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Ein Landwirt erklärt sich

Bernhard Mayr ist Arbeitgebervertreter in Oberösterreich und Bauer in Ansfelden. Er führt einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 40.000 Hühnern und beliefert zusätzlich Efko mit Gurkerln. Seit mehr als 80 Jahren gibt es den Hof, mit ausländischen Erntearbeitern arbeitet Mayr seit 25 Jahren, derzeit sind es 50 bis 60 pro Saison.

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Erntehelfer, so erklärt er im Interview mit ORF.at, brauchte man ab dem Zeitpunkt, an dem landwirtschaftliche Betriebe immer größer wurden. Das wiederum sei der Konkurrenz aus dem Ausland geschuldet. Effizienz ist die oberste Prämisse, um wirtschaftlich überleben zu können, scheint Mayrs zentrale Aussage zu sein. Um seine 40.000 Hühner etwa kümmert er sich alleine – die Automatisierung macht es möglich.

Doch am „Gurkerlflieger“ braucht es noch immer Menschen. Der „Gurkerlflieger“ ist ein langsam fahrendes Gefährt mit flügelartigen Auslegern, auf dem Erntehelfer liegen, die nach unten schauen und Gurkerl pflücken. Nun sieht er seinen Betrieb gefährdet, weil es immer schwieriger ist, an Erntearbeiter zu kommen. Das liege vor allem daran, dass sie lieber nach Deutschland gehen, weil sie dort besser bezahlt bekommen. Daran wiederum seien die hohen Lohnnebenkosten in Österreich schuld.

Arbeitgebervertreter in Oberösterreich Bernhard Mayr

ORF.at/Lukas Krummholz

Bauer Mayr auf seinem Feld, für das er keine Erntehelfer hat

ORF.at: Wie viel günstiger können deutsche Landwirte produzieren und warum genau?

Mayr: Deutschland hat vor rund zehn Jahren den Mindestlohn eingeführt, da sind die Löhne höher geworden. Die Deutschen haben einen Mindestlohn von 8,84 Euro. Das heißt, diese 8,84 Euro bekommt der Arbeitnehmer, also in diesem Fall die Saisonarbeitskraft, direkt auf die Hand, bis zu einem Maximum von 70 Arbeitstagen. Die Besonderheit: Wenn das wie bei mir polnische Studenten, oder auch Hausfrauen oder Pensionistinnen sind, dann sind in Deutschland keine Lohnnebenkosten zu bezahlen.

Das heißt, sie brauchen keinen Arbeitnehmeranteil und keinen Arbeitgeberanteil zu bezahlen. Es ist die Kommunalsteuer nicht zu bezahlen, und es ist nichts in eine Abfertigungskassa einzubezahlen. Bei uns in Österreich ist das anders. Leute, die wir beschäftigen, sind automatisch ASVG-versichert, so wie wir alle. Sprich: Wir haben einen Arbeitnehmeranteil, einen Arbeitgeberanteil, wir haben die Kommunalsteuer und wir haben auch die Abfertigungskassen.

Diese Kosten machen bei Arbeitskräften, wie wir sie im Gemüsebau einstellen, pro Mann und Monat 290 bis 300 Euro pro Monat aus. In Deutschland kostet der Erntearbeiter – obwohl der netto mehr bekommt – dem Arbeitgeber 1.500 Euro, bei uns sind es gute 1.800 Euro. Und 2017 ist im Rahmen einer Sozialpartnereinigung ausgemacht worden, dass bis 2020 ein Mindestlohn eingeführt werden muss. Damit habe auch ich kein Problem. Wenn die Löhne steigen, hilft das der Wirtschaft, das ist ein Kreislauf, der davon lebt. Aber es muss eine Möglichkeit geschaffen werden, dass wir trotzdem konkurrenzfähig bleiben gegenüber dem Ausland.

