Ausgeschlafene Geschäftsideen
Laut letzten Studien leiden fast 40 Prozent aller Österreicher an Schlafstörungen. In den USA gaben bei einer Umfrage weniger als die Hälfte der Amerikaner an, jeden oder fast jeden Tag gut zu schlafen.
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Den enormen Unterschied macht, abgesehen von der Fragestellung, wohl aus, dass die US-Studie 2005 von der Nationalen Schlafstiftung durchgeführt wurde, einer Organisation, die großteils von der Pharma- und Möbelindustrie gesponsert wird. Ein ganzer Wirtschaftszweig versucht, den Wert des Schlafs in den öffentlichen Blickpunkt zu rücken. Verkauft wird der „bessere Schlaf“ - und der findet reißenden Absatz.
Vom Boom zur Abzocke
Gesundheitsexperten wie Vermarkter freuen sich gleichermaßen, dass das Thema Breitenwirkung erzielt: Schlaf erobert bei den Gesundheitsthemen einen Platz neben Ernährung und Fitness und öffnet gleichzeitig einen profitablen Markt. Von einem wahren „Schlafboom“ schrieb das „New York Times Magazine“ in einem ausführlichen Bericht und zitierte das Magazin „Business 2.0“, nach dessen Einschätzung pro Jahr in den USA 20 Milliarden Dollar von der „Schlafindustrie“ umgesetzt werden. „Forbes“ sprach sogar von einer „Schlafabzocke“.
49 Millionen Verschreibungen für Schlaftabletten gab es 2006 in den USA, um 53 Prozent mehr als noch fünf Jahre zuvor, hieß es bei dem Informationsdienst in Gesundheitsfragen, IMS Health. Umgesetzt wurden damit 3,7 Milliarden Dollar, was einer Verdoppelung gegenüber 2003 entspricht. Davon noch gar nicht erfasst sind rezeptfreie Mittel und Mittelchen. So übersteigt die Palette der an manchen US-Tankstellen angebotenen Schlafhilfen das Sortiment einer heimischen Apotheke bei weitem. In vielen Pharmakonzernen sind Schlafmittel die profitabelsten Erzeugnisse.
Keine Erinnerung - guter Schlaf?
600 Millionen Dollar hat die US-Pharmaindustrie allein 2006 für Werbung ausgegeben. Einerseits, um die Einnahme von Schlaftabletten in ein besseres Licht zu rücken, andererseits auch, um die neue Generation der Medikamente, die „Z-Drugs“, zu pushen, die gegenüber den zuvor verwendeten Benzodiazepinen weniger abhängig machen sollen.
Eine weit verbreitete Theorie, warum Schlaftabletten so gut wirken, ist, dass sie auch eine leichte Amnesie auslösen. An schlechten Schlaf und häufiges Aufwachen könne man sich in der Früh leicht erinnern, sagte Michael Bonnet, Neurologe an der Universität Dayton in Ohio. Guten Schlaf merken wir kaum, so der Mediziner. Kann man sich in der Früh an keine Störungen erinnern, geht man also davon aus, gut geschlafen zu haben.
Vorbild Ernährung und Fitness
Doch nicht nur der Medikamentenmarkt profitiert vom Trend. Auch die Bettenindustrie will ihren Teil vom Kuchen: Das Gute sei, dass es jetzt mehr Bewusstsein über den Wert von gutem Schlaf gebe, zitierte das „New York Times Magazine“ einen Branchenexperten. Die schlechte Nachricht sei aber, dass „die Amerikaner sich zudröhnen, um sich durch die Nacht zu bringen - und das häufig in schlechten Betten“.
Mark Quinn, Vizepräsident des führenden US-Herstellers von Matratzenfedern, Leggett & Platt, sagte gegenüber dem „New York Times Magazine“: „Die Ernährungs- und Fitnessindustrie hat für uns gute Vorarbeit geleistet. Sie hat die Öffentlichkeit gelehrt: ‚Wenn du dich nicht richtig ernährst, stirbst du. Machst du keine Turnübungen, stirbst du.‘“
Gebettet auf Luxus
Ausführlich schilderte das „New York Times Magazine“ die Aufbruchsstimmung bei Bettenherstellern und Matratzenvertretern, die mit immer neueren, besseren und mit Hilfe von NASA-Technologie entwickelten Produkten den Markt erobern - und das mit teilweise astronomischen Preisen. Doch auch andere haben das Geschäft schon gerochen: Mittlerweile gibt es in den USA über 1.000 Schlafkliniken, die auch gleich über Nacht medizinische Tests durchführen. Die Firma MetroNaps bietet in Großstädten für geschaffte Manager futuristisch anmutende Erholungskojen an, die etwa in der Mittagspause im Zehnminutentakt vermietet werden.
Schlaf als „schwarzes Loch“?
Doch gleichzeitig ist Schlaf weiterhin ein wissenschaftlich vergleichsweise wenig erforschtes Phänomen. Nur eines steht laut „New York Times Magazine“ fest: Die Geschichte der Schlafstörung beginnt mit Thomas Edison. Das elektrische Licht hatte die Unantastbarkeit der Nacht zerstört. Schlafforschung ist ein neues Feld, und es fehlt noch eine Definition, was normaler Schlaf ist. Damit können auch Schlafstörungen nur vage definiert werden. Messwerte in Schlaflabors stimmen zudem häufig nicht mit den subjektiven Befindlichkeiten überein.
Einige Schlafstörungen resultieren einfach aus fehlender „Schlafhygiene“ und sind mit einfachen Verhaltensänderungen zu beheben, meinen Experten. Unregelmäßige Schlafenszeiten, übermäßiger Kaffee- oder Alkoholkonsum und allzu langes Fernsehen und Arbeiten vor dem Schlafengehen beeinflussten die Schlafqualität.
Zudem ist das, was wir als richtigen Schlaf wahrnehmen, auch kulturell geformt und keineswegs „natürlich“. Was richtig und was falsch ist, beruhe oft auf Mythen, so der Historiker Roger Ekirch in dem Magazin. Früher sei es etwa weit verbreitet gewesen, den Schlaf in zwei Hälften zu teilen. Man legte sich schlafen, stand dann für eine Stunde oder mehr auf, um danach schließlich den zweiten Teil der Nacht im Bett zu verbringen.
„Hinlegen und sterben“
Einige autochthone Gesellschaften in Afrika würden diese Praxis auch heute noch beibehalten, so die Anthropologin Carol Worthman. In der westlichen Gesellschaft bedeute Schlafen im Wesentlichen, in einen dunklen und ruhigen Raum zu gehen, sich hinzulegen und acht Stunden später wieder aufzuwachen. Sie nennt diese Form das „Sich hinlegen und sterben“-Modell.
In anderen Kulturen und früheren Zeiten gebe es aber auch ganz andere Konzeptionen von Schlaf, etwa in Schlafräumen, in denen nebenbei das soziale Leben der Wachen einfach weiterläuft. Und auch mit einem weiteren Mythos versuchen Experten aufzuräumen: Dass jeder Mensch acht Stunden Schlaf brauche, sei zwar weit verbreitet, aber keineswegs richtig.
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