Schwiegersohn wird Finanzminister
Vor eineinhalb Wochen hat der alte und neue Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt der Macht angekommen. Erdogan, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef.
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Die Vereidigung im Parlament in Ankara, der Großen Nationalversammlung der Türkei, besiegelte den Umbau des Staates von einem parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte Erdogan jahrelang hingearbeitet. Während der kurzen Zeremonie sagte Erdogan, er schwöre, dem Rechtsstaat gegenüber loyal zu bleiben, die Demokratie und die säkulare Republik zu schützen und sein Amt unparteiisch auszuüben.

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Erdogan spricht vor der Nationalversammlung in Ankara
„Kein Abweichen von Idealen“
Auch erklärte er, nicht abweichen zu wollen von dem „Ideal, wonach jedermann im Land grundlegende Freiheiten und Menschenrechte“ genieße. In der ersten Rede nach seiner Vereidigung versprach Erdogan der Türkei einen „Neustart“. „Wir lassen ein System zurück, das politisches, soziales und wirtschaftliches Chaos verursacht hat“, sagte er zu Beginn der Vorwoche vor mehreren tausend Gästen im Präsidentenpalast in Ankara.
In der neuen Ära werde die Türkei „in jedem Bereich, von der Demokratie bis zu Grundrechten und Freiheiten, von der Wirtschaft bis hin zu großen Investitionen“ besser werden. Erdogan wiederholte auch sein Wahlkampfversprechen, die Türkei zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt zu machen.
Neues und kleineres Kabinett vorgestellt
Nur Stunden nach seiner Vereidigung stellte Erdogan sein neues Kabinett vor. Es umfasst 16 Minister - laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zehn weniger als bisher. Bei vielen wichtigen Posten blieb allerdings alles beim Alten - Erdogan setzt auf Vertraute und Verwandte.
Zu seinem ersten Vizepräsidenten ernannte Erdogan Fuat Oktay, der bisher Staatssekretär und Berater des einstigen Ministerpräsidenten Binali Yildirim war. Das Amt des Ministerpräsidenten wurde mit dem Übergang zum Präsidialsystem abgeschafft.
Erdogans Schwiegersohn wird Finanzminister
Im Außenministerium verbleibt Mevlüt Cavosoglu, im Justizministerium Abdülhamit Gül. Süleyman Soylu ist weiter Innenminister. Neu ist Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak als Finanzminister. Verteidigungsminister wurde der Stabschef der türkischen Streitkräfte, Hulusi Akar.

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Erdogan bei der Ankunft beim Präsidentenpalast
Einige Ministerien seien miteinander verschmolzen worden, sagte Erdogan. Darunter war nach Medienangaben das Außenministerium, das mit dem für EU-Angelegenheiten zusammengelegt wurde. Mehrere mit Wirtschaft und Handel befasste Ämter sind jetzt ein großes Handelsministerium geworden. Unter dem neuen Präsidialsystem konnte Erdogan die Minister ohne die Zustimmung des Parlaments ernennen.
Einfluss auf Notenbank verstärkt
Wie angekündigt verstärkt Erdogan nun auch seinen Einfluss auf die türkische Notenbank. Am Dienstag erließ er ein Dekret, das ihn künftig ermächtigt, den Präsidenten und Vizepräsidenten der Zentralbank zu ernennen. Außerdem wird durch das Dekret die Amtszeit der beiden Spitzennotenbanker des Landes von fünf auf vier Jahre verkürzt. Bisher war es üblich, dass der Präsident gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten und dessen Stellvertreter den Notenbankchef ernannte. Die Entscheidung wurde dann vom gesamten Kabinett bestätigt.
Nach jüngsten Daten betrug die Teuerung im Juni mehr als 15 Prozent. Das setzt die Notenbank des Landes unter Druck. Die Währungshüter versuchen, mit einem Anstieg der Leitzinsen die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Erdogan ist aber ein Gegner hoher Zinsen, die als klassisches Instrument zur Inflationsbekämpfung gelten. Der Staatspräsident hatte bereits vor den Wahlen angekündigt, die Geldpolitik künftig stärker zu beeinflussen, und damit einen Absturz der türkischen Währung auf ein Rekordtief ausgelöst.
Tausende Gäste zu Ehren Erdogans
Im Vorfeld war von 10.000 Gästen die Rede, die zu Ehren Erdogans nach Ankara geladen wurden. Für Deutschland reiste SPD-Altkanzler Gerhard Schröder an, aus Russland kam Ministerpräsident Dimitri Medwedew. Regierungsnahen Medien zufolge sollen zu dem festlichen Abendessen 22 Präsidenten und 28 Ministerpräsidenten eingeladen worden sein.

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Der deutsche Altkanzler Schröder hat zu Erdogan seit jeher ein gutes Verhältnis
Von Berlusconi bis Maduro
Auch anwesend waren Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der venezolanische Präsident Nicolas Maduro, der sudanesische Präsident Omar al-Baschir und der serbische Präsident Aleksandar Vucic.

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Auch der russische Ministerpräsident Medwedew kam zu Ehren Erdogans in die Türkei
Die Vereidigung als Präsident an der Spitze des neuen Präsidialsystems krönt eine Karriere, die Erdogan nicht in die Wiege gelegt war. Geboren 1954 im Istanbuler Arbeiter- und Armenviertel Kasimpasa musste er als Kind auf der Straße Sesamkringel verkaufen, um zum Familienunterhalt beizutragen.
Umstrittenes Referendum
Politische Meriten verdiente er sich von 1994 an als Bürgermeister von Istanbul. Dreimal war er später Ministerpräsident. Weil er das Amt nach den AKP-Statuten kein viertes Mal hätte übernehmen können, ließ er sich 2014 zum Präsidenten wählen. Im April 2017 stimmten die Türken dann in einem umstrittenen Referendum für den Übergang zu einem Präsidialsystem. Am 24. Juni gewann Erdogan die Präsidentschaftswahl mit rund 52,6 Prozent.
Bisher konnte Erdogan nichts stoppen, nicht einmal der blutige Putschversuch im Juli 2016. Kurz darauf verhängte er einen Ausnahmezustand, unter dem er unter anderem Zehntausende politische Gegner und Kritiker feuern oder verhaften ließ. Noch am Sonntag wurden wieder rund 18.000 Staatsbedienstete per Dekret entlassen.
2004 noch „Europäer des Jahres“
Auch deshalb ist seine neue Allmachtstellung vielen nicht geheuer. Aus Sicht des Westens hat Erdogan sich dramatisch gewandelt. 2004 war er als Ministerpräsident noch zum „Europäer des Jahres“ gekürt worden. Der damalige deutsche Kanzler Schröder lobte Erdogan für sein „Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung“. Aus Sicht seiner Kritiker steht Erdogan heute gegen diese Werte. Die Opposition warnt vor einer „Ein-Mann-Herrschaft“. Eines von Erdogans Wahlmottos lautete: „Eine große Türkei braucht einen starken Anführer.“
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