„Zunehmende Ungleichverteilung“
Die EU-Staaten streiten im Zuge der schweren Euro- und Schuldenkrise derzeit über die Einführung von Euro-Anleihen und eine europäische Schuldenagentur. Der EU-Gipfel beschloss am Donnerstag jene Änderung des Lissabon-Vertrags, mit der der Rettungsschirm zu einer dauerhaften Einrichtung wird.
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Beobachter auf den Finanzmärkten gehen aber davon aus, dass das nicht reicht, um die Ängste der Investoren zu beruhigen. Und sicherlich wird es nicht genug sein, um die Euro-Zone nachhaltig aus der Schuldenkrise herauszuführen.
Auch wenn es Vertreter der nationalen Regierungen bisher weitgehend vermeiden, darüber zu reden - doch zur Überwindung der Schuldenkrise dürften über kurz oder lang Änderungen beim Steuersystem nötig werden.

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WIFO-Expertin: Österreich braucht Finanztransaktionssteuer
Experten denken voraus
Im Hintergrund werden schon seit Monaten Vorschläge entwickelt - die EU-Kommission präsentierte im Herbst eine Studie zu den Auswirkungen der Krise auf die Steuerpolitik. Im Europäischen Parlament wurde bereits Ende vergangenen Jahres in einem Expertenpapier („Politische Herausforderungen für die EU 2009-2019“) die Einführung einer EU-weiten Steuer angeregt - ein großes Tabuthema in der EU, da Besteuerung eine der wichtigsten noch verbliebenen nationalstaatlichen Domänen ist.
Auch Margit Schratzenstaller, Steuerexpertin des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), sieht die Steuerpolitik als einen wichtigen Hebel zur dauerhaften Überwindung der Schuldenkrise. Als deren Hauptursache gilt ja nicht mehr die Finanzkrise - sie war eher der Auslöser -, sondern vielmehr das große Gefälle bei der Wirtschaftskraft zwischen den Ländern der Euro-Zone.
Gegenüber ORF.at nannte Schratzenstaller vier wichtige Bereiche, in denen die EU und ihre Mitgliedsländer steuerpolitisch aktiv werden sollten: die Einführung EU-weiter Steuern, die Harmonisierung der direkten Steuern, insbesondere der Körperschaftssteuer, der verschärfte Kampf gegen Steuerbetrug und eine engere Abstimmung der Steuerpolitik zwischen den EU-Staaten.
Eigene EU-Steuern
Eine grundlegende Wende in der Geschichte der Union würde die Einführung von EU-Steuern bedeuten. Das könnte laut Schratzenstaller die nationalen Budgets, die derzeit unter dem Spardiktat stehen, entlasten. So könnten die Einnahmen direkt in die nationalen Kassen fließen oder alternativ für das EU-Budget verwendet werden, und im Gegenzug könnten die nationalen Beiträge zum Brüsseler Budget reduziert werden.
Aus Sicht der Mitgliedsländer positiv wäre, dass damit auf staatlicher Ebene Steuererhöhungen bei den Faktoren Arbeit, Konsum oder Unternehmenstätigkeit vermieden oder sogar Spielraum für entsprechende Steuersenkungen geschaffen werden könnte.
„Kandidaten“ für solche EU-Steuern sind laut Schratzenstaller Ökosteuern wie etwa eine Kerosinabgabe sowie die vieldiskutierte Finanztransaktionssteuer. Letztere wäre gerade jetzt „wichtig“, könnten die EU-Staaten damit doch einerseits Entschlossenheit im Kampf gegen die Spekulationen auf den Finanzmärkten signalisieren. Andererseits bräuchten Österreich und Deutschland eine Besteuerung von Finanztransaktionen geradezu, „weil die Bevölkerung immer geringeres Verständnis für die Rettung anderer Länder hat und weil das Risiko, in Haftung genommen zu werden, steigt“. Und sie sei eine wichtige Alternative zur weiteren Belastung der Faktoren Arbeit und Konsum.
Österreichs Regierung tritt für eine Finanztransaktionssteuer ein, EU-weit gibt es dafür bisher jedoch keine Mehrheit.