Wir sind heute so weit, dass wir zum Beispiel, wie es bei meinem Betrieb ist, bei den Gurken, bei einem Marktanteil von nur noch ca. 45 Prozent Eigenversorgung mit österreichischer Ware angekommen sind. Wir waren einmal bei fast 90 Prozent. Durch diese Situation, dass die Verarbeitungsbetriebe in Deutschland größer sind und die Arbeitskräfte wesentlich günstiger, verlieren wir jedes Jahr Marktanteile.<<

Arbeitgebervertreter in Oberösterreich Bernhard Mayr

ORF.at/Lukas Krummholz

Gurkerln, wenn sie liegen bleiben

ORF.at: Die Gewerkschaft sagt, dass der überwiegende Anteil der Saisonarbeitskräfte länger in Deutschland bleibt als 70 Tage, und der Anteil der Lohnnebenkosten dann ähnlich hoch ist wie in Österreich. Die Arbeiter würden aus einem anderen Grund fern bleiben. Es sei systematisch so, dass Erntehelfer mehr Stunden arbeiten müssen, als sie bezahlt bekommen, dass sehr oft die Unterkünfte nicht in Ordnung sind. Und dass all das, die schlechte Behandlung der Arbeitnehmer, von Anfang an schon eingepreist sei in die Kalkulation von Landwirten. Und deshalb würden sie nicht mehr kommen wollen. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Mayr: Das ist ein Vorwurf der Gewerkschaft. Wir haben uns in Oberösterreich unter den Gemüsebetrieben die Prämisse gesetzt, diese Leute so zu bedienen, dass dem Gesetz entsprochen wird. Als Arbeitgebervertreter kann ich niemanden vertreten, der nicht korrekt abrechnet und der die Unterkünfte der Leute nicht so zur Verfügung stellt, wie das Gesetz es eigentlich bestimmt. Wir haben ordentliche Wohnungen für das Personal. Das wird bei uns strikt kontrolliert, vom land- und forstwirtschaftlichen Inspektor. Es mag schwarze Schafe geben, aber in meinem Kenntnisbereich nicht.

ORF.at: Die Gewerkschaft hat mir eine ganze Liste vorgelegt von den letzten Prozessen, die sie durchgefochten haben – und auch gewonnen. Da mussten bis zu 60.000 Euro nachgezahlt werden an Erntearbeiter, die bis zu zehn Jahre lang betrogen worden sind.

Mayr: Diese Situationen kenne ich eigentlich nicht. Ich kann nur für Oberösterreich sprechen. Es hat auch hier Anzeigen gegeben, aber ich kann jetzt nicht nachvollziehen, in welchen Bereichen, so etwas wird ja mir niemand erzählen, das wird mir auch kein Steuerprüfer erzählen. Das entzieht sich meiner Kenntnis.

ORF.at: Also ihrem Wissen nach passiert in ihrem Umfeld so etwas nicht?

Mayr: Ich kann nur für meinen Betrieb mit bestem Wissen und Gewissen sprechen. Was andere Betriebe gibt – ich weiß es nicht. Ich kann das nicht behaupten.

ORF.at: Wie kann ich mir das Leben von den Erntearbeitern vorstellen? Was tun die, wenn sie nicht gerade arbeiten?

Mayr: (Lacht) Wenn die Erntehelfer gerade nicht arbeiten, sind sie meistens unterwegs. Wir haben da die bekannten Seen, den Pichlinger See, den Oedtsee oder sie sind in einem Freibad. Wir stellen ihnen Fahrzeuge zur Verfügung oder wir bringen sie selbst hin. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Weil es ist oft so, dass die Leute dann am Ende der Saison nach Hause gefahren sind – und bei uns dann die Radarstrafen eintrudeln. Letztes Jahr sind im September, als die Arbeiter weg waren, sechs oder sieben Radarstrafen eingetroffen – und die Busse sind natürlich alle auf meinen Namen angemeldet. Dann wird’s interessant. (lacht)

Arbeitgebervertreter in Oberösterreich Bernhard Mayr

ORF.at/Lukas Krummholz

Die Gurkerlernte ist ein arbeitsintensives Unterfangen

ORF.at: Die Gewerkschaft sagt sinngemäß: Ein Business, das, um rentabel zu sein, auf Arbeitskräfte angewiesen ist, die in der Stunde nur 5,80 Euro netto verdienen, ist unmoralisch. Was sagen Sie dazu?

