Neun Mio. Passagiere, 640 Rolltreppen
Bis zu neun Millionen Menschen täglich nutzen die Moskauer Metro. Zur Stoßzeit fahren die Züge nahezu minütlich, um das hohe Passagieraufkommen zu bewältigen. Oft vergessener, aber entscheidender Dreh- und Angelpunkt in den Metrostationen sind die Rolltreppen. Stoppen sie, gerät das System ins Wanken, denn die Menschen gehen zu langsam, um die Massen schnell weiterzuleiten.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Damit das System nicht zusammenbricht, steckt ein ausgeklügeltes Wartungs- und Kontrollsystem dahinter. Eine eigene Abteilung innerhalb der Moskauer Metro ist für die Wartung, Reparatur und Sicherheit der Rolltreppen und die wenigen vorhandenen Aufzüge zuständig. Rund 3.000 Mitarbeiter kümmern sich um mehr als 640 Rolltreppen.
Reparaturen müssen schnell erfolgen, so der Chefmechaniker Sergej Lichatschew. Seiner Meinung nach sind „die Rolltreppen wichtiger als die Züge“. Die Begründung „außer Betrieb“ kennt der Mechaniker nicht. In seinem Jargon heißt es: „Wir schließen Rolltreppen für die Zeit der Reparatur.“ Während der Betriebszeiten sind in jeder Station seine Mitarbeiter an Ort und Stelle. Ein Notfallteam mit 20 Mann steht für schnelle Einsätze bereit. Eine Abteilung produziert am laufenden Band Ersatzteile, „um nicht von Lieferanten abhängig zu sein“, betonte Lichatschew gegenüber der „Washington Post“.

AP/Alexander Zemlianichenko
Menschenmassen in der Moskauer Metrostation Kijewskaja
Risiko Menschenmassen
Uniformierte Beobachter haben ständig die Rolltreppen im Blick, stets auf Abruf, diese zu stoppen, sollte es zu Schwierigkeiten kommen. Das U-Bahn-System werde immer gefährlicher, konstatierte erst vor kurzem der stellvertretende Innenminister Michail Suchodolski gegenüber „The Moscow News“. Denn neben Gewalt in den Stationen stellen auch die Menschenmengen auf den Bahnsteigen Probleme dar.
Über 150 Passagiere pro Jahr fallen auf die Gleise, etwa die Hälfte soll auf Unfälle zurückzuführen sein. Immer wieder werden Menschen auf den Rolltreppen verletzt. Die dramatischsten Konsequenzen hatte ein vom sowjetischen Regime weitgehend verschwiegener Unfall im Februar 1982. Als während der Fahrt Stufen der Rolltreppe wegbrachen, waren die Bremsen nicht stark genug. Ungebremst raste die Rolltreppe in der U-Bahn-Station Awiamotornaja abwärts. Acht Menschen starben dabei, über 30 wurden verletzt.
„Beste Rolltreppe der Welt“
Die 75 Jahre alte Moskauer Metro, ein Prestigeprojekt von Sowjetdiktator Josef Stalin, zählt zu den tiefsten U-Bahn-Netzen der Welt mit bis zu 84 Metern unter der Erde. Entsprechend lang und schnell sind auch die Rolltreppen. Schon beim Bau der Moskauer Metro in den 30er Jahren spielte die Beschaffenheit der Rolltreppen eine entscheidende Rolle. Sie stellten eine Neuerung dar. Nur wenige Firmen konnten Rolltreppen herstellen.

APA/EPA/Vassili Grachyov
Die Moskauer Metro gilt als Prestigeprojekt Stalins.
Otis zählte dazu. Auch Moskau zeigte in den 30er Jahren Interesse an den Rolltreppen des US-Unternehmens. „Aber die Maschinen entsprachen nicht den technischen Anforderungen. Daher entschied man sich, eigene Rolltreppen für dieses System in Russland zu produzieren“, sagt Konstantin Tscherkasski, Direktor des Moskauer Metromuseums, gegenüber der „Washington Post“. Die Produktion übernahmen Fabriken in Moskau und im damaligen Leningrad (St. Petersburg). Selbstbewusste Schilder am Gebäude sprachen von „der besten Rolltreppe für die beste U-Bahn der Welt“.
Fachwissen erschwindelt
Der deutsche Historiker Dietmar Neutatz zeigte in seiner Arbeit „Die Moskauer Metro“ allerdings eine andere Version der Geschichte. Demnach zog Russland die Kaufverhandlungen über Monate in die Länge und bekam dadurch stückweise Konstruktionsdetails. Eine Rolltreppe sollte gekauft werden, um diese dann zu kopieren. Otis durchschaute offenbar diese Taktik, und verlangte für eine Treppe den Preis von zwölf.
Daraufhin brach Moskau laut Neutatz die Verhandlungen ab und baute eigene Rolltreppen mit Hilfe der gesammelten Informationen. Die Dimensionen waren aber größer als etwa im Westen. Bis zu 60 Meter lang waren die ersten Rolltreppen der Moskauer Metro. Auch heute ist nach Angaben der Moskauer Metro die weltweit längste durchgehende Rolltreppe in Moskau: in der Metrostation Park Pobedy mit 717 Stufen auf 126 Metern. Knapp drei Minuten dauert die Fahrt in eine Richtung. 60 Tonnen Gewicht kann sie transportieren.
Die Lebenszeit der Rolltreppen sollte im Schnitt 60 Jahre betragen. Die älteste ist derzeit in der Station Baumanskaja zu sehen - vom Jänner 1944. Die jüngsten fahrenden Treppen sind wenige Wochen alt. Und es werden mehr: Bis 2015 soll das Moskauer U-Bahn-Netz um 130 Kilometer länger werden.
Links: