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Erkenntnisse und Spekulationen

Seit dem Fund der über 5.000 Jahre alten Mumie auf dem Similaungletscher in den Ötztaler Alpen vor genau 20 Jahren, am 19. September 1991, haben viele Forscher Hand an den Mann aus der Kupferzeit gelegt. Die besondere Aufmerksamkeit, die „Ötzi“ von der internationalen Forscherwelt zuteilwird, verdankt er der Tatsache, dass Feuchtmumien sehr selten sind und derart gut konserviert ein Juwel darstellen.

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„Ötzi“, der samt vollständiger Bekleidung und Ausrüstung mitten aus dem Leben gerissen wurde, lieferte und liefert nach wie vor Material für zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungsfelder. Gesichert sind einige Eckdaten. Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann man heute sagen, dass er an einer Pfeilwunde gestorben ist. „Ötzi“ war zu Lebzeiten etwa 1,60 Meter groß, hatte Schuhgröße 38 und wog rund 50 Kilogramm - Durchschnittsmaße für die Kupferzeit. Kurz bevor er getötet wurde, hatte er noch Fleisch und Getreide als letzte Mahlzeit zu sich genommen. Der Mann aus dem Eis starb im Alter von etwa 45 Jahren, was damals bereits dem Greisenalter entsprach.

Sonst gibt es allerdings recht unterschiedliche Theorien über „Ötzi“, seine letzte Reise und seinen Tod. Einigen Aufschluss gab unlängst die Auswertung der bei der Leiche gefundenen Gegenstände aus Kupfer sowie Feuerstein, sagte der früher am „Eismann“-Projekt beteiligte deutsche Geoarchäologe Alexander Binsteiner in einem Gespräch mit der APA. Er spricht von einem Überfall mit Todesfolge - auch wenn das nach wie vor nicht sicher sei.

Ein interaktiver Bildschirm mit der Darstellung der mumifizierten Leiche des Ötzi

APA/Robert Parigger

Die „Ötzi“-Forschung ist weit gediehen. Dennoch sind viele Fragen offen.

Nachweis für Handelsbeziehungen

Die Spuren der Gegenstände von „Ötzi“ erstrecken sich jedenfalls von Oberitalien bis nach Salzburg und Oberösterreich. Binsteiner hat die insgesamt sechs Steinwerkzeuge von „Ötzi“ - darunter ein Dolch und zwei Pfeilspitzen - analysiert und nach den Steinbrüchen gesucht, aus denen sie stammen. Er wurde in den Monti Lessini nördlich von Verona fündig. Das dortige sehr charakteristische und einmalige Material ist aber auch bei archäologischen Ausgrabungen nördlich der Alpen in der Schweiz, in Oberbayern, im Salzburger Land und an mehreren Orten in Oberösterreich - sogar nahe Linz - aufgetaucht.

Eine weitere Spur ist das Kupferbeil, das zusammen mit der mumifizierten Leiche vor bald 20 Jahren am 19. September 1991 auf dem Similaungletscher in den Ötztaler Alpen gefunden wurde. Es lässt sich wegen seiner typischen Form der Remedello-Kultur zuordnen. Diese war südlich des Gardasees angesiedelt. Doch eine geochemische Analyse ergab: Das Beil ist aus Mondsee-Kupfer hergestellt.

Nachbildung des Ötzi im Archäologiemuseum in Bozen

APA/Robert Parigger

Rekonstruktion, zu sehen im Südtiroler Archäologiemuseum

„Wie ein Fingerabdruck“

So wird Metall bezeichnet, das mit den erst kürzlich zum Weltkulturerbe erklärten Pfahlbaudörfern am Mondsee und Attersee in Verbindung gebracht wird. Es hat einen geringen Anteil an Arsen, das es fließfähiger macht. „Die Zusammensetzung ist so einmalig wie ein Fingerabdruck“, schließt Binsteiner jeden Zweifel aus. Das Erz wurde demnach auf dem Mitterberg südlich von Bischofshofen im Pongau abgebaut. Die Erzeuger des Mondsee-Kupfers, in deren Siedlungen auch Klingen aus den Monti Lessini gefunden wurden, haben diese Technologie perfekt beherrscht. Ihr Metall war damals ein unermesslich wertvoller Rohstoff.

