Stolpersteine im Gefüge
Mit der Ankündigung, eine größere „Kompetenzbereinigung“ anzugehen, hat ÖVP-Justizminister Josef Moser am Sonntag den Startschuss gegeben für einen Verteilungskampf zwischen Bund und Ländern. Moser will Zuständigkeiten neu regeln und Gesetze einsparen. Die Länder geben sich gesprächsbereit, aber stellen der Regierung gleichzeitig die Rute ins Fenster.
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Für den Herbst kündigte Moser einen weiteren Anlauf zur „Kompetenzbereinigung“ zwischen Bund und Ländern an. Konkret soll es eine klare Zuordnung jener Bereiche geben, wo der Bund derzeit „Grundsatzgesetze“ erlässt, die dann von den Ländern mit „Ausführungsgesetzen“ konkretisiert werden. Das ist etwa bei der Mindestsicherung der Fall („Armenwesen“), aber auch bei Krankenhäusern und Kraftwerken („Elektrizitätswesen“).
„Weg von zehn Gesetzen in Richtung ein Gesetz“, so lautet das Credo im Ministerium, das auch für „Reformen und Deregulierung“ zuständig ist. Es sollen Kompetenzen von den Ländern hin nach Wien, aber auch vom Bund in die Länder wandern. „Jede Veränderung im Machtgefüge ruft Widerstand auf den Plan“, sagt Verfassungsjurist Theo Öhlinger gegenüber ORF.at. Und erste Konflikte zeichnen sich bereits ab.
Streit über Bezirksgerichte
Anlass für Unstimmigkeiten ist derzeit ein Gesetzesentwurf, der den Ländern das Vetorecht bei geplanten Schließungen von Bezirksgerichten nehmen soll. Es gibt 115 davon, bisher scheiterten Schließungen oder Zusammenlegungen oft am Landesveto. Für die Richterinnen und Richter laut Gernot Kanduth von der Richtervereinigung „ein Eingriff in die Gewaltentrennung“ und „rechtsstaatlich sehr bedenklich“, für die Länder eine Option weniger, um Einfluss geltend zu machen.
Neue Machtverteilung Bund - Länder
Die angestrebte Neuordnung der Machtverteilung zwischen Bund und Ländern ruft die Landeshauptleute zunehmend auf den Plan.
Für den Verfassungsrechtler Heinz Mayer sind die Standorte der Bezirksgerichte schlicht eine Frage der Zweckmäßigkeit. Entweder entscheidet der Gesetzgeber oder, per Verordnung, das Land. „Beides ist denkbar, beides ist möglich“, so Mayer. Die Sorge der Richter vor Einflussnahme sei an sich nicht unberechtigt, aber Einfluss zu nehmen versuchten auch die Länder.
„Wer soll regeln, wenn nicht der Bund?“
Auch Öhlinger kann die Kritik der Richter nicht nachvollziehen. Die Gerichte seien schließlich Bundesorgane. „Und wenn nicht einmal hier der Bund regeln soll, wer dann?“, so Öhlinger. Das als Eingriff zu sehen, sei absurd. Doch ist für ihn die geplante „Kompetenzbereinigung“ generell nur eine „minimale“ Maßnahme, es seien nur „Spurenelemente“ einer Verfassungsreform, wie sie angekündigt worden sei. Derzeit gibt es in Österreich sechs ÖVP- und drei SPÖ-geführte Bundesländer. Prinzipiell sei es Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in seiner Partei gelungen, seine Machtposition in Richtung Bundeskanzleramt zu verschieben, so Öhlinger. „In der ÖVP haben sich Gewichte von den Ländern und auch von den Sozialpartnern hin zur Parteispitze verlagert.“
Über Mosers „Kompetenzbereinigung“ sind die Länder gesprächsbereit und verweisen auf eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, in der einzelne Punkte mit Moser verhandelt würden. Salzburgs Gesundheitslandesrat Christian Stöckl (ÖVP) sprach sich am Montag allerdings gegen eine Vereinheitlichung der Spitalsgesetzgebung aus. Zwar könne er gewisse Vorteile erkennen, wenn alles von Wien aus dirigiert werde, der Zentralisierungsplan sei aber gleichzeitig eine Kampfansage an die kleinen Spitäler. „Dann besteht die große Gefahr, dass es noch schwieriger wird, die kleinen Spitäler aufrechtzuerhalten.“
Niessl: „Nicht drüberfahren“
Anders als bei den Spitälern soll die Jugendhilfe vom Bund weg in die Länder kommen. Sie sollen die Regeln für ihre Jugendämter künftig also weitgehend selbst schreiben. Die Pläne stießen aber in der Begutachtung auf scharfe Kritik, die für die Zweidrittelmehrheit nötige Zustimmung der SPÖ war zuletzt zweifelhaft, und selbst Mosers Regierungskollegin Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) gingen die Pläne zu weit.