Nationale Domäne
Direkte Steuern sind etwa die Lohn- und Einkommenssteuer: Der Besteuerte muss die Abgabe auch entrichten. Dagegen sind Verbrauchssteuern wie die MöSt. indirekte Steuern: Der Endkunde berappt die Abgabe, ans Finanzamt abgeführt wird sie jedoch durch das Unternehmen. Während es für indirekte Steuern wie Verbrauchs- und Mehrwertsteuer EU-weite Mindestregeln gibt, sind die direkten Steuern allein Sache der nationalen Regierungen.
Gegen Steuerwettkampf
Schratzenstaller empfiehlt grundsätzlich eine Harmonisierung der direkten Steuern - vor allem der Körperschaftssteuer für Unternehmen. Im Gegensatz zu manch anderen Experten sieht sie dabei nicht nur eine Angleichung der Berechnungsgrundlage (also der Vorschriften, wie der Gewinn ermittelt wird, Anm.) als sinnvoll an, sondern auch eine Harmonisierung der Steuersätze. Um Härten für die neuen Mitgliedsländer zu vermeiden, kann sich Schratzenstaller einen höheren Mindeststeuersatz für die alten und einen niedrigeren für die neuen Mitgliedsländer vorstellen. Letzteren dient eine niedrige Körperschaftssteuer oft dazu, andere noch vorhandene Standortnachteile gegenüber alten Mitgliedsländern auszugleichen.
Ein solcher Schritt könne auf jeden Fall helfen, das Gefälle bei der Wirtschaftskraft zwischen den einzelnen Euro-Ländern zu verringern, so die WIFO-Expertin. Denn der Steuerwettbewerb - das Locken mit möglichst niedrigem Steuersatz - um die Ansiedlung internationaler Unternehmen zwischen den EU-Staaten treffe vor allem die schwächeren Länder.
Schärferer Kampf gegen Steuerbetrug
Drittens plädiert Schratzenstaller dafür, dass der EU-weit koordinierte Kampf gegen Steuerhinterziehung noch weiter intensiviert wird. Das würde Österreich besonders betreffen, fordert die WIFO-Expertin doch, dass auch Stiftungen unter die Zinsbesteuerung fallen sollen. Zudem solle die anonyme Quellensteuer in Österreich und Luxemburg durch den automatischen Informationsaustausch ersetzt werden.
Bessere Absprache bei Fiskalpolitik
Die Politik der Haushaltskonsolidierung - besonders der Steuererhöhungen - sollte „stärker auf EU-Ebene koordiniert werden“, so Schratzenstaller. Derzeit würden die meisten Staaten weniger durch Einsparungen, sondern durch das Hinaufsetzen der Steuern versuchen, ihre Budgetdefizite zurückzufahren. Wichtig in diesem Zusammenhang wäre, dass nur jene Steuern erhöht werden, die „relativ wenig schädlich für das Wirtschaftswachstum sind“. Die Expertin warnt davor, die Konjunktur abzuwürgen, denn nur mit einem „stärkeren Wirtschaftswachstum“ könne die Budgetsanierung gelingen.
Außerdem müsste dabei darauf geachtet werden, dass die „zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen“ abgemildert werde. Kritisch sieht Schratzenstaller etwa, dass seit 2009 13 der 27 EU-Länder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer beschlossen. Das dämpfe aber zumindest kurzfristig den Konsum und belaste die unteren Einkommen stärker. Die Steuern auf Vermögen seien seit Ausbruch der Krise dagegen nur in wenigen Ländern erhöht worden.
Kursänderung nicht in Sicht
Das lässt den Schluss zu: Es müssten jetzt steuerpolitisch die Weichen gestellt werden, um den bereits in den Jahren vor der Krise - etwa im Vergleich zu Vermögen - stärkeren Anstieg der Belastung von Arbeit und Konsum einzubremsen. Derzeit gibt es allerdings kaum politische Signale für eine entsprechende Kursänderung. Zu unterschiedlich sind die Interessen und zu groß ist wohl auch die Angst vor einem nationalen Machtverlust. Der Druck könnte in den nächsten Jahren jedoch steigen, sollten die sozialen Spannungen wegen des Sparzwangs - etwa in Griechenland - zunehmen.
Guido Tiefenthaler, ORF.at
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