewussten Sohns aus armen Verhältnissen war Macht. Er arbeitete sich zeitlebens gegen alle Widerstände stetig nach oben: zuerst in die Eliteschule Theresianum, dann zum Rechtsstudium und zur eigenen Anwaltskanzlei, schließlich weiter in die Spitzenpolitik.

Massenmobilisierung per Feindbild

Den Grundstein zu seiner politischen Karriere legte Lueger analytisch. Er setzte auf die Stimmen des „kleinen Mannes“ und sah sich nach Wählerpotenzial um, das noch zu haben war. Fündig wurde er im christlichen Kleinbürgertum, das sich weder bei den Deutschnationalen noch bei den Sozialdemokraten aufgehoben fühlte.

Um die politisch behäbige untere Mittelschicht Wiens zu mobilisieren, baute Lueger mit System Feindbilder aus jenen Bevölkerungsgruppen auf, von denen er ohnehin keine Stimmen erhoffen durfte: dem Großbürgertum und der jüdischen Bevölkerung, zusammengeführt im Klischee des „reichen Juden“.

Unbewältigtes Erbe

Dass Wien Lueger trotzdem bis heute als „den schönen Karl“ sieht, liegt an seinen Verdiensten: Energie- und Wasserversorgung, öffentlicher Nahverkehr, Einrichtungen der Krankenpflege, der Schutz der Wiener Grünflächen als Naherholungsgebiet und vieles mehr gehen auf ihn zurück.

Die pure Heldenverehrung für Lueger gehört in Wien zwar inzwischen der Vergangenheit an; bewältigt ist das Erbe jedoch kaum - gerade weil man Lueger ins allein antisemitische Eck stellt. Dabei gab er selbst indirekt zu, dass er auch jedes andere passende Feindbild gerne aufgegriffen hätte.

Spätes Geständnis

„Wer ein Jude ist, bestimme ich!“, ist zwar eines der bekanntesten Zitate Luegers - dass Lueger damit selbst die völlige Beliebigkeit seiner Feindbild-Propaganda eingestand, wird dennoch oft übersehen. Damit, dass man Luegers Taktik als antisemtische Verblendung abtut, bringt man sich jedoch um ein mahnendes Lehrbeispiel für Populismus.

Denn Lueger selbst räumte am Ende seiner Karriere ein, dass die hetzerische Rhetorik nur Mittel zum Zweck war: In seinem Fall sei Antisemitismus ein „sehr gutes Agitationsmittel“ gewesen, „um in der Politik hinaufzukommen; wenn man aber einmal oben is’, kann man ihn nimmer brauchen, denn des is’ a Pöbelsport!“

Lukas Zimmer, ORF.at

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