Auch Verfassungsrechtler Mayer ist skeptisch: „Das soll man im Bund regeln. Es ist nicht einzusehen, dass hier jemand in Vorarlberg anders zu behandeln ist als jemand im Burgenland.“ Die Länder selbst begrüßten die Mehr-Kompetenz zumindest teilweise, forderten aber einheitliche und verbindliche Mindeststandards.
Der Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, der burgenländische LH Hans Niessl (SPÖ), führte am Montag bereits vorsorglich das Gewicht der Länder ins Treffen. Er sagte zu Mosers Reformansinnen: „Wir wollen Verhandlungen auf Augenhöhe und wir wollen nicht, dass über uns drübergefahren wird, wie das im Bereich der Sozialpartnerschaft gemacht wird.“
Einiges wäre schon jetzt möglich
Verfassungsrechtler Öhlinger tritt prinzipiell für eine Gesetzgebung ein, die weitgehend beim Bund liegt. „Aber die Verwaltung und die Vollziehung der Gesetze soll in den Ländern liegen, wo man auf die regionalen Verhältnisse eingehen kann.“ Es gebe in Österreich eine allgemeine Skepsis gegenüber der Ländergesetzgebung. Dem solle man auch Rechnung tragen, indem man die Gesetzgebung vermehrt beim Bund lasse. „Aber wenn es ein Skischullehrergesetz in Österreich gibt, das für Wien und Tirol gleichermaßen gilt, so muss man das Land Tirol auch genug eigenständig regeln lassen können“, sagt Öhlinger.
Ähnliches gelte für Materien wie die Mindestsicherung. „Ich kann mir vorstellen, dass das Problem in einer Millionenstadt vielleicht anders ist als in einer ländlichen Region.“ Hier hätte man laut Öhlinger mit einem Grundsatzgesetz arbeiten können, das zum Beispiel einheitliche Mindestbeträge festlegt und den Ländern entsprechenden Handlungsspielraum einräumt. Das gehe aber schon jetzt, „dafür wäre keine Reform nötig“.
Widerspruch aus ÖVP-Ländern
Die Tatsache der ÖVP-Hausmacht in den Ländern feit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aber nicht gegen Widerspruch, zuletzt wiederholt von Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner. Zwar sei Kurz auch deshalb gewählt worden, um Stillstand zu überwinden. Doch plädierte er für mehr Sorgfalt, statt aufs Tempo zu drücken. Hier könne die Regierung „die eine oder andere Woche ins Land ziehen lassen“, so Wallner. Kritik kam aber auch schon aus anderen ÖVP-geführten Bundesländern, etwa aus Tirol, dessen Landeshauptmann Günther Platter die Koalition als „ein bisschen übermütig“ einschätzte.
Denn Zündstoff zwischen Bund und Ländern gibt es auch bei anderen großen Reformprojekten der Regierung: Die Reform der Krankenkassen steht auf dem Plan, die Krankenhausorganisation soll vereinheitlicht werden. Dass es zehn Gesetze für Krankenanstalten gebe, sei „ein Unsinn“, sagte Verfassungsjurist Mayer. „Das gehört in die Bundeskompetenz. Probleme wird es da aber bei der Finanzierung geben. Das hat man auch in Jahrzehnten nicht in den Griff gekriegt - aber nicht, weil es juristisch so schwierig ist“, sagt Mayer.
Mehrere Streitpunkte
Auch die mögliche Auflösung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) wird die Länder kaum unberührt lassen. Sollten etwa die bisher von der AUVA geführten Unfallkrankenhäuser tatsächlich eine neue Trägerschaft bekommen, könnten die Länder finanziell zum Handkuss kommen.
Und schließlich will die Bundesregierung auch bei Schulen und Kindergärten mitreden. Sie stellte eine Junktimierung von Zuschüssen an ein Kopftuchverbot in den Raum. Beim Ausbau der Kinderbetreuung will der Bund zudem den Ländern künftig 110 Mio. Euro pro Jahr zur Verfügung stellen, das sind um 30 Mio. Euro weniger als derzeit. Bis Ende des Monats wollen die Bundesländer darauf gemeinsam reagieren.
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