Mayr: Ich habe mit 19 Jahren mit den Einlegegurken begonnen. Ich habe am Anfang selbst gepflückt. Dann ist diese Wende gekommen 1989, da sind die Leute aus den Oststaaten gekommen, und dann ist die Entwicklung losgegangen.

Damals waren die Gehälter und die Gurkenpreise voll in Ordnung. Wir haben nicht schlecht verdient, das kann man offen sagen. Wir haben investiert. Ich habe zum Beispiel 1992 dieses Gebäude, in dem wir sitzen, und die Wohnungen gebaut für die Leute, in einer Aufbruchsstimmung.

Damit ich investieren kann, brauche ich Kredite. Dann ist der Betriebszweig entstanden, wo ich mittlerweile 50 bis 60 Leute beschäftigt habe, wo dahinter eine ganze Maschinerie steckt, wo man mit einer Million Euro nicht auskommt, wenn man investiert.

Ich kann der Gewerkschaft gerne erklären, warum ich noch produziere. Erstens bin ich mit dieser landwirtschaftlichen Kultur groß geworden, ich bin mit den Menschen groß geworden. Hier sind Leute beschäftigt, für die habe ich die Verantwortung, dass sie am Ende des Monats auch ihr Geld bekommen. Ich bin ihnen verpflichtet.

Das sind wirklich Leute hier, wo der persönliche Kontakt schon ein ganz anderer als einfach nur zu Arbeitnehmern ist – das kann man sich ja vorstellen, wenn jemand zwölf, dreizehn Jahre hier ist. Und weil Kredite bedient werden müssen. Weil der Betrieb weiterleben muss.

Und ich mache auch einen Job, wo ich mit meinen Arbeitern gemeinsam Lohnnebenkosten an die Sozialversicherung in der Höhe von 120.000, 130.000 Euro pro Jahr überweise. Davon leben auch Gewerkschafter.<<

ORF.at: Haben Sie auch einen Appell an die Konsumenten?

Mayr: Der Konsument sollte sich zweimal überlegen, was er kauft und genau hinschauen: Was ist in dem Gurkenglas drinnen? Ist das noch eine österreichische Ware? Ist das eine deutsche Ware? Das sind unsere Konkurrenten. Wir sind heute soweit: Wenn die deutsche Ware bei den Gurken zu billig ist, dann kommt die Ware heute aus Serbien, aus Bosnien, aus Rumänien, aus Indien, aus Vietnam, per Flugzeug oder per Schiff.

ORF.at: Was befürchten, wenn der Mindestlohn kommt?
Wenn der Mindestlohn, die 1.500 Euro, ab 2020 schlagend wird, dann ist die Differenz nicht mehr 300 Euro an Kosten, sondern 750 Euro zu den Deutschen. Und dann wird es schwierig, weil dann ist diese Art der Produktion eigentlich Geschichte. Dann ist nicht nur die Gurkenproduktion Geschichte, dann ist die Erdbeere Geschichte, dann ist alles, wo ich viel Personaleinsatz habe, in Österreich Geschichte.<<

ORF.at: Dann müssten Sie ja ganz konkret am Umplanen sein für die Zukunft. Das scheint ja so zu kommen.

Mayr: Es wird so kommen. Aber ich habe immer noch die Hoffnung, dass die Politik die entscheidenden Akzente setzt, dass der Handel die entscheidenden Akzente setzt und die Verarbeitungsbetriebe die entscheidenden Akzente setzt, damit wir das überleben.

ORF.at: Und was ist Ihr Plan B, falls nicht?

Mayr: Dann werde ich den Betrieb, was die Gurken betrifft, sicher schließen.

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