Befehle „von höchster Ebene“
Die Gräueltaten in Syrien werden laut einem Bericht der UNO auf Anordnung der politischen und militärischen Führung verübt. In einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht für den UNO-Menschenrechtsrat wird eine Anklage gegen die Verantwortlichen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gefordert.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Die unabhängigen Ermittler erstellten nach eigenen Angaben eine vertrauliche Liste mit den Namen von entsprechenden syrischen Politikern und Armeeangehörigen. Tötungs- und Folterbefehle kämen „von höchster Ebene“, heißt es in dem Bericht. Die von dem Brasilianer Paulo Pinheiro geleitete Kommission befand zwar, dass auch die Aufständischen Verbrechen begangen haben. Diese seien allerdings "vom Umfang nicht vergleichbar“.
Kinder auf Befehl erschossen
In dem Bericht wird beschrieben, wie die syrischen Streitkräfte auf Befehl Kinder und unbewaffnete Demonstranten erschießen, verwundete Gefangene in Krankenhäusern foltern, Soldaten töten, die entsprechende Befehle verweigern, grundlos Menschen festnehmen und wahllos Wohngebiete mit Panzern und Maschinengewehren angreifen. „Mehrmals wurden im Jänner und Februar 2012 in Homs ganze Familien - Kinder und Eltern - brutal ermordet.“
„Am Rande“ des Bürgerkriegs
Das Land stehe „am Rande“ des Bürgerkriegs. Die anhaltende Gewalt berge die Gefahr einer „Radikalisierung der Bevölkerung“, vertiefe ethnische Spannungen und gefährde den Zusammenhalt der Gesellschaft, urteilte das UNO-Team, das zwar nicht in Syrien war, allerdings mit fast 400 Opfern und Augenzeugen gesprochen hatte.

AP/Local Coordination Committees in Syria
Die seit fast einem Jahr andauernde rohe Gewalt forderte schon Tausende Tote
Liste mit hochrangigen Verdächtigen
Der UNO liege eine Liste hochrangiger syrischer Politiker und Militärangehöriger vor, die wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verdächtigt werden. Die Untersuchungskommission teilte am Donnerstag in Genf mit, der Bericht mit den entsprechenden Namen sei in einem versiegelten Umschlag dem UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR) übergeben worden.
Der syrische Präsident Baschar al-Assad geht mit Gewalt gegen einen seit elf Monaten anhaltenden Aufstand vor. Dabei kamen nach Angaben der UNO schon Tausende Menschen ums Leben. Die Regierung in Damaskus spricht von einem Kampf gegen Terroristen. Die UNO wurde in dem Konflikt bisher kaum tätig, weil Russland und China Resolutionen im UNO-Sicherheitsrat mit ihrem Veto verhindern.
UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon kündigte am Mittwoch an, angesichts der dramatischen humanitären Lage seine Nothilfekoordinatorin Valerie Amos in das arabische Land zu schicken. Die Britin solle sich ein Bild von der Situation machen, so ein Sprecher. Wann Amos nach Syrien reisen wird, war zunächst aber unklar.
Kofi Annan als UNO-Sondergesandter?
Angeblich ist auch der frühere UNO-Generalsekretär Kofi Annan als Sondergesandter der Vereinten Nationen (UNO) für Syrien im Gespräch. Annan sei der Favorit für den Posten, verlautete am Donnerstag aus UNO-Kreisen in New York. Der Ghanaer werde noch im Laufe des Abends in London zu einem Gespräch mit UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon zusammentreffen. Ebenfalls gute Chancen auf den Posten des Sondergesandten habe der frühere finnische Präsident und erfahrene Krisenmakler Martti Ahtisaari, hieß es.
EU verschärft Sanktionen
Die EU-Staaten stehen unterdessen vor einer Verschärfung ihrer Sanktionen gegen Assad. Die 27 EU-Außenminister werden am Montag unter anderem Einreiseverbote gegen sieben führende Minister verhängen. EU-Diplomaten sagten am Donnerstag in Brüssel, auch die Vermögenswerte der syrischen Nationalbank in Europa würden eingefroren.
Der Handel mit Gold, Edelmetallen und Edelsteinen wird zudem durch die Sanktion verboten. Frachtflüge zwischen Syrien und der EU werden untersagt, Passagierflüge bleiben erlaubt. Die EU protestiert mit den Maßnahmen gegen die blutige Unterdrückung der syrischen Opposition. Den Diplomaten zufolge wird auch geprüft, wie humanitäre Hilfe nach Syrien geschafft werden kann.
Opposition soll aufgewertet werden
Die internationale Gemeinschaft kündigte unterdessen an, die Protestbewegung gegen Assad aufzuwerten. Die Opposition solle von der künftigen Syrien-Kontaktgruppe ein „Anerkennungssignal“ bekommen, kündigte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle nach einem Vorbereitungstreffen am Donnerstag in London an. Westerwelle appellierte an Russland und China, ihren Widerstand gegen eine Verurteilung des Regimes aufzugeben.
Die „Gruppe der Freunde des syrischen Volkes“ soll am Freitag bei einem Treffen in Tunis offiziell aus der Taufe gehoben werden. Dazu werden Vertreter von mehr als 60 Staaten und internationalen Organisationen erwartet. Dabei soll es auch um Möglichkeiten der humanitären Hilfe gehen, erwogen wird auch ein 72-stündiges Ultimatum gegen Assad. Derzeit wird noch verhandelt, was der Begriff „Anerkennungssignal“ genau bedeutet. Auch unter den arabischen Staaten gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, welche Rolle der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC) spielen soll. Allerdings steht bereits fest, dass der SNC auf eine formelle Anerkennung noch warten muss.
Panzer des Regimes drangen in Homs ein
In der Protesthochburg Homs ging unterdessen auch am 20. Tag der Belagerung durch die Armee das Blutvergießen weiter. Soldaten drangen mit Panzern in die Hochburg der Opposition ein. Aufständische berichteten am Donnerstag von einem anhaltenden Raketen-, Artillerie- und Granatenbeschuss des Stadtteils Bab Amr, wo sich die Kämpfer der Regierungsgegner verschanzt hatten. Auch die Viertel Inschaat und Chalidija seien erneut angegriffen worden.
Einem Aktivisten zufolge drangen die Panzer in einen Bezirk von Bab Amr vor. „Die Explosionen lassen ganz Homs beben“, sagte ein Augenzeuge. „Gnade uns Gott.“ Oppositionelle in der Provinz Hama warfen den syrischen Streitkräften vor, in dem Dorf Kfartun 13 Burschen und Männer aus einer Großfamilie in einer Reihe aufgestellt und erschossen zu haben. Auch aus anderen Teilen des Landes wurden Tötungen gemeldet. Die Angaben aus Syrien können von unabhängiger Seite nicht bestätigt werden, da die Regierung kaum ausländische Journalisten ins Land lässt.
Links: