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Kooperation mit Diktatoren

Seit Jahren kämpft die EU gegen illegale Migration. Ausgelöst durch die Umstürze von Ägypten über Libyen bis Tunesien verstärkte sich der Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer Richtung EU. Besonders betroffen ist die italienische Insel Lampedusa. Rund 22.000 Migranten erreichten die Insel mit Booten seit dem Ausbruch der Aufstände in Nordafrika.

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Italien bat die EU um Hilfe. Die EU-Kommission sagte zwar Geld zu, Italien müsse aber alleine mit den Flüchtlingen fertig werden. Allerdings startete Mitte Februar eine Mission der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX) unter dem Namen „Hermes“, um die italienischen Behörden zu unterstützen. Die Beamten sollen helfen, Flüchtlinge zu betreuen und zu befragen sowie aus der Luft und zur See Grenzen zu überwachen.

FRONTEX

Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX) hat ihren Sitz in Warschau. Derzeit arbeiten knapp 300 Mitarbeiter für die Agentur. Das Jahresbudget stieg von sechs Mio. Euro 2005 auf 80 Mio. Euro 2011.

Die Agentur geriet in den vergangenen Jahren aufgrund ihrer Abfangmaßnahmen immer wieder unter Beschuss. Kritisiert wurde auch, dass die Genfer Flüchtlingskonvention nicht immer eingehalten werde. „FRONTEX ist keine staatliche Organisation und muss daher auch keine Rechenschaft ablegen. Es gibt niemanden, der FRONTEX rechtlich kontrolliert“, kritisiert die Migrationsforscherin an der Universität Köln, Gerda Heck, gegenüber ORF.at. Die fehlende Berichtspflicht rechtfertige die Agentur unter anderem damit, dass sie mit Geheimdiensten zusammenarbeiten und daher nichts veröffentlichen könne.

„Reiseagentur“ für Abschiebungen

Die Grenzschutzagentur nahm 2005 als Kompromisslösung ihre Arbeit auf. Die Einrichtung einer europäischen Grenzpolizei war bei den Schengen-Staaten auf zu großen Widerstand gestoßen. „Sie wollten sich nichts von Brüssel diktieren lassen“, sagt Heck.

Die Grenzschutzagentur soll als relativ autonom agierende Institution die EU-Staaten bei der Grenzkontrolle unterstützen. FRONTEX kümmert sich um Trainings für Grenzbeamte, betreibt Risikoanalysen, woher die nächsten Flüchtlingsströme zu erwarten sind, und unterstützt und koordiniert Abschiebungen im Flugzeug. Agenturchef Ilkka Laitinen bezeichnete diesen Bereich als „Travel Agency“ (Reiseagentur).

Verstöße gegen Völkerrecht

Ein wesentlicher Teil ist aber der Grenzschutz der EU-Außengrenze etwa im Mittelmeer und zwischen Griechenland und der Türkei. Flüchtlinge wurden auf hoher See aufgegriffen und in ihr Herkunftsland zurückgeschickt. Um sich gegen Kritik zu wappnen, dass die Agentur dabei gegen Völkerrecht verstößt, weil in diesem Gebiet das Recht bestehe, einen Asylantrag zu stellen, wandte die Agentur auch andere Strategien an. „Nun patrouilliert FRONTEX mit Beamten des jeweiligen Staates nahe bei der Küste im Hoheitsgewässer, wo das Recht besteht, sofort abzuschieben“, erklärt Heck.

Zuweisungsbefugnisse noch unklar

Wer befugt ist, den Grenzschützern etwas zuzuweisen, sei unklar, sagt Heck: „FRONTEX nimmt das aber positiv. Die Agentur sieht sich als Dienstleister. Wenn Kritik an ihrer Praxis kommt, wird kommuniziert, dass das erledigt wird, was die Mitgliedsstaaten wollen.“ Auch Karl Kopp, Europareferent der NGO Pro Asyl, die FRONTEX immer wieder wegen Menschenrechtsverstößen kritisierte, sieht ein System des gegenseitigen Hin- und Herschiebens von Verantwortung zwischen den Schengen-Mitgliedsstaaten und FRONTEX.

Forntex-Agenturchef Iikka Lattinen bei einer Pressekonferenz

Reuters/Darrin Zammit Lupi

FRONTEX-Chef Ilkka Laitinen

„Das Problem ist, dass die Agentur mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit in einem rechtlichen europäischen Fleckerlteppich agiert. FRONTEX ist nicht der alleinige Verursacher, sondern Ausdruck dieser europäischen Migrationspolitik“, analysiert Kopp im Interview mit ORF.at.

Kooperation bei Abschiebungen „belohnt“

Problematisch bei Europas Migrationspolitik sei die Einbindung von Anrainerstaaten wie Libyen und Marokko in den Kampf gegen illegale Migration, so Heck. Zusammenarbeit bei der Abschiebung von Flüchtlingen wurde „belohnt“ - mit Handelsabkommen, Visaerleichterungen und temporären Gastarbeiterkontingenten.

Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi etwa forderte fünf Milliarden Euro im Jahr für die Sicherung seiner Grenzen. In Brüssel wurde das zwar empört zurückgewiesen. Vergangenen Herbst wurde dennoch ein Abkommen unterzeichnet, das auch finanzielle Hilfe in Millionenhöhe für das Management des Flüchtlingsstroms vorsah. Von diesem Geld wurde aber laut EU-Kommissarin Cecilia Malmström bisher nichts ausbezahlt.

Schon 2008 hatte Al-Gaddafi mit Italien eine Vereinbarung gegen illegale Einwanderung geschlossen. Die Zahl der Bootsflüchtlinge aus Libyen war daraufhin um über 90 Prozent zurückgegangen. Dafür ließ Al-Gaddafi, auch mit italienischer Hilfe, Auffanglager errichten, die immer wieder in die Kritik von Menschenrechtsorganisationen gerieten. „Menschenrechte werden nicht eingehalten, aber die EU macht sich die Finger nicht schmutzig“, so Heck.

Abhängigkeit von EU

An eine neue Strategie der EU nach den Umstürzen in Nordafrika glaubt die Migrationsforscherin nicht: „Es ist für diese Staaten wirtschaftlich gar nicht möglich, sich gegen die EU zu stellen.“ Tunis sicherte bereits zu, die Kontrollen an den Küsten verstärken zu wollen. Italien bot dafür bereits finanzielle Unterstützung an. Auch Vertreter der libyschen Opposition bekräftigten, die Einwanderung afrikanischer Flüchtlinge nach Europa bekämpfen zu wollen, nachdem Al-Gaddafi bereits zu Beginn der Proteste gegen sein Regime angedroht hatte, Bootsflüchtlinge nicht mehr aufhalten zu wollen.

Auch FRONTEX soll in einer neuen Verordnung mehr Kompetenzen bei der Kooperation mit Drittstaaten bekommen. Potenziell Schutzbedürftige sollen schon auf dem Boden des Drittstaats oder im Territorialgewässer nahe der Küste an der Flucht gehindert werden. „Dadurch versucht FRONTEX, die menschenrechtliche Bredouille zu umgehen“, so Kopp. Schon vor der Verordnung schloss FRONTEX ein Polizeiabkommen mit Weißrussland, Europas letzter Diktatur. Vor den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Libyen war laut Kopp auch ein Abkommen mit dem Land geplant.

„Funktionsfähige Faust“ notwendig

Anlässlich der sich ausweitenden Flüchtlingsproblematik im Mittelmeer forderte Laitinen für FRONTEX auch ein informelles „Arbeitsabkommen“ mit Tunesien, um Rückführungen und die Rückerstattung der Flugkosten für die italienischen Behörden zu erleichtern, berichtete die Onlineplattform EU Observer. Tunesien sei bisher Rückführungen kritisch gegenübergestanden. FRONTEX sei nun auch bereit, die „Operation Hermes“ auszubauen. Einmal mehr forderte er eine eigene „funktionsfähige Faust“ mit Schiffen und Helikoptern. Dann wären keine bilateralen Verhandlungen und Zustimmung von den jeweiligen Parlamenten notwendig, so Laitinen.

Mehr Menschenrechte für FRONTEX

Über den Vorschlag der EU-Kommission, FRONTEX zu stärken, wird derzeit noch verhandelt. Bis Juni soll eine Einigung erzielt werden, sagte der Sprecher von EU-Kommissarin Malmström, Marcin Grabiec, gegenüber ORF.at. Ziel ist auch, die Ausstattung mit Geräten und Personal, das derzeit die Schengen-Staaten zur Verfügung stellen, zu vergrößern, die gemeinsamen Rückführungsoperationen effizienter zu gestalten sowie die Befugnisse und Zuständigkeiten klarer zu gestalten.

Auch ein deutliches Bekenntnis zur Einhaltung der Menschenrechte soll in der neuen Verordnung formuliert werden. Kopp: „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es wird etwas nachgeholt, was man anfänglich vergessen hat. Das Grundproblem bleibt aber. FRONTEX-Operationen müssen transparenter, demokratischer und durch das Europäische Parlament kontrolliert werden.“

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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