Comeback der guten alten Dinge
In seinem neuen Buch „Die Rache des Analogen“ beschreibt der kanadische Autor David Sax ein stilles Comeback von Schallplatten, Buchhandlungen und des guten alten Notizbuchs. Für seine Recherche reiste Sax durch sein Heimatland, die USA und Europa - um festzustellen, dass es überall Menschen gibt, die auf die digitalen Umwälzungen mit Trotz und konstruktivem Widerstand reagieren.
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Sax schaute sich in Toronto um und traute seinen Augen nicht: In der Millionenstadt gibt es plötzlich wieder Presswerke für Vinylschallplatten, neue Buchhandlungen, Menschen, die Schlange stehen, um in ein neu eröffnetes Brettspielcafe Einlass zu finden, und dort stundenlang Figuren über die Spielfläche bewegen. Er traf auf technikaffine Gründer, die ein geradezu leidenschaftliches Verhältnis zu ihrem Moleskine-Notizbuch haben, das seinem Besitzer Zugang zum Mythos dieses ledergebundenen italienischen Papierprodukts verschafft.
Sehnsucht nach realen Dingen
Sollten das alles Einzelfälle sein, ohne empirischen Bestand? Diese Frage ließ Sax seine Recherche ausweiten. Er fuhr durch Nordamerika, besuchte in Italien eine Gruppe, die dem Zelluloidfilm zu einem Comeback verhelfen will, und in Wien Menschen, die sich bereits seit Jahren für den Fortbestand eines analogen (sowjetischen) Mythos einsetzen: der Lomo-Kamera.
Allmählich formte sich vor Sax’ Augen ein Bild: Die Menschen sehnen sich nach realen Dingen, sie sehnen sich danach, die Fülle ihrer Sinnesorgane einzusetzen, nicht nur immer das Auge, das flüchtige Bildschirminhalte scannt, oder das Ohr, das mit komprimierten MP3-Dateien gefüttert, abgefüttert wird.
Keine Tirade gegen Technologie
„Eine Sache möchte ich jedoch klarstellen“, betont der Autor zu Beginn seines so unterhaltsam geschriebenen wie solide recherchierten Buchs: „Dieses Buch ist keine Tirade gegen digitale Technologie. Die Personen, Unternehmen und Organisationen, die Sie kennenlernen, werden nicht von einer sepiafarbenen Sehnsucht nach einer idealisierten, vordigitalen Vergangenheit getrieben."
Buchhinweis
David Sax: Die Rache des Analogen - Warum wir uns nach realen Dingen sehnen. Residenz Verlag, 314 Seiten, 24,70 Euro.
Unter den von ihm besuchten Personen befand sich laut Sax kein einziger Technikfeind: „Sie waren vielmehr unglaublich zukunftsorientiert, innovativ und benutzen sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden digitalen Werkzeuge – Crowdfunding, Soziale Medien, Designsoftware –, um analoge Güter und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen. Sie stoßen die digitale Welt nicht ab. Sie ziehen sie eher näher zu sich heran und nutzen sämtliche Vorteile, um erfolgreich zu sein.“
Sax hat keinen Schaum vorm Mund, wenn er das naive und gefährliche Glückseligkeitsversprechen der durchdigitalisierten Welt, wie es das Silicon Valley verkauft, vorführt. „Die Rache des Analogen“ ist keine polemisch-polternde Streitschrift gegen das Digitale. Im vergnüglichen Parlando-Ton (solide aus dem Englischen übersetzt von Pauline Kurbasik) nimmt er seine Leser mit in die neuen Hauptquartiere des Analogen, lässt deren Protagonisten Raum zum Erzählen und freut sich selbst über die Nachbarschaft einer neuen Buchhandlung, wo alle mit anpacken, damit er schneller aufsperren kann.
Alles Bobo-Träume?
Bleibt die Frage: Ist das Auflebenlassen des Analogen ein Bobotraum aus den gentrifizierten Vierteln von Toronto, San Francisco, und New York? Sax liefert vor allem einen Überblick aus der Neuen Welt. Dort, wo die Ausdünnung der analogen Sphäre schon so weit gediehen zu sein scheint, dass die Eröffnung eines Geschäfts für Fahrradreparaturen oder Schreibwerkzeug schon auffällig ist und eine kleine Sensation. Wo das Digitale ungehinderter das Analoge beschädigen und schwächen konnte, scheinen sich die Fans des Analogen besonders stark zu wehren.
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Vinyl ist nach jahrelanger Durststrecke wieder im Kommen
Die Mittel, mit denen dieser Widerstand erfolgt, sorgen bei Lesern aus der Alten Welt mitunter auch für Schmunzeln: Sax berichtet über die vermeintlich neuen Rezepte aus Übersee, mit denen der Besuch einer Buchhandlung wieder attraktiv gemacht werden soll, in Nordamerika bekannt als „Hand Selling“. Dieser Begriff bedeute, „dass Mitarbeiter Kunden persönlich beraten und ihnen Bücher anbieten, die ihnen gefallen. Dabei braucht man grundlegende soziale Fähigkeiten; man muss Körpersprache lesen können, Augenkontakt herstellen, die Kunden nach ihrem persönlichen Geschmack fragen und mit menschlichem Urteilsvermögen das richtige Buch vorschlagen.“
Sax erzählt zudem von handgemachten mechanischen Uhren aus Detroit, die der gebeutelten Stadt neue Hoffnung bringen sollen, von Laptop-Verboten in Klassenzimmern und Schülern, die ihre Fantasie eingestandermaßen lieber mit Papier und Buntstift ausleben.
Mehr als 0 und 1
Die Rache des Analogen ist laut Sax keineswegs gewalttätig. Sie kommt sanft daher. Das Beste an Sax’ Buch ist vielleicht die schlichte Erkenntnis, dass der von Politikern gern geäußerte und von Medien gern wiederholte Satz, die Zukunft sei digital, Unsinn ist. Sax sagt es so: „Wir stehen nicht vor der Wahl: digital oder analog. Diese vereinfachte Dualität wurde uns vielmehr vom Digitalen aufgedrängt: eine falsche binäre Wahl zwischen 1 und 0, Schwarz und Weiß, Samsung und Apple. Die wirkliche Welt ist nicht schwarz oder weiß. Sie ist noch nicht einmal grau."
Insgesamt gesehen sind die gut 300 Seiten, die Sax zu Papier gebracht hat (er legt Wert darauf, dass man sein Buch möglichst auf Papier und bei abgeschaltetem Handy lese), eine herzerwärmende und wohltuende Reise durch neues Leben in einer schon vom Aussterben bedrohten Welt.
Links:
Alexander Musik, für ORF.at