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Erinnerungen an die Belagerung

Was vor und während der vierjährigen Blockade Sarajevos vor sich ging, ist 20 Jahre später weiterhin nahezu unvorstellbar. Zu den Bewohnern, die die Belagerung miterlebten, zählen der Musiker Elvis J. Kurtovic, Regisseur Srdjan Vuletic und Filmfestival-Leiterin Izeta Gradjevic-Purivatra. Gegenüber ORF.at erzählten sie von den Erlebnissen und Auswirkungen der Belagerung ihrer Stadt.

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Ein Jahr vor der Stadtbelagerung Sarajevos glaubte der Großteil der Bürger in Bosnien und Herzegowina (BiH) nicht daran, dass in ihrem Land ein Krieg ausbrechen würde. Das lag unter anderem auch an der regionalen und lokalen Berichterstattung, wie Goran Milic, der Nachrichten- und Programmdirektor des in Sarajevo ansässigen Senders Al Jazeera Balkans gegenüber ORF.at sagte: „Zu dieser Zeit gab es in Bosnien und Herzegowina ein anderes Bild, das in den Medien transportiert wurde, als das in Serbien und Kroatien der Fall war. Serbien und Kroatien waren schon im Krieg. Serbien hat bereits die JNA-Truppen (JNA = Jugoslawische Volksarmee, Anm.) nach Kroatien geschickt, und es gab bereits Tote.“

Stadtbild von Sarajevo

ORF.at/Dalibor Manjic

Renovierte Altstadt Sarajevos

Dort hätten die Medien bereits Propaganda gemacht, sagte Milic. „Die einen zu Aggressionszwecken, die anderen zu Verteidigungszwecken, aber es war jedenfalls Propaganda. Die Medien in Bosnien und Herzegowina waren zu dieser Zeit sozusagen friedliebender und verwiesen nicht auf den Kriegszustand. Nur die importierten Mediennachrichten in BiH waren diejenigen, die auf den Kriegszustand verwiesen.“

Größte Friedensbewegung in Ex-Jugoslawien

Milic, der damals Chefredakteur des 1990 in Sarajevo gegründeten TV-Senders Yutel war - des Versuchs eines „jugoslawischen Broadcasters“ -, war einer der Organisatoren der Friedensdemonstration „Yutel za mir“ (Yutel für den Frieden), die im Juli 1991 in der Zetra-Halle in Sarajevo stattfand. „All diejenigen, die ohne politische Messages und ohne politische Parteien ihren Wunsch nach Frieden äußern wollten, waren willkommen.“

„Um die 100.000 Besucher haben sich angemeldet, die dann auch wirklich kamen. Nicht nur aus Bosnien, sondern auch von außerhalb“, sagte Milic. Die Veranstaltung war ein Erfolg: „Die bekanntesten Bands Jugoslawiens sind gekommen - die natürlich eine Attraktion waren, aber auch die Friedensparole war es.“ Das Echo der Friedensparolen hielt nicht lange an: „Unsere Vorsätze waren gut, aber in Aktion hatten wir gemerkt, dass es nicht möglich ist, ein Programm für den Frieden bzw. Friedensinitiativen durchzusetzen“, erinnert sich Milic.

Die Brücke Suada Dilberovic und Olga Sucic

„Die Charakteristik dieser Zeit war es, dass die Bevölkerung ziemlich naiv war“, sagte der Programmgestalter von Radio Sarajevo und Musiker Mirko Srdic aka Elvis J. Kurtovic gegenüber ORF.at. „Als die ersten maskierten Personen mit Waffen die Stadtgrenzen verbarrikadiert hatten, um den Stadtverkehr zu stören, hatten die Bürger Sarajevos mit eigenen sogenannten Zivilistenbarrikaden ‚geantwortet’ – mit den damals so genannten Rostilj-Barrikaden (Grill-Barrikaden).“

„Die Bürger glaubten zu dieser Zeit, dass sie mit Hilfe guter Laune, den Grill-Barrikaden, Rockkonzerten und Friedensaktionen den Kriegsausbruch verhindern können. Als dann die ersten Schüsse fielen, sind die Stadtbewohner demonstrativ und sozusagen mit ihren ‚nackten Körpern’ gegen die Militärbarrikaden gelaufen. So liefen sie spontan zur Vrbanja-Brücke, die jetzt Brücke von Suada Dilberovic und Olga Sucic heißt, auf eine dieser Militärbarrikaden zu – zwei junge Frauen, nach denen die Brücke heute benannt ist, kamen dabei ums Leben, als Scharfschützen auf sie geschossen hatten“, so Kurtovic.

„Andere Bürger liefen ins Parlament, verjagten die Politiker und organisierten ein ‚Bürgerparlament‘ - diese wurden dann ebenfalls von Scharfschützen angegriffen. Das war unser Kampf gegen den Krieg. Zu dieser Zeit gab es den ziemlich naiven Glauben, dass wir, die Bürger, gegen eine gut ausgerüstete und eingespielte Maschinerie, Panzer etc. antreten können, um den Krieg zu verhindern. Wenn aber so etwas erneut stattfinden würde, würden wir es genauso machen.“

Filme machen während der Belagerung

Die Bilder der tragischen Ereignisse und der Belagerung Sarajevos schafften es zu dieser Zeit kaum nach draußen. Während es nicht viele TV-Bilder zu dieser Zeit gab, drehten die Sarajevoer Filmemacher Dokumentar- und Spielfilme über die Ereignisse in ihrer Stadt - wie etwa der Sarajevoer Regisseur Srdjan Vuletic, der in der Vereinigung SAGA - der Sarajevoer Gruppe der Dokumentarfilmer – tätig war: „Ein paar Jahre wurden unsere Filme in der ganzen Welt gezeigt - Filme, die in dieser Zeit wie heiße Ware behandelt wurden, Filme der belagerten Stadt. Wir konnten aber zu dieser Zeit nicht mit unseren Filmen reisen, weil wir kriegsbedingt nicht aus der Stadt reisen konnten.“

1995, während der vierjährigen Stadtbelagerung Sarajevos, wurde auch das Sarajevo Film Festival gegründet. Es zählt mittlerweile zu einer der wichtigsten kulturellen Veranstaltungen in der Region. „Dem Publikum bedeutete das erste Filmfestival viel. Alle Vorstellungen waren ausverkauft. Wir schafften es unter diesen schwierigen Bedingungen während der Stadtbelagerung und in den Jahren danach, das kulturelle Leben in Sarajevo zu bereichern und zu verändern und ein Festival für diejenigen zu schaffen, für die das Festival ursprünglich gedacht war: für das Publikum und für diejenigen, die mit eingebunden waren“, so Izeta Gradjevic-Purivatra, die künstlerische Leitern des renommierten Film Festivals.

Das Gespräch führte Dalibor Manjic, ORF.at

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