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„Umfassende Beschreibung des Krieges“

Eine kürzlich von der Enthüllungswebsite WikiLeaks veröffentlichte Sammlung von 90.000 überwiegend geheimen Afghanistan-Militärdokumenten hat für großen Wirbel gesorgt. Die Sicherheitslage am Hindukusch wird darin deutlich schlechter dargestellt als offiziell angegeben. Das Weiße Haus reagierte auf die Veröffentlichung verärgert.

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Die US-Einheiten und deren Verbündete verlieren in dem seit knapp neun Jahren andauernden Krieg in Afghanistan zunehmend an Boden - ihre Sicherheitslage ist prekär. Das geht aus Tausenden Protokollen hervor, die der Website WikiLeaks zugespielt und an verschiedene Medien weitergegeben wurden. Die Dokumente belegen auch die Existenz einer US-Elitetruppe zur Liquidierung von Taliban-Anführern.

Gewaltige Datenmenge

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (Onlineausgabe) sowie die Zeitungen „New York Times“ und der Londoner „Guardian“ analysierten jeweils für sich die gewaltige Datenmenge der amerikanischen Streitkräfte. Es seien Meldungen der Truppen aus dem laufenden Gefecht, die kurz zusammengefasst und direkt weitergeleitet wurden. Die Medien glichen nach eigenen Angaben die Informationen mit den offiziellen Darstellungen der Lage in Afghanistan ab. Die Blätter veröffentlichten ihre Berichte am Sonntagabend zeitgleich im Internet. Die Dokumente umfassen die Jahre von 2004 bis 2009.

Der „Spiegel“ (Onlineausgabe) teilte mit, die Unterlagen zeigten den Krieg aus der unmittelbaren Sicht der US-Soldaten. Es geht beispielsweise um Einsätze der Task Force 373, einer US-Eliteeinheit. Sie sei darauf spezialisiert, Top-Taliban gezielt auszuschalten. Die Dokumente geben demnach auch Auskunft über Opfer unter Zivilisten bei den Kommandoaktionen.

US-Regierung verurteilte Veröffentlichung

Der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama, James Jones, zeigte sich empört. „Die USA verurteilen aufs Schärfste die Veröffentlichung von Geheiminformationen durch Einzelne oder Organisationen, durch die das Leben von Amerikanern und deren Verbündeten gefährdet und die nationale Sicherheit bedroht wird.“ Die „unverantwortlichen Lecks“ hätten jedoch keine Auswirkung auf das Bekenntnis der USA zu einer vertiefenden Partnerschaft zu Afghanistan und Pakistan, so Jones weiter.

Die US-Regierung leitete eine Untersuchung der Veröffentlichung ein. Der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, bezeichnete es am Montag als „Verletzung von Bundesgesetzen“. Der Schritt „hat das Potenzial, sehr schädlich zu sein“.

Pakistan: Veröffentlichung „unverantwortlich“

Der pakistanische Botschafter in den USA, Hussein Hakkani, bezeichnete die Veröffentlichung der Geheimdokumente als „unverantwortlich“, da sie nicht die „tatsächlichen Gegebenheiten“ widerspiegelten. Die USA, Afghanistan und Pakistan seien „strategische Partner“, die militärisch wie politisch das Terrornetzwerk Al-Kaida und dessen Verbündete der Taliban bekämpfen wollten.

Die afghanische Regierung reagierte verhalten auf die Veröffentlichung der Dokumente. Vom „Inhalt selbst“ sei die Regierung „nicht überrascht“, sagte ein Sprecher von Präsident Hamid Karsai. Allerdings sei man „schockiert vom enormen Umfang der enthüllten Dokumente“.

„Schlaglicht auf das Elend des Krieges“

WikiLeaks wurde 2006 gegründet. Die Internet-Plattform veröffentlicht anonym Dokumente, bei denen ein öffentliches Interesse angenommen wird. Für WikiLeaks arbeiten fünf feste Mitarbeiter, bisher unbezahlt, und etwa 800 Gelegenheitsbeiträger.

WikiLeaks-Gründer Julian Assange sagte dem „Spiegel“ (Onlineausgabe): „Das Material wirft ein Schlaglicht auf die alltägliche Brutalität und das Elend des Krieges. Es wird die öffentliche Meinung verändern und auch die von Menschen mit politischem und diplomatischem Einfluss.“ In seiner Fülle stelle das Material alles in den Schatten, was über den Krieg in Afghanistan gesagt worden sei. „Diese Daten sind die umfassendste Beschreibung eines Krieges, die es jemals während eines laufenden bewaffneten Konflikts gegeben hat (...).“

Assange stellte klar, dass das gesamte Material vor der Veröffentlichung daraufhin überprüft worden sei, ob durch Details tatsächlich Soldaten im Afghanistan-Einsatz oder deren Verbündete in Gefahr geraten könnten.

Auch Kinder unter den Opfern

Der „Spiegel“ (Onlineausgabe) arbeitet vor allem die Lage der deutschen Truppen im Norden des Landes heraus. Diese sei bedrohlich, die Zahl der Kampfhandlungen habe ebenso drastisch zugenommen wie die Zahl der Anschläge. Auch der Einsatz von Spezialeinheiten der US-Streitkräfte helfe nur bedingt. Rund 300 Soldaten einer dieser Einheiten - jener Task Force 373 - seien abgeschirmt auch im deutschen Lager Masar-i-Scharif untergebracht.

US-General warnt vor neuer Gewalt

US-Generalstabschef Mike Mullen warnte indes vor einer weiteren Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan. Über den Sommer werde die Gewalt zunehmen, sagte der Admiral am Sonntag in Kabul. Dennoch sei das Ziel der US-Regierung erreichbar, bis zum Jahresende die Wende im Konflikt mit den radikalislamischen Taliban zu erzwingen.

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