Themenüberblick

Tausende Zivilisten eingeschlossen

Kämpfer der neuen libyschen Führung haben am Freitag einen Großangriff auf die umkämpfte Hafenstadt Sirte gestartet. „Im Augenblick beschießen sie die Stadt, um die Verteidigung (der Gaddafi-Getreuen) zu schwächen“, berichtete eine Reporterin des Nachrichtensenders al-Jazeera aus dem Frontgebiet. Kommandeure des Übergangsrats hätten versichert, dass es sich dabei um den „letzten Schlag“ handle.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Ein BBC-Reporter, der die Kämpfer begleitete, berichtete, er sei nur noch einen Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Von dort sei noch Gefechtslärm zu hören, sagte er. Die Milizen rückten sowohl von Westen als auch von Osten kommend vor und standen kurz davor, einander im Zentrum zu treffen. Ihre Kämpfer würden sich von Haus zu Haus vorarbeiten, um Widerstandsnester der Gaddafi-Getreuen zu finden. Zuvor hatten die Milizen die Verteidigungslinien der Pro-Gaddafi-Streitkräfte mit Artillerie angegriffen.

Libysche Rebellen suchen Deckung

APA/EPA/Mohamed Messara

Kämpfer der neuen libyschen Führung am Donnerstag an der Front nahe Sirte

20.000 Menschen vor Kämpfen geflohen

Die Milizen des Übergangsrats versuchen seit Wochen, Sirte einzunehmen. Nach Einschätzung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) sind bisher bereits 20.000 Menschen vor den Kämpfen um Sirte geflohen. Etwa 5.000 campieren in der Wüste im Umkreis von bis zu 50 Kilometern, teilte das IKRK am Donnerstag in Genf mit. Vor Beginn der Kämpfe lebten mehr als 75.000 Menschen in der Stadt.

Geburtsstadt Gaddafis

Sirte ist die Geburtsstadt von Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi und eine der letzten Bastionen des langjährigen libyschen Machthabers. Seit drei Wochen ist die Küstenstadt heftig umkämpft und steht zudem unter Beschuss von NATO-Flugzeugen. Sirte liegt 410 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis.

Tausende Zivilisten sollen durch die Kämpfe noch in der Stadt eingeschlossen sein. Mehr als 18.000 Menschen, darunter viele Frauen, Kinder und Ältere, halten sich östlich von Sirte auf. Die Helfer sehen jeden Tag zahlreiche Flüchtlinge, die die Stadt verlassen, darunter viele kleine Kinder. Es fehlt an Lebensmitteln und Medizin. Dem IKRK gelang es in einer Feuerpause auch, drei Schwerkranke aus dem Krankenhaus der Stadt in Sicherheit zu bringen. Die meisten Patienten lägen auf den Gängen und würden nur noch von wenigen Ärzten betreut, so das IKRK. Hunderte von Menschen mit Kindern hielten sich zusätzlich in dem Krankenhaus auf.

NATO über humanitäre Lage besorgt

„Die humanitäre Lage ist offensichtlich ein Grund zur Besorgnis“, sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Donnerstag nach Beratungen der NATO-Verteidigungsminister über den Libyen-Einsatz der Allianz in Brüssel. Rasmussen äußerte die Überzeugung, dass die Soldaten des Übergangsrates „alles ihnen Mögliche tun, um eine humanitäre Katastrophe“ sowie zivile Opfer zu vermeiden. Den Gaddafi-Anhängern warf er hingegen vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu nutzen.

Der Einsatz der NATO in Libyen nähert sich laut Rasmussen dem Ende. „Der Einsatz ist noch nicht vorüber, aber ich glaube, das wird bald kommen“, sagte Rasmussen. Die NATO werde ihre Luftüberwachung und Bombardements so lange fortsetzen, wie die Zivilbevölkerung noch bedroht werde. „Wir sind bereit, das zu beenden, wenn die politischen und militärischen Bedingungen erfüllt sind.“

Gaddafi im Süden des Landes versteckt?

Nahe Tripolis brachen am Donnerstag tausend Kämpfer zur Verstärkung der Truppen des Übergangsrates in das ebenfalls hart umkämpfte Bani Walid auf. Gaddafi hält sich nach Angaben des Übergangsrates im Süden des Landes, unter dem Schutz der Tuareg, versteckt. Gelegentlich soll er sich auch im angrenzenden Niger aufhalten, wie der neue Regierungschef Mahmud Dschibril während eines Besuches in der irakischen Hauptstadt Bagdad der Nachrichtenagentur Reuters mitteilte. „Sicherheit ist das wichtigste für ihn. Wir hoffen dennoch, ihn innerhalb der kommenden Tage exakt lokalisieren zu können“, so Dschibril.

Gaddafi rief seine Mitbürger indes erneut zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams gegen die neue Führung des Landes auf. Den Appell überbrachte er in einer Audiobotschaft in dem in Syrien ansässigen Fernsehsender al-Rai. Dieser ist inzwischen das wichtigste Sprachrohr des langjährigen Machthabers. Gaddafi sagte, der nationale Übergangsrat, der die Führung in Libyen übernommen hat, habe keine Legitimität. „Lasst eure Stimmen gegen die Kollaborateure der NATO hören“, sagte Gaddafi, der seit der Eroberung der Hauptstadt Tripolis durch die Rebellen am 23. August auf der Flucht ist, in der Botschaft.

Links: