Warum sich SUVs so gut verkaufen
Verena Winiwarter ist Umwelthistorikerin der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) - und hat als solche einen Überblick über lange Zeiträume in Sachen Ökologie. Gegenüber ORF.at zeigt sie sich skeptisch, was eine plötzliche Umkehr des Klimawandels betrifft.
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ORF.at: Es gibt Rekordverkäufe auf dem Automarkt ‑ der seit Jahrzehnten kontinuierlich wächst. Genauso wächst das Ausmaß an Berichterstattung über die Klimakrise. Warum wirkt sich das nicht aus?
Winiwarter: Gegenfrage: Warum soll sich das auswirken? Es gibt auch Rekordzahlen bei den Fluggesellschaften, bei Kreuzfahrten, auch beim Fleischkonsum. Die Weltkonsumgesellschaft konsumiert seit vielen Jahrzehnten, genauer gesagt, seit ihr das durch fossile Energieträger möglich ist, jedes Jahr mehr. Manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen, der Ausstieg aus der fossilen Energie und der Umstieg auf Sonnenenergie werden durch einen „Lock-in“ verhindert. Das bedeutet, wir sind auf einem Pfad, den wir nicht leicht verlassen können. Da ist etwas dran. Wir können nicht einfach einen Schalter umlegen und uns von der fossilenergetischen Konsumgesellschaft in eine nachhaltige Gesellschaft verwandeln.
ORF.at: Bei internationalen Konferenzen hört man sinngemäß immer wieder ein historisches Argument von Vertretern und Vertreterinnen der Schwellenländer wie etwa China, wo der Autoverkauf besonders stark steigt: „Ihr habt bis jetzt ungebremst die Umwelt zerstört und dadurch eure Wirtschaftsmacht erreicht. Jetzt, wo wir aufholen, sollen wir darauf verzichten? Sicher nicht.“ Aus der Sicht der Umwelthistorikerin: Ist das ein stichhaltiges Argument?
Winiwarter: Das kommt darauf an, welches Ziel die Menschheit priorisiert. Wenn es um internationale Gerechtigkeit im Zugang zu Ressourcen geht, haben die Schwellenländer recht. Amitav Gosh hat das in seinem Buch „Die große Verblendung. Der Klimawandel als das Undenkbare“ klar analysiert: Solange die Länder durch koloniale Ausbeutung am eigenen Wachstum gehindert waren, haben sie entsprechend weniger Treibhausgase emittiert.
Ihnen nun zu sagen, sie mögen für die internationale Senkung sorgen, indem sie weiterhin ihr Wachstum einschränken, wird mit Recht als neokolonialistisch bezeichnet. Allerdings: Mit Hilfe der fossilen Energie ist es uns inzwischen gelungen, Technologien der Sonnen-, Wind und geothermischen Energienutzung zu entwickeln, in die diese Länder gleich, sozusagen ohne Umweg über fossile Energie, einsteigen könnten. Das wird „Leapfrogging“ genannt: Wenn diese Länder ihren Entwicklungsschub unverzüglich in Richtung nachhaltige Energie machen, wäre das Problem lösbar.
ORF.at: Wie hat sich unser Blick auf das, was „die Umwelt“ ist, verändert in den letzten Jahrhunderten?
Winiwarter: Ganz schlicht gesagt: Es gibt einen „Umweltschutz der Armen“ (Joan Martinez-Alier), den man besser als „Umweltschutz der Subsistenzökonomie“ bezeichnen sollte. Wer von seinem Land lebt, von den Fischen im Wasser und von den Früchten der Bäume, ist von der Gesundheit der Umwelt direkt abhängig. So können wir die großen Epen der Menschheitsgeschichte verstehen: als Aufruf zu respektvollem Umgang mit den eigenen Lebensgrundlagen.
Zu Umweltzerstörung kommt es zumeist nur dann, wenn die Menschen, die vorher nur die eigene Versorgung (Subsistenz) gewährleistet hatten, beginnen, für den Weltmarkt zu produzieren. Da dieser direkte Zusammenhang durch fossile Energie und den damit möglichen weltweiten Transport für viele nicht mehr fassbar ist, ist der Respekt einem Glauben an die Machbarkeit technologischer Zauberkunststücke gewichen. Natur kommt in den klassischen Theorien wirtschaftlichen Wachstums als ersetzbar vor.
ORF.at: Als Historikerin haben Sie lange Entwicklungen im Blick. Was ist es denn, das zu „Umbrüchen“ führt ‑ und welchen „Umbruch“ brauchten wir heute, um die Auswirkungen der Klimakatastrophe auf künftige Generationen zu minimieren?
Winiwarter: Umbrüche werden nicht geplant, sie passieren. Wer glaubt, die Weltgesellschaft sei steuerbar, irrt. Erstaunlich ist aber, dass Vordenkerinnen und Vordenker, Pionierinnen und Pioniere, tatsächlich einen Effekt haben. Denken Sie an Harriet Beecher-Stove und „Onkel Toms Hütte“, das Buch hatte wichtigen Einfluss auf die Abschaffung der Sklaverei, und ebenso Rachel Carsons „Der stumme Frühling“.
Heute lesen die Menschen allerdings leider weniger. Und Massenmedien finanzieren sich über Produktplatzierung, da kann man keine Gegensteuerung erwarten. Wichtig ist zu erkennen, dass wir im globalen Norden in einer Konsumgesellschaft sitzen, vielleicht sogar darin gefangen sind.
Konsum ist das totale Phänomen, frei nach Marcel Mauss: Über Konsum definieren wir Status, Konsum schafft die Arbeitsplätze, die wir alle haben wollen, Konsum organisiert unsere Steuersysteme. Unsere gesamte Wirtschaft ist auf Konsum und noch dazu auf dessen Steigerung ausgelegt. Damit plündern wir zwangsläufig den Planeten. Doch inzwischen gibt es so viele kleinere und größere Initiativen, die einen Baustein für einen Systemwandel zum Schutz der Umwelt schaffen, das gibt durchaus Hoffnung, dass wir uns bereits im Umbruch befinden.
Die Frage ist nur, werden sie schnell genug zu einem Systemwandel führen? Im Augenblick bin ich eher skeptisch. Bislang haben wir z. B. DDT und Asbest nur in einem Teil der Welt wirklich verboten, ebenso wie die Sklaverei ja nur dort abgeschafft ist, wo der globale Norden hinsehen will. Der Blick reicht ja nicht einmal bis Süditalien.
ORF.at: Apropos Konsum: Das weltweit meistverkaufte Auto ist die Ford-F-Klasse, also ein spritfressender Pick-up, und bald danach folgen SUVs - auch in Österreich schon auf Platz drei, trotz aller Berichterstattung über die Klimakrise. Wie erklären Sie sich das?
Schauen Sie sich an, mit welchen impliziten Versprechungen diese Autos beworben werden: Kauf mich, damit bekommst du die ultimative Freiheit, Du kannst endlich wieder alleine sein, hinaus in die Welt und - das ist besonders paradox - damit näher an die Natur kommen. Käuferinnen und Käufern wird suggeriert, sie könnten sich an entlegene Orte begeben und den einsamen Elitenkonsum von schöner Landschaft genießen.
Zudem schauen Sie auf die anderen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer herab, der imperiale Blick von oben ist vielen Menschen angenehm, SUVs sind Statuserhöher. Die SUV-Freiheit ist Freiheit auf Kosten der anderen, aber hier greifen Staaten nicht regulierend ein. Solange Treibstoffpreise nicht prohibitiv sind, wird das Argument sparsamen Verbrauchs nur ein Nebenargument sein.
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Das Gespräch führte Simon Hadler, ORF.at