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„Kein einheitliches Gebilde“

Vor zwei Jahren hat der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds geführt. Mehrere europäische Länder entgingen nur dank internationaler Milliardenhilfe der Staatspleite, allen voran Island und Griechenland. Doch auch den bis dahin aufstrebenden Osten des Kontinents traf die Lehman-Pleite mit anhaltenden Folgen mit voller Härte.

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Nur fünf Jahre nach der EU-Erweiterung zeigte sich, wie eng die europäischen Volkswirtschaften bereits miteinander verflochten sind. Ungarn, Lettland und der Ukraine drohte die Insolvenz. Rumänien taumelte, und selbst im Musterland Slowenien, das 2007 der Euro-Zone beigetreten war, brach das Wachstum um fast acht Prozent ein.

Die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU schnürten milliardenschwere Rettungspakete. Geht es nach Tessen von Heydebreck vom Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, haben sich dank dieser Maßnahmen „die Krisenängste von Anfang 2009 nicht bewahrheitet“. Zunehmend optimistisch zeigen sich unter anderem auch die Volkswirte der stark in Osteuropa engagierten Unicredit-Bank, die für die Region mittlerweile ein Wachstum von 2,5 Prozent im kommenden Jahr erwarten.

Doch Experten warnen gleichzeitig vor zu großer Euphorie. Geht es nach dem Herausgeber des Börsenbriefs „East Stock Trends“, Andreas Männicke, sei „keineswegs“ alles Gold, was im Osten des Kontinents glänzt. Auch Vladimir Gligorov, Osteuropa-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), erwartet aus heutiger Sicht zumindest bis zum Jahresende keine wesentliche Verbesserung der Lage.

Ungarn und Rumänien „längst nicht über den Berg“

Laut Männicke sei es vor allem „ein Fehler, Osteuropa als einheitliches Gebilde zu sehen“. So habe Polen dank eines starken Binnenmarktes ebensogute Perspektiven wie Tschechien mit seiner gesunden industriellen Basis. Das hoch verschuldete Ungarn und das inflationsgeplagte Rumänien dagegen seien noch längst nicht über den Berg. Auch die Ukraine stehe nach Männickes Ansicht weiterhin auf der Kippe. Das rohstoffreiche Land verfüge zwar über ein großes ökonomisches Potenzial, allerdings könne Kiew finanziell nur am Tropf des IWF und der EU überleben.

In dieser Situation hängt viel von der politischen Entwicklung in den einzelnen osteuropäischen Ländern ab. Das kleine Estland etwa hat sich in den vergangenen zwei Jahren eine finanzpolitische Rosskur verordnet. Die Folge: Tallinn erfüllt alle Maastricht-Kriterien und kann zum 1. Jänner 2011 den Euro einführen.

Als Gegenbeispiel nannte Männicke Ungarn: Dort führte der unvermeidliche drastische Sparkurs die regierenden Sozialisten direkt in ein Wahldesaster. Der neue rechtskonservative Ministerpräsident Viktor Orban aber ließ die Verhandlungen mit dem IWF über weitere Finanzhilfen platzen. Die geforderten zusätzlichen Sparanstrengungen lehnte er brüsk ab. Nun droht dem Land eine Kreditklemme, die den wieder angesprungenen Konjunkturmotor abzuwürgen droht.

Einbrüche deutlich größer als erwartet

Laut Gligorov sei es zwar absehbar gewesen, dass man im Fall einer globalen Krise vor einer Rezession stehen würde. Die düstere Einschätzung der Risiken in der Region durch Ratingagenturen war für Gligorov durchaus berechtigt. Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Lage sehr ernst war, unterstrich er. In den baltischen Staaten etwa war die Gefahr eines Zusammenbruchs der Volkswirtschaften durchaus real.

Die Maßnahmen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank, der EU und der Notenbanken hätten nun zwar eine Stabilisierung gebracht. Gleichzeitig erinnerte der Ökonom aber daran, dass die Wachstumseinbrüche in den Ländern Mittel- und Osteuropas (CEE) deutlich größer ausfielen, als während des Höhepunktes der Krise erwartet. „Rückgänge des Bruttoinlandsprodukts von vier bis fünf Prozent sind keine kleine Sache“, so Gligorov der für die Region aus heutiger Sicht bis zum Jahresende auch keine wesentliche Verbesserung der Lage erwartet.

Die Auswirkungen der Krise waren auch deshalb so groß, weil der Bankensektor in Osteuropa durch die Mutterbanken in Westeuropa in Mitleidenschaft gezogen wurde, so Gligorov. Das führte zu einer verminderten Finanzierung der CEE-Töchter oder in einigen Fällen sogar zum Abzug von Geld.

„Bankensystem von Sanierung noch weit entfernt“

Zudem sei das Bankensystem in Europa „von einer Sanierung noch weit entfernt. Das Risiko der Verschlechterung der Bilanzsumme wird uns weiter begleiten. Das ist eines der größten Probleme für die Zukunft“. Über das Ausmaß könnten aber kaum Aussagen getroffen werden, da die Bilanzen der Banken nur in groben Zügen bekannt seien.

Der Weg aus der Krise scheint vorgezeichnet: Die Anforderungen an die Banken dürften strenger werden. Sie werden ihre Schulden abbauen und mehr Eigenkapital aufbauen müssen. Das werde Zeit in Anspruch nehmen, so die Einschätzung von Gligorov. Auch in Osteuropa werden die Karten neu gemischt. Die ausländischen Investoren werden nach Einschätzung des WIIW-Experten deutlich weniger Geld in die Region investieren.

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