Theorie zu den letzten Stunden

Aus all dem und den Untersuchungen der Mumie selbst leitet Binsteiner ab: In der Steinzeit hat es Handelszüge aus dem heutigen Oberitalien nach Salzburg und Oberösterreich über die Alpen gegeben. Der Eismann könnte in leitender Funktion einer derartigen „Kupfer-Expedition“ angehört haben, die mit Rohkupfer beladen auf dem Rückweg war. Doch auf dem für einen Überfall günstigen Similaunpass lauerten Wegelagerer seiner Gruppe auf und griffen sie an.

Sie wurden abgewehrt, aber „Ötzi“ wurde von einem Pfeil in die linke Schulter getroffen. Der Pfeilschaft wurde herausgezogen, als das Herz noch schlug. Das können nur seine Begleiter getan haben. Die Spitze blieb im Körper stecken. „Ötzi“ erlag danach binnen kürzester Zeit seiner schweren Verletzung.

Grabbeigaben gefunden

Seine Weggefährten waren laut Binsteiner vermutlich wegen eines Schlechtwettereinbruchs gezwungen, sich eilig ins Tal zurückziehen. Die Leiche mussten sie an Ort und Stelle zurücklassen. Sie haben sie in der für ein Remedello-Grab typischen Schlafstellung positioniert und Beigaben auch aus ihrem Besitz dazugelegt. Eine Bestattung erklärt auch die wichtigste Frage, warum das wertvolle Kupferbeil - damals eine hochmoderne Waffe - beim Toten geblieben ist.

Die Begleiter von „Ötzi“ ließen sie als Ausdruck ihrer Wertschätzung als Grabbeigabe zurück. Wäre der Täter noch an der Leiche gewesen, hätte er mit Sicherheit das Beil in seinen Besitz gebracht. Der starke Schneefall deckte das hochalpine Grab rasch zu. Das Gletschereis bewahrte es bis ins 20. Jahrhundert.

Mehrere Forschungsprojekte

Aber vieles davon ist Spekulation. Nach wie vor sind zahlreiche Fragen offen. „Macht man eine Tür auf, hat man dahinter fünf weitere Fenster, die verschlossen sind“, erklärte der Konservierungsbeauftragte am Südtiroler Archäologiemuseum und Koordinator der Forschungsprojekte, Eduard Egarter Vigl, vor einiger Zeit, ebenfalls im Gespräch mit der APA. Beispielsweise habe die Entschlüsselung des Erbgutes zutage gebracht, dass die Augenfarbe der Gletscherleiche braun und nicht - wie bisher angenommen - blau gewesen sein dürfte.

Vor kurzem habe man eine letzte große Probenentnahme durchgeführt, dadurch würde die Forschung momentan beschleunigt. Zum einen für das Projekt „Life Traces“, bei dem es darum geht, Leben im Allgemeinen und Bakterien im Besonderen in der Mumie nachzuweisen. Dieses Projekt sei ausgeweitet worden, indem mikrobiologische Proben auch aus dem Inneren des Körpers entnommen worden seien.

Schlag auf den Schädel?

Zum zweiten konzentriere sich die Forschung darauf, einen dunklen Fleck in der linken hinteren Großhirnrinde der Gletschermumie nachzuweisen. Dabei könnte es sich einerseits um eine unterschiedliche Zersetzung des Gehirns aufgrund verschiedener räumlicher Bedingungen handeln. „Andererseits - und ich neige zur Annahme, dass die zweite Hypothese richtig ist - könnte es sich um eine Hirnblutung handeln“, schilderte Egarter Vigl. Es gebe viele Anzeichen, die auf ein Gesichts- und ein Schädel-Hirn-Trauma hindeuten würden.

Beispielsweise sei die rechte Gesichtshälfte geschwollen, die Außenwand der rechten Augenhöhle gebrochen, und auf der linken hinteren Schädelhöhle lasse sich ein kleiner Berstungsbruch nachweisen. Immer wieder taucht die Theorie auf, „Ötzi“ könnte einen Schlag auf den Schädel erhalten haben.

Zurückhaltung kehrt ein

Der Experte steht wie die Mehrzahl der Forscher nach wie vor zu der „Pfeilspitzenhypothese“, wonach der Mann in kürzester Zeit an einer Pfeilwunde in seiner Schulter verstorben ist. Er sei aber mittlerweile „wesentlich zurückhaltender“, wenn es darum gehe, zu bestimmen, wo, wann und unter welchen Umständen der gewaltsam Tod herbeigeführt worden sei.

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