Verdächtiger laut Polizei „aussagebereit“
Bei einem mutmaßlichen Doppelanschlag in Norwegen sind jüngsten Zahlen zufolge über 90 Menschen ums Leben gekommen. Wie die Polizei am Samstag bekanntgab, starben allein in einem Lager der sozialistischen Jugend, wo ein Attentäter wahllos auf die Menge schoss, zumindest 84 Menschen.
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Polizeichef Öystein Maeland sagte in der Nacht zum Samstag, die Tat habe „katastrophale Dimensionen“ erreicht. Weitere Todesfälle könnten nicht ausgeschlossen werden, da es Schwerverletzte gebe. „Wir schließen nicht aus, dass es noch mehr Tote gibt“, sagte auch Polizeisprecher Are Frykholm. Norwegens Premier, Jens Stoltenberg, sprach von einer „nationalen Tragödie“: „Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg ist unser Land von einem Verbrechen dieses Ausmaßes getroffen worden“.

Reuters/Lasse Tur
Blick auf die Insel Utöya, Tatort des zweiten Anschlags
Mit Pistole und Gewehr bewaffnet
Der Attentäter war offenbar mit einer Pistole und einem Gewehr bewaffnet. Um Zutritt zu dem Jugendcamp der Arbeiterpartei von Regierungschef Jens Stoltenberg zu erhalten, hatte der Verdächtige vorgegeben, für die Sicherheit der Teilnehmer sorgen zu wollen. Er habe sich laut einem Wachmann an Land als Polizist ausgewiesen und über der entsprechenden Uniform auch eine schusssichere Weste getragen.
Im Anschluss sei der Mann mit einem Boot der Ferienlagerorganisation auf die kleine Insel Utöya gebracht worden. Dort schoss er als erstes in eine Versammlung, bei der die Buben und Mädchen über den Anschlag in Oslo informiert werden sollten.
Auf der Insel spielten sich dramatische Szenen ab. Eine Anwohnerin sprach von etwa 50 Menschen, die ins Wasser gesprungen und weinend und zitternd an Land geschwommen seien. Ein Überlebender beschrieb, wie er sich hinter Steinen vor dem Täter versteckte. „Ich habe ihn einmal gesehen, 20, 30 Meter von mir entfernt.“ Der 32-Jährige wurde später von einer Anti-Terror-Einheit festgenommen.
Rechtsextremer Hintergrund vermutet
Unklar blieb, wie der Attentäter in dem Feriencamp bis zur seiner Festnahme so viele Menschen umbringen konnte. Die Polizei wollte dazu noch keine Angaben machen. Hinweise auf Verbindungen zum internationalen Terrorismus lagen zunächst aber nicht vor. Der festgenommene Täter soll aus der rechten Szene kommen und nach Überzeugung der Polizei allein gehandelt haben.
Nachdem der 32-jährige Täter überwältigt und verhaftet werden konnte, wurde auf der Insel laut Polizei auch Sprengstoff gefunden. Stoltenberg sollte am Samstag bei der jährlichen Veranstaltung der Jugendbewegung seiner Partei auf Utöya eine Rede halten. Bereits am Freitag war ein Auftritt der früheren Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland geplant.
Ölministerium in Flammen
Der stellvertretende Osloer Polizeichef, Sveining Sponheim, bestätigte den Fund von Sprengsätzen. Bestätigt wurde zudem, dass ein Zusammenhang zwischen dem Angriff und dem Bombenanschlag vor dem Büro von Premier Stoltenberg in Oslo vermutet wird. Der Mann sei demnach am Nachmittag kurz vor dem Bombenanschlag in Oslo gesehen worden.

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Schauplatz des Attentats im Zentrum von Oslo
Die Bombe in Oslo explodierte gegen 15.30 Uhr vor dem 17-stöckigen Hauptgebäude der Regierung. „Das ganze Gebäude wurde erschüttert, wir glaubten, es sei ein Erdbeben“, sagte ein Reporter des Senders NRK über die Bombenexplosion in Oslo. Er hatte sich neben dem Regierungsgebäude im Osloer Zentrum aufgehalten.
Die Detonation war so heftig, dass sämtliche Fensterscheiben zerstört wurden. Metall und Trümmerteile wurden über Hunderte Meter verstreut. Auch mehrere benachbarte Ministerien wurden beschädigt. Das Ölministerium geriet in Brand. Die Polizei rief die Bevölkerung zum Verlassen der Innenstadt auf. Dort bezogen am Abend Soldaten Stellung - mehr dazu in iptv.ORF.at.
„Nationalistische Gesinnung“
In Mitleidenschaft gezogen wurde auch das Gebäude eines Verlags, der kürzlich ein Buch zum Streit über die Mohammed-Karikaturen herausgegeben hatte. Der Verlag war aber offenbar nicht das Ziel des Anschlags. Politische Gewalt ist in Norwegen so gut wie unbekannt. Das NATO-Mitglied war zuletzt aber wegen seines militärischen Engagements in Afghanistan und Libyen Ziel von Drohungen.

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Militärpolizisten versorgen einen Verwundeten.
Unterdessen verdichten sich die Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund. Die Polizei bestätigte im Fernsehen, dass der nach seiner Festnahme aussagebereite Mann „eine nationalistische Gesinnung“ habe und „antimuslimisch“ eingestellt sei. Er habe aber über sein genaues Motiv nichts ausgesagt.
Medienberichten zufolge soll der 32-Jährige sich im Internet selbst als Nationalist und Gegner einer multikulturellen Gesellschaft bezeichnet haben. Wie die norwegische Zeitung „Verdens Gang“ („VG“) in ihrer Onlineausgabe berichtet, habe er bereits vor Jahren im Internet Beiträge mit kontroversem Inhalt veröffentlicht. Sein Facebook-Profil sei deshalb gelöscht worden. Später habe der Verdächtige, der eine Handelsschule in Oslo besucht haben soll, dann ein neues Profil angelegt, dort aber keine kontroversen Meinungen mehr veröffentlicht.
Hausdurchsuchung in Oslo
Noch in der Nacht zum Samstag wurde die Wohnung des Terrorverdächtigen durchsucht. Der Einsatz in einem Haus im Westen der norwegischen Hauptstadt Oslo habe laut „VG“ kurz vor Mitternacht begonnen. Der Zeitung zufolge soll der Mann allerdings schon vor Jahren von Oslo aufs Land übersiedelt sein. Wie „VG“ weiter berichtete, galt der Mann bis auf eine Jahre zurückliegende Strafe für ein Verkehrsdelikt als unbescholten. Er soll aber im Besitz eines Waffenscheins sein. Zwei Waffen seien zudem auf den 32-Jährigen zugelassen.
Außerdem habe er eine Firma namens Geofram, die sich dem Anbau von Gemüse und Knollengewächsen widme. Möglicherweise, spekuliert das Blatt, habe er dadurch Zugang zu Kunstdünger bekommen, der für die Herstellung von Sprengsätzen verwendet werden kann.
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