Die Krisen im Schatten der Lehman-Pleite
Die Lehmann-Brother-Krise hat Anleger auf der ganzen Welt getroffen, auch in Österreich. Für Konsumentenschützer war Lehman aber ein Katalysator, nicht der Auslöser, der wackelige Anlagekonstruktionen zum Einstürzen brachte.
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Mehr als zwei Jahre ist es her, dass die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds führte. Mehrere europäische Länder entgingen nur dank internationaler Milliardenhilfe der Staatspleite, vor allem Island und Griechenland.
Doch auch den Osten des Kontinents traf es hart. Nur fünf Jahre nach der EU-Erweiterung zeigte sich, wie eng die europäischen Volkswirtschaften bereits miteinander verflochten sind. Ungarn, Lettland und der Ukraine drohte die Insolvenz. Rumänien taumelte, und selbst im Musterland Slowenien, das 2007 der Euro-Zone beigetreten war, brach das Wachstum um fast acht Prozent ein. Die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU schnürten milliardenschwere Rettungspakete.
Die Lehman-Pleite und Österreich
Die Pleite des US-Investmenthauses Lehman Brothers hat zahlreichen wackeligen Anlagekonstrukten den Todesstoß versetzt. Bei betrügerischen Systemen war die Finanzkrise aber „nur ein Katalysator, nicht der Auslöser“, meint Peter Kolba, Rechtsexperte des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) anlässlich der Lehman-Pleite.
Initialzündung für viele Klagen
Ob Schneeballsystem oder krisenbedingte Kursrückgänge, auch österreichische Kleinanleger haben viel Geld verloren - und sind vor Gericht gezogen. Allein beim Handelsgericht (HG) Wien wurden weit über 10.000 Anlegeransprüche geltend gemacht.
„Wahrscheinlich war Lehman die Initialzündung“ für zahlreiche Anlegerverfahren, sagte HG-Vizepräsident Alexander Schmidt. Viele, die geglaubt hätten, ihr Finanzprodukt könne nur steigen, hätten sich gefragt, wie nun plötzlich die Verluste zustande kamen und hätten geklagt. Die meisten Anlegerverfahren drehen sich um die Beratung beim Kauf diverser Papiere, also darum, ob die Verbraucher getäuscht worden sind.
Nicht an allem ist die Lehman-Krise schuld
Dem Finanzdienstleister AWD etwa wird vorgeworfen, Immofinanz- und Immoeast-Aktien systematisch und unzulässigerweise als sichere Anlage verkauft zu haben, was das Unternehmen bestreitet. Allein am HG sind gegen den Berater 494 Klagen anhängig, darunter fünf Sammelklagen des VKI, der etwa 2.500 mutmaßlich Geschädigte vertritt. Hinzu kommen 159 Klagen, die am Bezirksgericht für Handelssachen Wien - dort werden Streitwerte unter 10.000 Euro verhandelt - anhängig sind.
Daran, dass es bei Immofinanz bzw. Immoeast aber überhaupt zu einem derartigen Kurscrash kam, ist laut Kolba nicht die Krise schuld, sondern die Handlungen des ehemaligen Vorstands, etwa „Aktienrückkäufe im großen Stil“. Gegen den früheren Konzernchef Karl Petrikovics, für den die Unschuldsvermutung gilt, wird u. a. wegen Verdachts auf Untreue und Bilanzfälschung ermittelt, die Justiz hat dubiose Geldflüsse im Firmengeflecht Immofinanz/Immoeast/Constantia Privatbank im Visier. Auf die Constantia Privatbank bzw. deren Nachfolgegesellschaft, die Aviso Zeta Bank, haben sich ebenfalls zahlreiche Anleger eingeschossen: Am HG sind 1.043 Klagen anhängig, am BGHS 557.
Auch Causa Meinl hausgemacht
Auch die Causa Meinl habe mit Lehman Brothers „nicht rasend viel zu tun“, sei vielmehr „hausgemacht“, so der VKI-Jurist. Mit Papieren der ehemaligen Meinl European Land (MEL, heute Atrium) haben Tausende Anleger Geld verloren, beim HG Wien wurden bereits 2.075 Klagen eingebracht, beim BGHS 1.188. Darüber hinaus ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Untreue und Betrugsverdachts, der Banker Julius Meinl war im April 2009 kurzzeitig in U-Haft gekommen.
Auch der Milliardenbetrugsfall um Bernard Madoff, der der UniCredit/Bank Austria in Wien knapp 180 Klagen bescherte, sowie die Affäre um die Kärntner AvW seien nicht auf die Krise zurückzuführen, so Kolba. „So ein Pyramidensystem“, wie es der zu 150 Jahren Haft verurteilte US-Betrüger Madoff aufgebaut hat, „muss ja irgendwann zusammenbrechen“. Madoff hat Anleger weltweit um geschätzte 50 Mrd. Euro geprellt, allein in Österreich haben Privatanleger rund 350 Mio. Euro verloren. Unter anderem war der von der Bank Austria vertriebene „Primeo“-Fonds bei Madoff investiert, ebenso der „Herald“-Fonds der Wiener Bank Medici, der der Madoff-Skandal das Genick gebrochen hat. Gegen die Medici-Eignerin Sonja Kohn wird im In- und Ausland ermittelt. Ihr werden Geldwäsche und Betrug vorgeworfen, es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Krise als „Ausrede“
Bei AvW, konstatiert Kolba, sei die Krise „immer die Ausrede“ gewesen. In Wahrheit sei aber im Gutachten von Fritz Kleiner der Vorwurf erhoben worden, dass der in U-Haft sitzende AvW-Chef Wolfgang Auer-Welsbach die Kurse mehr oder weniger selbst festgeschrieben habe. Dieser hatte das stets bestritten. In der AvW-Affäre müssen rund 12.500 Anleger um ihr Geld zittern, die Genussscheine der mittlerweile insolventen Finanzgruppe gekauft haben. Gegen Auer-Welsbach wird wegen Verdachts auf Untreue, Betrug und Steuerhinterziehung ermittelt, es gilt die Unschuldsvermutung.
Anleger brauchen Geduld
Bis mutmaßlich geschädigte Anleger zu ihrem Recht kommen, kann es noch Jahre dauern. Vielfach werden nämlich die Zivilverfahren auf Eis gelegt, weil die Richter Erkenntnisse des Obersten Gerichtshofs (OGH) - etwa zu Pflichten von Anlageberatern - oder den Ausgang eines vorgelagerten Strafverfahrens abwarten wollen. Aber auch nach Vorliegen eines OGH-Entscheids müssen sich Anleger weiter in Geduld üben. „Es dauert zirka drei Stunden, ein Anlagegespräch zu klären“, erläuterte Schmidt. Für die 28 HG-Richter bedeute das eine „gigantische Arbeitslast“.
Die Lehman-Pleite direkt hat österreichische Verbraucher kaum getroffen. Zwar hatten einige große Versicherungen Produkte am Markt, bei denen Lehman als Garantiegeber fungierte, mehrheitlich seien die Assekuranzen dann aber selbst eingesprungen, so Kolba. Einzig gegen die Constantia ist VKI wegen des „Dragon FX“ vor Gericht gezogen. „Auch da haben die Leute geglaubt, dass die Constantia als österreichische Bank garantiert, was sie nicht tut“, erläuterte Kolba.
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