Aufarbeitung der Kriegsgeschichte
In Bosnien und Herzegowina vergeht fast 17 Jahre nach Kriegsende weiterhin kaum ein Monat ohne die Festnahme eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers. Im dreijährigen Bosnien-Krieg (1992 bis 1995) kamen rund 100.000 Personen ums Leben, etwa 2,2 Millionen wurden vertrieben. Noch immer werden neue Massengräber entdeckt. Weiterhin wird nach etwa 10.000 Vermissten gesucht.
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Erst kürzlich wurden 162 Personen, bis auf zwei Serben allesamt Bosniaken (Muslime), identifiziert, deren Leichname im Sommer 2010 aus dem Perucac-Stausee an der bosnisch-serbischen Grenze geborgen wurden. Bosnien ist durch den Krieg als eines der Länder mit den brutalsten Kriegsverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt geworden.
Srebrenica als Symbol
Kaum jemand weiß wohl, dass Srebrenica einst als Kurort beliebt war. In der Weltöffentlichkeit ist der Name der ostbosnischen Kleinststadt zum Symbol für das denkbar schlimmste Kriegsverbrechen geworden. Im Sommer 1995 wurden in der Umgebung der damaligen UNO-Schutzzone rund 7.000 muslimische Männer von bosnisch-serbischen Truppen brutal ermordet. Sie waren nach der Einnahme der Kleinstadt vor Augen von niederländischen UNO-Soldaten aussortiert worden.
„Es ist wie in Srebrenica“, hatte Mary Colvin aus der syrischen Protesthochburg Homs berichtet. Ende Februar starb die US-Journalistin bei einem Angriff der syrischen Armee auf die Stadt.

APA/EPA/Valerie Kuypers
Ex-Präsident der Republika Srpska, Radovan Karadzic
Milosevic, Karadzic und Mladic
Etliche Kriegsverbrecher werden in Bosnien wohl nie vor Gericht kommen. Die bekanntesten wurden vom Haager UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im einstigen Jugoslawien (ICTY) angeklagt, viele wurden verurteilt, gegen andere laufen noch Verfahren. Der einstige serbische und jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic, der als einer der Drahtzieher des Bosnien-Krieges gilt, erlebte das Ende seines Prozesses nicht mehr. Er erlag 2006 64-jährig seinem Herzleiden im Haager-Tribunal-Gefängnis. Der Prozess, in dem sich Milosevic auch wegen des Völkermordes in Srebrenica zu verteidigen hatte, wurde daraufhin eingestellt.
Zwei einstige bosnisch-serbische Schlüsselfiguren - der einstige Präsident der Serbischen Republik (Republika Srpska) Radovan Karadzic (66) und sein Militärchef Ratko Mladic (69) - wurden nach jahrelanger Flucht 2008 bzw. 2011 in Serbien festgenommen. Der Prozess gegen Karadzic läuft bereits, jener gegen Mladic wird im Mai beginnen. Beide haben sich wegen Völkermordes in Srebrenica und neun weiteren Gemeinden, der Beschießung von Sarajevo und anderer Kriegsverbrechen, darunter auch der Geiselnahme von UNO-Soldaten, zu verteidigen.
Haftstrafen für Generäle
Mehrere einstige bosnisch-serbische Generäle wurden vom Haager Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt: Vujadin Popovic (54) und Ljubisa Beara (72) wegen des Srebrenica-Massakers, Stanislav Galic (68) wegen der anhaltenden Beschießung Sarajevos. Radoslav Brdjanin, der einstige bosnisch-serbische Vizepremier, kam wegen ethnischer Säuberung in Nordwestbosnien mit einer 30-jährigen Haftstrafe davon. Zu 27 Jahren Haft, auch wegen Srebrenica, wurde der einstige jugoslawische Generalstabchef Momcilo Perisic (67) verurteilt.
Ende nicht in Sicht
Im UNO-Tribunal wird derzeit die Urteilsverkündung für eine Gruppe von sechs ehemaligen bosnisch-kroatischen Politikern, Offizieren und Polizisten wegen Kriegsverbrechen an Bosniaken in Zentralbosnien erwartet. Der einstige Chef der selbst ernannten „Kroatischen Gemeinschaft Herceg-Bosna“, Jadranko Prlic (52), und andere wurden unter anderem auch wegen Mordes an 116 Bosniaken im Dorf Ahmici bei Tuzla im April 1993 angeklagt.
Der Befehlshaber einer Sondereinheit des Kroatischen Verteidigungsrats HVO, Mladen Naletilic (69), wurde wegen Ahmici bereits 2006 zu 20 Jahren Haft verurteilt. Wegen Folter und Misshandlung serbischer Zivilisten in dem Gefangenenlager Celebic bei Konjic wurde der bosniakische Lagerkommandant Hazim Delic (51) zu 18 Jahren Haft verurteilt. Zwei weitere Mitangeklagte kamen mit 15 bzw. neun Jahren davon.
Das UNO-Tribunal soll voraussichtlich in rund zwei Jahren seine Arbeit abschließen. In Sarajevo laufen die Kriegsverbrecherprozesse vor dem „Gericht Bosnien-Herzegowinas“. Ein Ende ist nicht in Sicht.
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